Die Kommission zieht den Schluss, dass die österreichischen Behörden die Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie "nicht erfüllt haben", heißt es in dem Schreiben an die Bundesregierung, das dem STANDARD vorliegt.

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Eigentlich sollten Österreichs Pläne gegen Hass im Netz global tätige Unternehmen wie Facebook und Twitter dazu verpflichten, rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu entfernen. In der Realität dürfte ein großer Teil des Gesetzes, das am Donnerstag im Bundesrat verabschiedet wurde, aber überhaupt keine Wirkung haben – denn es ist EU-rechtswidrig. Diese Bedenken teilte die EU-Kommission in einer Bemerkung, die dem STANDARD und dem ORF vorliegt, im Rahmen des Notifizierungsverfahrens der Bundesregierung mit.

Das Paket der Regierung besteht aus zwei Teilen: Das grüne Justizministerium erarbeitete das Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetz, das vor allem die juristische Verfolgung von rechtswidrigen Inhalten regelt. Im Tandem bastelte das türkise Verfassungsministerium am Kommunikationsplattformengesetz, das Onlineplattformen zu Meldesystemen zwingt.

Keine Anwendung im EU-Ausland

Bei Letzterem könnten sich grobe Probleme auftun: Es dürfte außerhalb Österreichs keine Anwendung finden, weil es gegen die E-Commerce-Richtlinie der EU verstößt. Die Richtlinie zur Regelung des elektronischen Geschäftsverkehrs sieht nämlich vor, dass Diensteanbieter im Netz lediglich dem Recht jenes Landes, in dem sie ihren Sitz haben, unterliegen. Demnach dürfte Österreich keine strengeren Vorgaben vorsehen als das Herkunftsland des jeweiligen Betreibers, wie der Jurist Lukas Feiler von der Kanzlei Baker McKenzie erklärt. Die Kommission schreibt in ihrer Bemerkung zu diesem Herkunftslandprinzip: "Die Verhältnismäßigkeit der Beschränkung gegenüber dem verfolgten Ziel und insbesondere die Frage, ob weniger restriktive Maßnahmen zum gleichen politischen Ergebnis führen könnten, wurden jedoch nicht gerechtfertigt."

Die EU-Richtlinie sieht Ausnahmen in dringlichen Fällen vor, worauf sich die Bundesregierung auch berufen hat, um ihr Vorhaben zu begründen. Auch dafür erhielt sie eine Absage: Die "Tatsache, dass sich die österreichischen Behörden" auf das Dringlichkeitsverfahren "berufen, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern, da die darin festgelegten Bedingungen nicht erfüllt sind", heißt es in der Bemerkung.

Vorgaben "nicht erfüllt"

"Die österreichischen Behörden haben keine ausreichenden Gründe vorgebracht, die ihren Standpunkt untermauern", dass "Dringlichkeit geboten ist". Das Fazit: Die Kommission zieht den Schluss, dass die österreichischen Behörden die Vorgaben der Richtlinie, die eine Abweichung vom Herkunftslandprinzip erlauben würden, "nicht erfüllt haben".

Ein Vertragsverletzungsverfahren, das die EU einleiten könnte, wenn sich ein Mitgliedsstaat nicht an Unionsrecht hält, wird es aber trotzdem "mit Sicherheit" nicht geben, wie es aus Kommissionskreisen gegenüber dem STANDARD heißt. Grundsätzlich unterstütze die Kommission das Vorhaben.

Keine Stillhaltefrist

Das Schreiben der Kommission ist eine Bemerkung, im Gegensatz zu einer Stellungnahme gibt es also keine Verlängerung der Stillhaltefrist, weswegen die Regierungsmehrheit das Gesetz in der vergangenen Woche im Parlament verabschieden konnte. Doch auch wenn es zu keinem Vertragsverletzungsverfahren kommt, dürften die Regeln in der Praxis keine Anwendung finden: So werden Plattformen wie Facebook und Google sich vor Gericht wehren können. Bereits österreichische Gerichte, die sich mit Löschaufforderungen befassen, müssten aufgrund des Anwendungsvorrangs der EU-Richtlinie dem österreichischen Rechtstext eine Absage erteilen.

Das Gesetz würde somit nur für Unternehmen in Österreich gelten – und selbst das ist fraglich, da das österreichische Anbieter diskriminiert und somit den Gleichheitssatz der Verfassung verletzen könnte.

Das Vorhaben, das bereits mit Jänner 2021 in Kraft tritt, würde eigentlich vorsehen, dass Onlineplattformen rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden, in fraglichen Fällen sieben Tagen, nach Meldung entfernen. Gelten würde das für Unternehmen mit mehr als 100.000 Nutzern oder einem Jahresumsatz von mehr als 500.000 Euro.

Viele Ausnahmen vorgesehen

Die Regulierungsbehörde Komm Austria soll systematische Verstöße verfolgen und mit Strafen in Höhe von bis zu zehn Millionen Euro ahnden. Dabei hat die Regierung eine Reihe an Ausnahmen vorgesehen: Von den strittigen Regeln ausgenommen sind jedenfalls nichtgewinnorientierte Plattformen, Enzyklopädien, Handels- und Bildungsplattformen, Zeitungsforen sowie Videoanbieter. Fallen nun auch noch Unternehmen weg, die im EU-Ausland sitzen, zielt das Gesetz de facto ins Leere.

Aus dem Verfassungsministerium heißt es, dass die EU-Kommission ähnliche Bedenken auch im Fall des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (Netz-DG) vorgebracht habe – das findet aber dennoch Anwendung. Grundsätzlich wird ohnehin eine ähnliche Lösung auf europäischer Ebene geplant: der Digital Services Act, der diese Woche präsentiert wurde.

"Tempomacher in Europa"

Für eine europäische Lösung habe sich Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) "von Beginn an ausgesprochen". Warum wartete man dann keine europäische Lösung ab? "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dies erst der Beginn eines Prozesses auf europäischer Ebene ist und es möglicherweise noch Jahre dauern kann, bis diese Verordnung tatsächlich in Kraft tritt", sagte Edtstadler zu STANDARD und ORF, "bis dahin werden wir mit dem Kommunikationsplattformengesetz in Österreich vorangehen und im Kampf gegen Hass im Netz Tempomacher in Europa sein."

Nicht infrage gestellt wurde von der EU-Kommission der Entwurf aus dem grünen Justizministerium. Dieser sieht zivilrechtliche Eilverfahren vor, über die Betroffene Hasspostings schneller entfernen lassen können, indem sie rasch einen Antrag auf Unterlassung erwirken. Dazu kommen auch Erweiterungen von Tatbeständen, darunter das sogenannte Upskirting – also das ungewollte Fotografieren intimer Stellen, beispielsweise unter dem Rock – sowie die Verbreitung derartiger Bilder. Auch wurde der Verhetzungsparagraf verschärft. So sind künftig auch Beleidigungen gegen eine Einzelperson auf diese Weise verfolgbar, bisher galt er nur für Beschimpfungen, die eine ganze Gruppe in ihrer Menschenwürde verletzen. Solche Delikte konnten Betroffene nur als Beleidigung privat klagen, als Verhetzung werden sie nun amtlich verfolgt. Auch Cybermobbing wird künftig strenger geahndet, so ist bereits die einmalige Veröffentlichung von Nacktbildern strafbar. (Muzayen Al-Youssef, Fabian Schmid, 17.12.2020)