Im Gastkommentar machen Ulrich Brand und Heinz Högelsberger vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien einen pragmatischen Vorschlag, wie man die Reisekultur klimafreundlicher machen könnte.

Im Gesundheitsbereich stellt man sich die Frage, ob Menschen aufgrund von Personalmangel noch angemessen behandelt werden können. Dabei wurde im zweiten Lockdown ein Versäumnis von Politik und Wirtschaft besonders deutlich: Anstatt hauptsächlich auf Kurzarbeit zu setzen, hätte bereits im Frühjahr damit begonnen werden können, Menschen dazu zu bewegen, sich in unterschiedlichen Betreuungs-, Gesundheits- oder Bildungsbereichen umschulen zu lassen. Damit ließen sich auf eine solidarische Art und Weise Engpässe ausgleichen.

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Piloten als Lokführer?
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Mobilität neu denken

Eine solche kurzfristige Strategie sollte mit der Weitsicht kombiniert werden, Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise mit solchen gegen die Klimakrise zu verbinden. Zwar hat die Regierung umfassende Pläne vorgelegt, um den Umbau des Mobilitätssektors voranzutreiben, doch der verkehrs- und klimapolitisch dringende Ausbau des öffentlichen Verkehrs wird auch Auswirkungen auf viele Arbeitsplätze haben. Machen wir uns nichts vor: Mittelfristig werden Beschäftigte aus der Flug- und Autobranche in den Bau und Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel wechseln müssen.

"Die Bahn hat Zukunft und ist das unverzichtbare Rückgrat für die längst fällige Mobilitätswende."

Eigentlich sind die politischen Bedingungen dafür recht gut: Im Budget ab 2021 sind allein im ÖBB-Netz für Neubau, Instandhaltung und Elektrifizierung von Bahnstrecken innerhalb der nächsten sechs Jahre 17,5 Milliarden Euro vorgesehen. Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember sind 120 Züge mehr unterwegs. Das Streckennetz der Nachtzüge wird kontinuierlich ausgebaut, die Nachtzugflotte soll in den nächsten Jahren verdoppelt werden. Die ÖBB ist damit unumstrittene Vorreiterin in Europa, um das System der Nachtzüge wieder zu beleben und attraktiv zu machen.

Umfassender Dienstleister

Die Bahn hat also Zukunft und ist das unverzichtbare Rückgrat für die längst fällige Mobilitätswende. Weiters könnte das 1-2-3-Klimaticket dazu führen, dass der öffentliche Verkehr deutlich mehr genutzt wird.

Dagegen fristet der Flugverkehr – trotz aller Unterstützungen durch die öffentliche Hand – Corona-bedingt derzeit eher ein Schattendasein. Der jüngste Einbruch des Flugverkehrs und das klimapolitische Ziel, das klimaschädliche Fliegen auch nach dem Ende der Pandemie drastisch zu reduzieren, sprechen für einen pragmatischen Vorschlag: Die Austrian Airlines könnten von der Lufthansa übernommen und in die ÖBB integriert werden. Gemeinsam treten ÖBB und AUA als umfassender Mobilitätsdienstleister auf.

Bis zur letzten Meile

Die Idee ist einfach: Der Kunde bucht nicht mehr den Flug, sondern eine Reise. Der Mobilitätsdienstleister ÖBB hätte die Aufgabe, die Kunden von A nach B zu bringen, und zwar inklusive der sogenannten ersten und letzten Meile. Guter Service und Zusatzangebote, wie etwa Übernachtungsbuchungen, würden dann im Vordergrund stehen und nicht nur die bloße Beförderung in einem Flugzeug. Das bedeutet: Für Kurzstrecken sollte dann ausschließlich die Bahn genutzt werden. Die Hubfunktion eines Flughafens würde nicht mehr bedeuten, von einem Flugzeug in ein anderes umzusteigen, sondern eher von einem Langstreckenflug in den Zug. Es gäbe dann nur noch Flüge zu Destinationen, die sinnvollerweise nicht per Bahn erreichbar sind. Von Wien nach Frankfurt oder Berlin zu jetten, würde der Vergangenheit angehören.

Damit dies auch tatsächlich funktioniert, muss sich nicht nur die Reisekultur ändern, sondern auch die Politik: Eine empfindlich höhere Ticketabgabe sollte verhindern, dass andere Fluglinien den Kurzstreckenmarkt bedienen. Die Bundesländer Wien und Niederösterreich halten gemeinsam 40 Prozent der Anteile an Wien-Schwechat und müssen ihren Einfluss nutzen, damit der Flughafen sein bisheriges Geschäftsmodell ändert und künftig Sozial- und Umweltdumping unterbindet. So hat das Flughafenmanagement die Landegebühren für 2020 auf null reduziert. Das ist wirtschafts- und klimapolitischer Unfug.

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Der Flugverkehr fristet derzeit Corona-bedingt ein Schattendasein.
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Attraktive Arbeitsplätze

Nun kommt das Killerargument: die Arbeitsplätze! Die seien, so wird ins Feld geführt, durch den Rückbau des Flugverkehrs gefährdet. Mitnichten. Die Integration der AUA in die ÖBB hätte den Vorteil, dass zahlreiche Arbeitsplätze erhalten blieben und deren Qualität gesteigert würde. Der Boom von Billigfliegern hat auch die Arbeitsbedingungen und das Lohnniveau bei den Austrian Airlines massiv verschlechtert. So erhält ein neu angestellter Flugbegleiter bei der AUA einen Grundgehalt von 1443 Euro brutto. Bei den ÖBB liegt der Einsteigerbezug von Zugbegleiterinnen um immerhin 500 Euro höher!

Können und sollen auch Piloten auf dringend benötigte Lokführer umgeschult werden? Was auf den ersten Blick absurd erscheint, ist in der Schweiz bereits Realität: Bei den SBB sind bereits ehemalige oder sogar aktive Piloten im Team. Derzeit treffen dort viele Bewerbungen aus der Flugbranche ein.

Weitere attraktive Arbeitsplätze werden beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs entstehen. Der sozialökologische Umbau wird im Verkehrsbereich somit nicht zulasten der Beschäftigten gehen. Deren Bereitschaft, sich für einen zukunftssicheren Job umschulen zu lassen, sowie Weitsicht beim Management und in der Politik sind gefragt, um Österreich zu einem klimapolitischen Vorreiter zu machen. (Ulrich Brand, Heinz Högelsberger, 18.12.2020)