Um sich als Künstler über Wasser zu halten, musste Robert Adrian X eine Reihe von Brotjobs verrichten, die er in 24 Plastilin-Miniaturen darstellt.

Foto: Bildrecht Wien

Wer von Kunst emotional gepackt werden will, ist in der Kunsthalle gerade falsch. Die Ausstellung Cybernetics of the Poor ist erwartungsgemäß eher etwas für Kopfmenschen. Denn wenn die Theoretiker Diedrich Diederichsen und Oier Etxeberria kuratieren, wird es sich beim Ergebnis nicht um Berieselung handeln. Nicht einmal zu Weihnachten.

Die Schau entwickelte sich aus einem Seminar, das sowohl in Wien an der Akademie der bildenden Künste, wo Diederichsen Critical Studies unterrichtet, als auch im Tabakalera – International Centre for Contemporary Culture in San Sebastián stattfand, in dem Etxeberria der Abteilung für zeitgenössische Kunst vorsteht. Dort war Cybernetics of the Poor bereits im Sommer zu sehen, mit der Wiener Kunsthalle folgt nun die zweite Station.

Profitable Kybernetik

Der Begriff Kybernetik, entstanden in den 1940er-Jahren, bezeichnet sich selbst regulierende Systeme und wurde ursprünglich aufgrund seines Erfinders, des US-Amerikaners mit jüdischen Wurzeln, Norbert Wiener, mit der Kriegswissenschaft assoziiert. Er wollte die Kybernetik und ihre antizipative Kraft nicht zuletzt dazu nutzen, die Flugabwehr gegenüber den Nazis zu optimieren.

Sich selbst regulierende Systeme wurden im Laufe der Zeit in unterschiedlichsten Bereichen, von der Kriminologie bis zur Ökologie, relevant. Negativ ausgedeutet galten sie als undurchsichtige Instrumente der Kontrolle, gleichzeitig wurde in die Kybernetik aber die gegenteilige Hoffnung gelegt, nämlich Partizipation zu ermöglichen. So ungefähr steht es zumindest im Begleitheft zur Ausstellung.

Diederichsen und Etxeberria gehen für ihre Schau von einer hyperkapitalistischen Welt aus, in der sich Kybernetik längst von diesem hoffnungsvollen Potenzial entfernt hat, nicht nur mehr Mittel ist, sondern profitabler Selbstzweck. Und sie präsentieren Kunst, die diesen proklamierten Ist-Zustand im besten Fall als Gegenmodell, als "Kybernetik der Armen", unterwandert, die sich gegen das oder die Systeme auflehnt.

Bitte Klartext

Als kulturtheoretische These mit impliziter Aufforderung zum Schaffen aktivistischer Kunst mag das interessante Denkanstöße liefern. Eine Ausstellung sollte aber halt nicht so konzipiert sein, dass man als Betrachter für das Lesen und Erfassen eines Wandtexts drei Doktorate braucht.

Natürlich sind gewisse Arbeiten voraussetzungsreich, andere, wie zum Beispiel eine tolle Serie von Robert Adrian X aus den späten 1970er-Jahren, vermitteln sich dagegen selbst: In 24 kleinen Plastilin-Szenen zeigt sich Adrian bei der Verrichtung jener Brotjobs, die er machen musste, um sich sein Dasein als Künstler zu finanzieren. Auch Coleman Collins Guilt Coin, eine Art Installation, bei der sich Besucher durch den Erwerb einer Kryptowährung von Schuld freikaufen können, ist in seiner Aussage überdeutlich. Eine filmische Arbeit von Lili Reynaud-Dewar, die nackt beziehungsweise nur von einer Schicht Bodypaint bedeckt durch die Gänge und Hallen von Kunstinstitutionen tanzt und die hehren Orte damit humorvoll entweiht, lässt sich auch ohne kybernetisches Wissen lesen.

Das Problem dieser Schau ist nicht, dass sie einen theoretischen Überbau hat – den braucht sie nun einmal. Das Problem liegt darin, wie sehr die Ausstellung auf ihn pocht und wie kläglich sie daran scheitert, ihn auf nachvollziehbare Weise zu vermitteln.

So bleibt Cybernetics of the Poor eine Ausstellung von Kuratoren für Kuratoren. Vielleicht haben wir’s aber auch einfach nicht kapiert. (Amira Ben Saoud, 18.12.2020)