"Wie ein Tier auf den Boden blicken"Landschaft unter Wasser: Mit seinem begehbaren Gemälde schafft Hugo Canoilas einen maritimen Erlebnisraum und besiedelt ihn mit animalischen Bewohnern aus Glas und Wolle.

Mumok/Klaus Pichler

Der aus Lissabon stammende und seit 2010 in Wien lebende Hugo Canoilas macht mit On the extremes of good and evil Malerei begehbar, feiert die Schönheit des Ozeans, hinterfragt zerstörerisches Handeln und holt Hunde auf den Meeresgrund.

Schon von weitem sieht man Azurblau vor hellem Horizont. Noch bevor man durch die Tür des Ausstellungsraums im dritten Untergeschoß im Mumok tritt, blickt man auf Hugo Canoilas’ horizontales Gemälde wie aufs offene Meer. Die Wände sind kahl, der Boden wird hier zur Ausstellungsfläche. Darf man hier einfach eintauchen? "Unbedingt", lautet die Antwort des Künstlers und diesjährigen Preisträgers. Hinsetzen dürfe man sich auch, fügt Kurator Rainer Fuchs hinzu. Sogar auf die Stellen mit der Farbe. Lediglich die Objekte aus Glas und Wolle sollten ausgespart werden.

Für seine Einzelschau On the extremes of good and evil hat der portugiesische Künstler den gesamten Raum mit blauem Teppichboden ausgelegt. Darauf bilden sich dicke Farblacken zu bunten Inseln. An manchen Stellen sieht man Schlieren und Flecken.

Dazwischen hat Canoilas Meeresbewohner aus Glas und Textilien gesetzt. Obwohl er bereits davor mit horizontalen Gemälden gearbeitet hat, sei dieses Werk allein von der Technik etwas Neues, sagt er. Damit wolle er den Ausstellungsraum zu einem Ort machen, an dem das Publikum selbst aktiv werden muss. Wie eine gewöhnliche Landschaft kann der bunte Meeresgrund gemeinsam mit Quallen und Rochen erkundet werden.

Der Kapsch Contemporary Art Prize fördert junge Kunstschaffende mit Lebensmittelpunkt in Österreich, ist mit 10.000 Euro dotiert und wird seit 2016 gemeinsam von Kapsch Group und Mumok vergeben.

STANDARD: Warum haben Sie sich entschieden, Ihre Arbeit hier im Mumok in die Horizontale zu kippen?

Canoilas: Dafür gibt es mehrere Gründe: erstens, weil ich den Boden bereits in der Vergangenheit als Werkfläche genutzt habe und das fortsetzen wollte. Zweitens, weil ich gerne mit unterschiedlichen Perspektiven spiele. In diesem Fall bringe ich die Besucher dazu, herabzublicken – und so eine tierische Perspektive einzunehmen. Das ist eine starke Verschiebung für das Publikum: Es blickt nicht wie ein Mensch nach vorne oder an die Wand gegenüber, sondern wie ein Tier auf den Boden. Und der dritte Grund ist, dass ich diesen Raum ausreizen und ihn so bespielen wollte, wie es die bisherigen Preisträger noch nicht getan haben.

STANDARD: Die gezeigte Installation ist Boden und raumfüllendes Gemälde zugleich und erinnert an die Tiefen des Ozeans – was bedeutet das Meer als malerisches Motiv für Sie?

Canoilas: Der Ozean war immer schon ein sehr schöpferisches Motiv für Künstler. In meiner Arbeit geht es um die Idee, unsere Perspektiven zu erweitern und unsere Handlungen zu hinterfragen. Wir müssen mit dem leben, was wir haben – und der Ozean ist ein Teil davon. Jeden Tag sterben dort aufs Neue Spezies durch unser Verhalten. Wie können wir mit unseren bereits vorhandenen Mitteln Lösungen innerhalb unseres Status quo finden? Wenn wir so weitermachen, wird es irgendwann dafür zu spät sein.

STANDARD: Was bedeutet der Titel On the extremes of good and evil in diesem Zusammenhang?

Canoilas: Damit möchte ich die binäre Konstruktion der Welt hinterfragen: Entweder sind wir Engel oder Teufel, Opfer oder Täter. Meine Ausstellung möchte das Dazwischen aufzeigen.

STANDARD: Also geht es darin um Schönheit und Katastrophe zugleich?

Canoilas: Es besteht immer eine große Gefahr darin, Katastrophe zu einem ästhetischen Ding zu machen. Alles Schöne in der Ausstellung entspringt der Idee natürlicher Kräfte: Formen, Farben und Materialien. Es ist schön, weil es die Natur imitiert.

STANDARD: Aber diese schöne Natur ist durch Umweltzerstörung bedroht …

Canoilas: Ich war immer ein Fan des Erhabenen. Damit meine ich diese Sensation, die uns das Gefühl gibt, nur ein kleiner Teil des Universums zu sein. So soll es auch in der Ausstellung sein. Die Besucher sind ein kleiner Teil dieses Kosmos, sie bringen die Realität in das Bild – und bauen so eine Brücke zwischen Kunst und der Welt da draußen.

STANDARD: Im Mumok verknüpfen Sie Malerei mit performativen Elementen: Sobald Veranstaltungen wieder erlaubt sind, werden Menschen in Hundekostümen über die Installation laufen. Wieso genau Hunde?

Canoilas: Da es ja um Perspektiven geht, habe ich jemanden eingeladen, der einen zweiten Blick auf das Werk wirft. Dafür haben die Künstlerinnen Elise Lammer und Julie Monot die Performance Becoming Dog kreiert. Jetzt fragt man sich natürlich, was Hunde da am Meeresgrund machen. Aber hat es denn Sinn gemacht, dass man die Hündin Laika ins Weltall geschickt hat? Wenn der Ozean das Gegenteil vom Weltraum ist, dann können wir auch einen Hund ins Meer bringen. Das ist das Gute an der Kunst: Man kann so etwas tun, ohne Konsequenzen zu fürchten. Die Arbeit produziert neue Assoziationen, auch wenn diese zunächst verrückt erscheinen oder physisch unmöglich sind.

STANDARD: Was fasziniert Sie so am Ozean?

Canoilas: Ich bin am Meer aufgewachsen. Aber auch, wenn ich hier geboren wäre, wäre ich fasziniert. Das Meer zu betrachten ist wie zum ersten Mal ein Kunstwerk zu sehen.

STANDARD: Warum sind Tiere so zentral in Ihrer Arbeit? Welche Hierarchien möchten Sie damit aufbrechen?

Canoilas: 2014 habe ich begonnen, lebensgroße Dinosaurier zu malen, um sie in Beziehung zu uns zu setzen. Seitdem sind Tiere wichtige Motive in meinem Werk. Um die meterlangen Leinwände für die riesigen Saurier zu bemalen, habe ich auf den Knien gearbeitet – und diese Tierperspektive erfahren. So bin ich auch im Mumok vorgegangen. Diese Sichtweise zwingt uns zu größerer Sensibilität. Und durch das Begehen und Spüren dieser unbekannten Landschaft werden wir als Betrachter aktiver Teil des Ganzen.

(INTERVIEW: Katharina Rustler, 18.12.2020)