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"Mit zunehmendem Alter", sagt Reichelt, "fängt man leichter zum Nachdenken an." Das sei aber beim Rennfahren nicht immer zielführend. "Wenn du etwas gewinnen willst, musst du einfach Gas geben."

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

"Je älter man wird, umso feiger wird man, umso mehr muss man sich überwinden, dass man ans Limit geht. Das ist der schwierigste Part und ich habe im Vorfeld bereits gewusst, dass das die größte Herausforderung wird", sagt Hannes Reichelt. Der Routinier im ÖSV-Speedteam hat sich zur Überraschung vieler im Frühjahr entschieden, seine Karriere fortzusetzen, obwohl sich ein Karriereende geradezu aufgedrängt hätte.

Der richtige Zeitpunkt ist nie. Und immer. Für Spitzensportler wird häufig der Moment des größten Erfolgs als optimaler Moment für einen Rücktritt definiert. Doch in den Genuss dieses Vergnügens kommen nicht viele Athleten. Insofern kann sich Reichelt glücklich schätzen. Der Salzburger hätte etwa nach seinem Triumph in der Abfahrt in Kitzbühel 2014 seine Rennlatten in den Keller räumen können. Dann hätte er aber sechs weitere seiner gesamt 13 Weltcupsiege verpasst und wäre auch 2015 in Beaver Creek nicht zum Weltmeister im Super-G avanciert. Freilich hätte er sich auch den Sturz am 28. Dezember 2019 bei der berühmt-berüchtigten Abfahrt in Bormio erspart, nach dem wegen eines Kreuzbandrisses ein Karriereende naheliegend schien.

Spaß und Reiz

Doch warum den einfachen Weg einschlagen, wenn ein herausfordernder auch möglich ist? Der mittlerweile 40-Jährige bestreitet heuer seine bereits 20. Saison im Skiweltcup. Warum er sich das noch antut? Weil ihm das Rennfahren weiter Spaß bereitet und er "so nicht aufhören will." Dazu gesellt sich der Reiz, auszuprobieren, "ob ich es schaffe, wieder zurückzukommen, wieder konkurrenzfähig zu werden."

Reichelt, der 2008 der bis dato letzte ÖSV-Kristallkugelgewinner in der Super-G-Wertung war, zweifelt nicht daran, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Er will sich auch nichts vorwerfen, falls sein Projekt scheitert. Schließlich sei aktiv zu sein und hart zu trainieren in Sachen Rehabilitation geradezu ideal. Als Skipensionist wäre er nicht annähernd in einer vergleichbaren physischen Verfassung, schätzt er. Reichelt wähnt sich körperlich in guter Form. Das schwer lädierte Knie hält. Jetzt gilt es auch die Psyche wieder an den Rennmodus zu adaptieren. Er brauche viele Trainingskilometer, um das Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Die Raserei am Limit ist auch für einen Routinier wie ihn nicht selbstverständlich. "Wenn ich in Grenzsituationen komme, wenn zum Beispiel das A-Netz näherkommt, dann kriege ich bissl Stress und da gilt es, cooler zu werden", sagt er.

In Gröden bietet sich nun für Reichelt die nächste Chance, sich an die Spitze heranzutasten. Auf der Saslong sind ein Super-G (Freitag) und am Samstag eine Abfahrt (je 11.45 Uhr, ORF 1) angesetzt. In den bisherigen zwei Speedbewerben der noch jungen Saison konnte der Salzburger mit Rang 25 im Super-G von Val d’Isère und der Punktlandung auf 40 in der Abfahrt ebendort noch nicht reüssieren. Reichelt bereitet dies kein größeres Kopfzerbrechen, richtungsweisend werde der Jänner. "Da kommen die Rennen, die mir liegen." Er wolle sich kontinuierlich steigern, sei sich aber bewusst, dass es umso schwieriger werde, je weiter es Richtung 100 Prozent gehe. 2019 verfügte er noch über eine volle Leistungsfähigkeit. Beim letztjährigen Sieg von Vincent Kriechmayr im Super-G von Gröden (0,05 Sekunden vor dem Norweger Kjetil Jansrud) belegte Reichelt als zweitbester Österreicher Rang sechs.

Arrivierte Routiniers

Ein Ticket für die WM in Cortina d’Ampezzo zu ergattern sei in Sachen weiterer Karriereplanung nicht prioritär, vielmehr ein Comeback in der absoluten Weltspitze. Heißt: Podium oder Plätze unmittelbar dahinter. Dass dies für ältere Semester prinzipiell möglich ist, bewies etwa Johan Clarey. Der bald 40-jährige Franzose avancierte mit Super-G-Silber 2019 in Åre mit 38 Jahren zum ältesten Medaillengewinner in der Geschichte alpiner Weltmeisterschaften. Der Schwede Patrik Järbyn wurde 2008 als Dritter im Super-G von Gröden mit 39 Jahren und acht Monaten zum ältesten Weltcup-Podestfahrer.

Ältester Sieger der Alpinhistorie ist der Schweizer Didier Cuche, der mit 37 Jahren und sieben Monaten den Super-G in Crans Montana für sich entschied. In dieser Wertung ist Reichelt Zweiter. Seinen bisher letzten Sieg feierte er 2017 mit 36 Jahren und 254 Tagen beim Super G in Aspen. Diesbezüglich kann sich etwa auch der 31-jährige Marcel Hirscher mit etwaigen Comeback-Überlegungen ruhig noch Zeit nehmen. Der Franzose Julien Lizeroux schlängelt sich auch mit 41 noch gekonnt durch den Stangenwald. (Thomas Hirner, 17.12.2020)

Ergebnisse vom zweiten Training für die Ski-Weltcup-Abfahrt der Herren am Samstag in Gröden vom Donnerstag:

1. Aleksander Aamodt Kilde (NOR) 2:02,09 Min.
2. Kjetil Jansrud (NOR) +0,26 Sek.
3. Max Franz (AUT) +0,52
4. Jared Goldberg (USA) +0,66
5. Ryan Cochran-Siegle (USA) +0,71
6. Lars Rösti (SUI) +0,88
7. Bryce Bennett (USA) +0.90
8. Manuel Schmid (GER) +1,05
9. ex aequo Vincent Kriechmayr (AUT) und Ralph Weber (SUI) +1,12

Weiter:
16. Christian Walder +1,52
23. Matthias Mayer +1,89
32. Otmar Striedinger +2,16
34. Stefan Babinsky +2,33
36. Daniel Hemetsberger +2,34
40. Christopher Neumayer +2,57
41. Niklas Köck +2,59
47. Hannes Reichelt +2,88
56. Christoph Krenn 3,37
66. Daniel Danklmaier (alle AUT) +5,28