EU-Staaten dürfen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch für rituelle Schlachtungen eine Betäubung des Tieres vorschreiben (Symbolbild).

Foto: APA/Tönnies/Tönnies

Luxemburg – EU-Staaten dürfen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auch für rituelle Schlachtungen eine Betäubung des Tieres vorschreiben. Rituelle Schlachtungen als solche würden nicht verboten und damit werde die Religionsfreiheit geachtet, befanden die Richter des höchsten EU-Gerichts am Donnerstag. Das Urteil kommt überraschend, da ein EuGH-Gutachter kürzlich noch zu dem Schluss gekommen war, derartige Vorschriften widersprächen dem Recht auf Religionsfreiheit.

Kritik der Religionsvertreter

Religionsvertreter kritisierten das Urteil scharf, Tierschützer begrüßten es. Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) und Oberrabbiner von Moskau, meinte in einer Aussendung, dass das Urteil "nachhaltige Auswirkungen auf die jüdische Gemeinde in Europa haben wird. Sie muss sich einmal mehr die Frage stellen, ob sie in Europa wirklich willkommen ist."

Bini Guttmann, Präsident der Europäischen Union jüdischer Studenten, warnte, die Ermöglichung eines Schächt-Verbots "könnte jüdisches Leben, so wie wir es kennen, langfristig unmöglich machen". Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von einem Angriff auf die Religionsfreiheit. Man hoffe, dass es keine Nachahmer in Europa finde und andere EU-Staaten die religiöse Schlachtung weiterhin ermöglichten.

Belgischer Fall als Anlass

Verhandelt wurde ein Rechtsstreit aus Belgien. Dort hatte die Region Flandern die Schlachtung ohne Betäubung 2017 aus Tierschutzgründen verboten. Jüdische und muslimische Verbände klagten dagegen. In beiden Religionen gibt es Vorschriften zum Schlachten ohne Betäubung – dem Schächten, um Fleisch koscher beziehungsweise halal herzustellen. Den Tieren wird dabei mit einem Schnitt Speiseröhre, Luftröhre und Halsschlagader durchtrennt; sie bluten dann aus.

Tierschützer erfreut über Urteil

Der Deutsche Tierschutzbund begrüßte das EuGH-Urteil: Es sei gut, dass daraus hervorgehe, dass es Wege gebe, sowohl der Religionsfreiheit als auch dem Tierschutz gerecht zu werden. Oftmals werde es so dargestellt, "dass beides nicht in Einklang zu bringen ist". In ihrem Statement verwiesen die Tierschützer auf Betäubungsarten, die bereits von vielen Muslimen akzeptiert würden.

Dem Urteil vom Donnerstag zufolge lässt das EU-Recht zwar in Ausnahmefällen und im Sinne der Religionsfreiheit die rituelle Schlachtung ohne vorherige Betäubung zu. Die EU-Staaten könnten aber dennoch dazu verpflichten, die Tiere zu betäuben.

Die Konferenz der Europäischen Rabbiner befürchtet nach dem Urteil einen "Dominoeffekt" – dass weitere Staaten weiterführende Verbote oder Einschränkungen erlassen und so die Religionsausübung sowie insgesamt die Religionsfreiheit weiter erschwerten. In Ländern wie Frankreich oder Spanien ist das Schächten der CER zufolge noch erlaubt.

Lage in Österreich

In anderen EU-Staaten wie Schweden oder Dänemark ist es hingegen verboten. In Österreich hatte 2018 eine Debatte um das Schächten für Aufregung gesorgt. Kurz vor Beginn des islamischen Opferfestes im August 2018 erließ das damals FPÖ-geführte Sozialministerium eine Regelung, mit der "illegale Hinterhofschlachtungen" unterbunden werden sollten. Nicht eingegriffen werde damit in rituelle, ordnungsgemäß durchgeführte Schächtungen an dafür geeigneten Orten wie etwa koscheren Schlachtbetrieben, wurde von freiheitlicher Seite betont. Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) kritisierte den Erlass als "Affront" gegenüber Muslimen. (APA, 17.12.2020)