Der 1970 errichtete Seoul-Station-Overpass überbrückt die zentralen Gleisanlagen, sodass man früher mit dem Auto vom Bahnhof aus bequem den traditionellen Namdaemun-Markt erreichen konnte. Nachdem Sicherheitsinspektionen im Jahr 2006 gravierende konstruktive Mängel aufzeigten, musste die Autobahnbrücke jedoch von einem Tag auf den anderen gesperrt werden – und löste damit einen jahrelangen Nachdenk- und Diskussionsprozess aus. Statt Abriss und Neubau entschied sich die Stadt dazu, das Bauwerk zu erhalten, die Betonstruktur zu sanieren und darauf einen tausend Meter langen Skygarden für Jogger und Flaneure anzulegen.

Einst wurde im ENCI-Steinbruch bei Maastricht Kalk abgebaut. Heute badet man auf dem renaturierten Areal in wilder Kulisse.
Foto: Rademacher

"Wo vor einigen Jahren noch pro Stunde tausende Autos über den Asphalt gefahren sind", sagt Winy Maas vom niederländischen Architekturbüro MRVDV, "haben wir nun 24.000 Blumen, Büsche und Bäume gepflanzt – darunter mehr als 250 verschiedene Arten, die in diesen Breitengraden typischerweise zu Hause sind." Der Aufbau einer natürlichen Humusschicht war aus statischen Gründen nicht möglich. Daher entschied sich MVRDV, aus der Not eine Tugend zu machen und die Flora in 645 zylindrische Betontröge mit unterschiedlichen Durchmessern zu setzen. "Das Verständnis von städtischem Grund und Boden hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten radikal verändert", so Maas. "Auf diese Weise konnten wir den Menschen einen wertvollen öffentlichen Freiraum zurückgeben."

Best-Practice-Projekte

Die Entstehungsgeschichte des Seoullo 7017 Skygarden, seit rund drei Jahren in Betrieb, ist eines von rund 20 positiven, ja fast schon euphorischen Fallbeispielen, die zurzeit im Architekturzentrum Wien (AzW) zu sehen sind. Unter den weiteren Best-Practice-Projekten finden sich Kunstprojekte, Forschungsbauernhöfe, Initiativen zur Rettung von Grünland, Konzepte für ein schönes Leben ohne Rendite, gemeinschaftliche Quartiersentwicklungen, politische und steuerrechtliche Werkzeuge aus Kolumbien oder etwa die ENCI-Kalkgrube in Maastricht, die 2008 stillgelegt wurde und in den letzten Jahren in ein Naturreservat umgewandelt wurde. Ein Paradies für Badende, während im Hintergrund als Relikt einer vergangenen Zeit patinierte Kessel und Schornsteine in den Himmel ragen.

In Seoul wurde eine städtische Autobahn in einen Park umgebaut.
Foto: de Vries Architects, Ossip van Duivenbode

In diesem Teil der kürzlich eröffneten Ausstellung Boden für Alle empfiehlt es sich, länger zu verweilen und gute Energie zu tanken. Denn abgesehen davon wird man in den übrigen sechs Stationen der Ausstellung – eine Art österreichisches Bodenpolitik-Einmaleins für Gestalter und Entscheiderinnen – mit Zahlen, Daten, Fakten konfrontiert, die zum Teil so schockierend sind, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Die comichafte Gestaltung der Ausstellung (genial gelöst: Planet Architects, LWZ und Manuel Radde), die das Unfassbare in Sprechblasen, Denk-Bubbles und Krachbumm-Gewitterwolken packt, hilft einem, ob der recherchierten Statistiken nicht schreiend davonzulaufen.

Pro Minute werden in Österreich zehn Quadratmeter Straße gebaut. Im gleichen Zeitraum gehen 30 Quadratmeter Ackerfläche verloren. Allein in der Steiermark gibt es 157,5 Quadratkilometer gewidmete, unbebaute Baulandreserven. Das ist mehr als die gesamte Stadtfläche von Graz. Dadurch steigt der Wert von Bauland in Österreich um durchschnittlich 750 Euro pro Sekunde. Am stärksten ist der Wertzuwachs in Kitzbühel. Durch die Umwidmung von Grünland zu Bauland können Grundstückseigentümer im Tiroler Nobelsportort bis zu 16.000 Prozent Gewinn machen.

Aussicht auf Lösungen

"Raumplanung und Bodenpolitik sind ein sehr komplexes Thema, bei dem Bauwirtschaft, Gemeindepolitik und Immobilienspekulation eng miteinander verflochten sind", sagt Katharina Ritter, die die auf den ersten Blick so sympathisch wirkende Ausstellung (außen hui, innen heftig) gemeinsam mit Karoline Mayer kuratierte. "Unser Ziel ist es, diese Verknüpfungen sichtbar zu machen und auch darzustellen, welche Rolle jeder Einzelne, jede Einzelne von uns in diesem großen Monopoly-Spiel einnimmt."

Der klassische Traum des Österreichers ist immer noch das eigene Häuschen auf der grünen Wiese. Dass dieser Wunsch nicht ohne raumplanerischen Super-GAU in Sachen Versiegelung, Zersiedelung, Individualverkehr, Erschließungskosten und CO2-Belastung realisierbar ist, dürfte sich schon herumgesprochen haben. Neu ist die Erkenntnis, dass dieser Wunsch Herrn Otto Normalverbraucher und Frau Monika Mustermann unter den bestehenden Bedingungen mehr als leicht zu erfüllen wäre: Wollte man die städtischen Wohnungen entleeren und die gesamte österreichische Bevölkerung auf die in diesem Land bestehenden Ein- und Zweifamilienhäuser aufteilen, dann würde das einen Schlüssel von 4,16 Bewohnern pro Wohneinheit ergeben. Es ist also schon alles gebaut, was wir brauchen. Was wollen wir mehr?

Vorausgesetzt, man bringt die Zeit und Energie mit, sich durch das Kompendium durchzuarbeiten, bietet die Ausstellung Boden für Alle am Ende allen Frustes wunderbare Aussicht auf Lösungen: Da ist die Rede von der Mehrwertabgabe im Schweizer Kanton Basel-Stadt. Da ist die Rede von der überaus innovativen Contribución de Valorización in Manizales, Kolumbien. Und da ist die Rede vom Südtiroler Bauleitplan, demnach neues Bauland stets an bestehendes Bauland angrenzen muss. Es würde ja so leicht gehen!

Dieser Artikel ist ein Appell an die Bundes-, Landes- und Gemeindepolitik: Pflichtexkursion ins AzW! Dann erfährt man auch, warum Bayern einer der größten Bodenbesitzer in Österreich ist. (Wojciech Czaja, 20.12.2020)