Der EuGH hat den Spielraum für Autohersteller, bei Abgasen mit Software zu tricksen, deutlich eingeschränkt.

Imago

Der Teufel liegt im Detail. Darum dauerte es fünf Jahre seit Beginn des Dieselskandals, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) Software zur Manipulation von Abgaswerten de facto für illegal erklärte. Den Autobauern drohen eine neuerliche Klagewelle und möglicherweise teure Nachrüstungen. Ein Überblick.

Frage: Was genau hat der EuGH entschieden?

Antwort: Das Höchstgericht stellte klar, wie die EU-Regeln bei der Zulassung von Autos auszulegen sind. Sogenannte Abschaltvorrichtungen zur Manipulation der Abgaswerte sind grundsätzlich illegal. Im Dieselskandal sind unterschiedliche derartige Vorrichtungen aufgetaucht. Der EuGH musste nun entscheiden, ob eine Software, sogenannte Thermofenster, auch darunterfallen.

Frage: Was war daran unklar?

Antwort: Es geht zum Teil um juristische Spitzfindigkeiten, auch wenn der Hausverstand die Sache sofort durchschaut. Der EuGH bestätigte, dass eine Software zur Abgassteuerung auch ein "Konstruktionsteil" ist und somit in der entsprechenden Verordnung erfasst wird.

Frage: Ist das alles, womit sich das Gericht befasst hat?

Antwort: Außerdem widersprach der EuGH den Autoherstellern, dass eine derzeit eingesetzte Software unter eine Ausnahmeregelung falle: Viele Dieselautos setzten ein sogenanntes Thermofenster ein. Mit dieser Funktion wird die Abgasreinigung nur bei einer Außentemperatur zwischen rund 15 und 33 Grad ausgeführt. Sobald es etwas fröstelt oder heißer wird, bläst der Motor deutlich mehr Schadstoffe aus, als bei der Zulassung, die bei Raumtemperatur erfolgt, festgestellt wird. Die Hersteller argumentieren, das diene dem Schutz des Motors und sei deswegen erlaubt.

Frage: Was sagt der EuGH zum Motorenschutz?

Antwort: Die Richter legten fest, dass der Schutz des Motors durch mehr Verschmutzung und einen höheren Verschleiß nicht den Einsatz der Thermofenster rechtfertige. Eine Abschaltvorrichtung sei nur erlaubt, wenn sie vor "plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden" schütze, die eine konkrete Gefahr während der Fahrt darstellen, heißt es in der Erläuterung des Urteils.

Frage: Was bedeutet das Urteil für offene Klagen im Dieselskandal?

Antwort: Unmittelbar betrifft das Urteil nur einen konkreten Fall eines französischen VW-Besitzers, den das Höchstgericht in Paris dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte. Es ist nun Sache der nationalen Gerichte, im Einzelnen festzustellen, ob solche Thermofenster erlaubt sind.

Frage: Droht den Autoherstellern eine neue Klagewelle?

Antwort: Glaubt man den Anwälten der Geschädigten und Konsumentenschützern, ist der Damm gebrochen. Zumal auch bisher unbescholtene Marken wie Volvo auf Thermofenster setzen, ist der Kreis der Betroffenen noch größer als beim ursprünglichen Skandal. Pikant ist, dass VW bei dem Update der alten Schummelsoftware ebenfalls ein Thermofenster aufgespielt hat. Damit rückt auch das Problem der Verjährung von Ansprüchen nach hinten, hoffen Konsumentenschützer. Für die ursprünglich geschädigten Dieselfahrer hat der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag die Ansprüche eingegrenzt und die Verjährungsfrist mit Ende 2018 bestätigt. Nachrüstungen könnten teuer wären: AK-Verkehrsexperte Franz Greil rechnet mit Kosten von rund 3.000 Euro pro Pkw für einen Katalysator-Einbau, der ohne Software die Zulassung ermöglicht.

Frage: Hätten neue Klagen Aussicht auf Erfolg?

Antwort: Das ist schwer abzuschätzen. Volkswagen hat in den USA und in Deutschland auf Vergleiche gesetzt. Allerdings sei die Situation heute anders, heißt es bei VW: Die Gerichte hätten solche Klagen bisher in den meisten Fällen abgewiesen. Entscheidend sei, ob der konkrete Einsatz einer Abschalteinrichtung eine "vorsätzliche sittenwidrige Schädigung" darstelle. Zumal die Thermofenster industrieweit und transparent eingesetzt wurden und auch den Zulassern bekannt waren, gibt sich der Autobauer gelassen. Die Vertreter der Klagenden sehen das naturgemäß anders.

Frage: Zahlt es sich für Österreichs Dieselfahrer aus, bei einer Klage mitzumachen?

Antwort: Jein, lautet sinngemäß die Antwort der Anwälte Johannes Sääf und Eric Breiteneder, die sich mit der Causa auseinandergesetzt haben. Auszahlen würde sich eine Geltendmachung von Ansprüchen vor allem bei teureren, älteren Fahrzeuge, die wenig Kilometerleistung aufwiesen. Ob es im Einzelfall die Mühe wert ist, muss jeder selbst beurteilen. (Leopold Stefan, 17.12.2020)