Erfolgreiche Pandemiebekämpfung ist auf epidemiologische Daten angewiesen. Die aktuelle Covid-19-Clusteranalyse der Ages legt evidenzbasierte Entscheidungsgrundlagen vor.

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Wien – Schule auf. Schule zu. Und wie weiter? Die jüngeren Kinder sind seit den Herbstferien wieder im Präsenzunterricht, die Oberstufenklassen seit November im Distance-Learning. Der dritte Lockdown bringt nun einen Schulstart (wie üblich) am 7. Jänner, jedoch für alle im Distanzmodus. Ab 18. Jänner sollen wieder alle Schülerinnen und Schüler Unterricht vor Ort in den Schulen erhalten – allerdings nur mit einem Antigentest, der nicht älter als eine Woche ist.

Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer, die keinen negativen Corona-Test haben, müssen dann eine FFP2-Maske tragen. Außerdem werden Lehrkräfte, so wie auch Elementarpädagoginnen, künftig einmal pro Woche auf das Coronavirus getestet. Mit dem Bundesheer soll dafür eine permanente Infrastruktur für Gratis-Tests aufgestellt werden, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Pressekonferenz der Regierung am Freitagabend. Tests in Schulen seien besonders wichtig, verpflichtende Tests sollen erst ab einer gewissen Altersstufe kommen, Details wurden für Samstagvormittag versprochen.

Ages-Clusteranalyse liefert epidemiologische Daten

Da sich die Schulen als einer der umkämpftesten Orte in der Pandemiedebatte entpuppt haben, empfiehlt sich ein nüchterner Blick auf die epidemiologischen Daten. Wie schaut das Infektionsgeschehen im jungen Alterssegment also jetzt – nach eineinhalb Lockdowns und vor dem nächsten – überhaupt aus?

Sachdienliche Hinweise liefert die neueste Covid-19-Clusteranalyse der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) über die unter 25-Jährigen mit Stand 16. Dezember, die dem STANDARD vorliegt. Generell lässt sich mit Blick auf die fünf definierten, jungen Altersgruppen (Kinder unter sechs, Sechs- bis Neunjährige, Zehn- bis Vierzehnjährige, Fünfzehn- bis Zwanzigjährige und 20- bis 24-Jährige) sagen, dass die Zahl der Infektionsfälle mit steigendem Alter stetig ansteigt.

In der Schülerpopulation haben Teenager im Alter von 15 bis 19 den größten Anteil an den Infektionen (Kalenderwochen/KW 36–50, 31. August bis 13. Dezember bis maximal elf Prozent der wöchentlichen Fallpopulation). "Die unter 15-Jährigen wiederum sind weit weniger stark betroffen, das könnte – neben altersspezifischem Risikoverhalten – auch auf eine geringere Empfänglichkeit für das Virus hinweisend sein", erklärt Ages-Epidemiologin Daniela Schmid im STANDARD-Gespräch. Sie ist Leiterin der Abteilung Surveillance und Infektionsepidemiologie und Sprecherin der Corona-Kommission.

Expertenappell für eine europäische Covid-19-Strategie

Außerdem ist Schmid eine von mehr als 300 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus Europa, die in einem in der renommierten Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichten Positionspapier eine "europäische Strategie zur raschen und nachhaltigen Reduktion der COVID-19-Fallzahlen" fordern. Formuliert wurde der Appell von 20 internationalen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Virologie, Epidemiologie, Modellierung und Ökonomie, angeführt von Viola Priesemann (Physikerin, Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation), Melanie Brinkmann (Virologin, Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung) und Sandra Ciesek (Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt). Aus Österreich im Autorenteam: Gesundheitsökonom Thomas Czipionka (IHS), Modellierer Peter Klimek (Complexity Science Hub Vienna/Med-Uni Wien) und Epidemiologin Eva Schernhammer (Med-Uni Wien).

Zurück zur Clusteranalyse: Vergangene Woche entfielen von den österreichweit insgesamt 18.716 Infektionsfällen 10,01 Prozent auf die U20-Gruppe (unter sechs: 0,87 Prozent, sechs bis neun: 1,42 Prozent, zehn bis vierzehn: 3,08 Prozent, 15 bis 19: 4,64 Prozent).

Virusübertragung vor allem im Haushalt

Basierend auf den Clusteranalysedaten ist der Haushalt das wichtigste Setting der Virustransmission. Darauf lässt sich der größte Anteil auch der "jungen" Infektionen zurückführen, laut Schmid zwischen 60 und 90 Prozent der Fälle mit abgeklärter Quelle bei den unter 20-Jährigen: "Selbstverständlich passieren Übertragungen auch im Bildungsbereich, aber der Hauptanteil der Virusexposition beziehungsweise des Infektionserwerbs dürfte bei Kindern unter zehn Jahren im eigenen Haushalt liegen."

Ein Blick auf die vergangenen sechs Wochen zeigt, dass der Anteil des Haushalts als "Übertragungssetting" für die unter 25-Jährigen stetig zunimmt – von rund 58 Prozent in Kalenderwoche 45 (2. bis 8. November) auf 80 Prozent in der vergangenen Kalenderwoche 50. Dazwischen liegen die Lockdown-Wochen 47, 48 und 49 (16. November bis 6. Dezember) mit de facto geschlossenen, für Betreuung aber doch offenen Schulen sowie Distanzunterricht für die Oberstufen.

Die dem Freizeitbereich zuordenbaren Corona-Cluster sind insgesamt eher klein, der Anteil der bei Freizeitaktivitäten erworbenen Covid-19-Infektionen in der jungen Altersgruppe wächst aber, je älter die Jugendlichen werden, weil die über 15-Jährigen freizeitaktiver sind, erklärt Epidemiologin Schmid: "An den Lockdown-Wochen sehen wir, dass dann, sobald die Jugendlichen in ihrer Freizeitaktivität und Mobilität eingeschränkt sind, die Infektionszahlen in dieser Altersgruppe auch stark heruntergegangen sind."

Nur Distance-Learning bringt's nicht

Wohingegen die bloße Verhängung des Distance-Learnings die Freizeitcluster, in die 15- bis 19-Jährige verwickelt waren, deutlich weniger gebremst hat. War in Kalenderwoche 45 noch mehr als ein Fünftel (21,4 Prozent, 250 Personen) der Freizeitcluster auf die Altersgruppe 15 bis 19 zurückzuführen – rund dreimal so viele wie bei unter Zehnjährigen und fast doppelt so viele wie in der Gruppe von zehn bis vierzehn (11,2 Prozent, 84 Kinder) –, so halbierte sich dieser Anteil zwar binnen zwei Lockdown-Wochen auf 11,5 Prozent, aber erst die rigiden Ausgangsbeschränkungen des harten Lockdowns ab 30. November verkleinerten die Teenie-Freizeitcluster-Auslöser auf drei Prozent (drei Fälle).

Der Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln, den viele oft als versteckte Infektionsquelle vermuten, kann durch die Daten nicht bestätigt werden. Die Clusterkategorie Transport spielt eine kaum messbare Rolle. In den sechs Kalenderwochen 45–50 gab es exakt sechs Fälle, in denen ein Kind unter neun sowie fünf Jugendliche zwischen 15 und 19 einem Transportcluster zugeordnet wurden.

Das Virus zirkuliert unkontrolliert

Wie erklärt sich der stabil hohe Haushaltsanteil an den Corona-Clustern? "Die Zunahme von Haushaltsclustern ist ein Zeichen für die sich etablierende 'community transmission', die unkontrollierte Viruszirkulation in der Bevölkerung – und damit einen zunehmenden Anteil der Fälle ohne identifizierbare Infektionsquelle", erklärt Schmid. "Bei hoher Virusaktivität in der Gesellschaft führt das Schließen des öffentlichen Lebens zu einer Verschiebung der Viruszirkulation in den Haushaltsbereich, bis theoretisch alle dortigen Empfänglichen infiziert sind. Durch das Schließen von Bildungseinrichtungen und das Nachhauseschicken der Kinder ins Distance-Learning nimmt man sich auch die Möglichkeit, die Compliance mit den empfohlenen Präventionsmaßnahmen, also deren Einhaltung, wie das in den Bildungseinrichtungen passiert, zu fordern. Das und der enge Kontakt im Haushaltssetting fördert die Virustransmission unter den Haushaltmitgliedern, insbesondere älteren Familienmitgliedern. Insofern können Schulschließungen auch aus infektionsepidemiologischer Sicht nicht nur einen positiven Effekt auf die Entwicklung der Virusverbreitung haben."

Inzidenz nach Lockdown und Distanzunterricht wie vorher

Und was haben die Lockdowns und das Distance-Learning nun an den Infektionszahlen – den Sars-CoV-2-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner – der jungen Altersgruppe geändert? "Wir sind mit der Inzidenz in Kalenderwoche 50 bei den unter 19-Jährigen dort, wo wir in Kalenderwoche 42 waren, als die Schulen noch für alle offen waren", sagt die Ages-Expertin. Zwischen 12. und 18. Oktober betrug sie bei den unter Sechsjährigen 28, zwischen 7. und 13. Dezember 31. Bei den Sechs- bis Neunjährigen lag sie in Kalenderwoche 42 bei 67, zuletzt bei 78. In der Gruppe der Zehn- bis Vierzehnjährigen zeigt der Vergleich 141 damals, 136 jetzt; für 15- bis 19-Jährige im Oktober 178, im Dezember 198.

Lehrkräfte signifikant öfter Clusterauslöser in Schulen

Bleibt die Kernfrage: Wer bringt das Virus in die Schulen hinein? Aus der Ages-Analyse der Primärfälle, die als Ausgangspunkt eines Clusters identifiziert werden, geht laut Schmid hervor: "Ein signifikant hoher Anteil an Lehrkräften stellt Clusterauslöser dar." So waren in Kalenderwoche 45 (Beginn Lockdown light) 64 der 83 Bildungscluster wahrscheinlich auf Pädagogen zurückzuführen, acht auf Zehn- bis Vierzehnjährige, drei auf 15- bis 19-Jährige. Zwei gingen auf unter Sechsjährige zurück, einer auf die Altersgruppe sechs bis neun. In der Kalenderwoche 48 (vierte Lockdown-Woche) wurden 16 der 20 Bildungscluster von Lehrkräften verursacht, bei fünf war die Primärquelle in der Altersgruppe 15 bis 19, bei einem ein sechs- bis zehnjähriges Schulkind.

Mit Corona-Tests für Lehrer und Schüler gegen das Virus

Das heißt, sagt Schmid: "Wir haben aus den Daten keinen Hinweis darauf, dass Kinder im Pflichtschulalter die Schulen zu Hotspots machen. Als präventive Maßnahme scheint es effektiv zu sein, die Viruszirkulation durch laufende Antigentests in der Lehrerpopulation niedrig zu halten, eventuell abgesichert durch PCR-Tests, den Luxus sollten wir uns leisten, um unnötige Heimisolation zu vermeiden. So sollte es möglich sein, den Viruseintrag in die Bildungseinrichtungen zuverlässig auf ein mögliches Minimum zu reduzieren."

Lehrerinnen und Lehrer seien "Teil der Community-Transmission". Das heißt: Sie sind mobil, reproduktiv in der Arbeit, gehen Freizeitaktivitäten nach "und haben somit ein vergleichbares Infektionsrisiko wie andere Berufsgruppen, die nicht im Homeoffice arbeiten", sagt die Expertin.

"Die Schülerinnen und Schüler sollten auf jeden Fall in die Schule zurückkehren", betont Schmid, "aber auch sie müssen akribisch monitiert werden", also ebenfalls systematisch getestet. In welcher Frequenz und mit welchem Testverfahren das am sinnvollsten geschehen soll, werde derzeit vom Complexity Science Hub Vienna in Kooperation mit der Ages modelliert. Auf dieser Basis werde dann eine – wie immer unverbindliche – Empfehlung an die Politik für "datenbasierte präventive Maßnahmen für ein Offenhalten der Schulen" ergehen.

Was Daten aussagen und was nicht

Die Ages-Bildungscluster-Daten stehen übrigens nicht im Widerspruch zur oft angeführten Gurgeltest-Studie, bei der in der ersten Erhebungsrunde für den Untersuchungszeitraum 28. September bis 22. Oktober insgesamt 0,4 Prozent Sars-CoV-2-positiv getestete Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer in Pflichtschulen (Volksschulen, Mittelschulen, AHS-Unterstufe) gefunden wurden. 40 von 10.156 Tests waren also positiv. Kinder unter zehn Jahren sind laut dieser Studie genauso häufig infiziert wie die Lehrkräfte.

Betonung auf infiziert, denn, so betont die Epidemiologin Schmid: "Daraus sollen und können keine Rückschlüsse auf die Empfänglichkeit gegenüber dem Virus und die Übertragungsfähigkeit im Kindesalter gezogen werden." Bei der Gurgeltest-Studie handle es sich um eine reine Prävalenzstudie, sie besagt also nur, wie viele Pflichtschüler beziehungsweise Lehrkräfte in den untersuchten Schulen im jeweiligen Erhebungszeitraum positiv getestet wurden. Sie beziffert die gerade aktuelle Häufigkeit aktiver Covid-19-Infektionen, kann aber nicht beantworten, ob diese vier Promille Schulkinder jemals ansteckend waren oder selbst krank wurden. (Lisa Nimmervoll, 19.12.2020)