Arminia Bielefeld ist wichtiger als Manchester City, wichtiger als Borussia Dortmund, wichtiger als Bayern München. Schalke 04 spielte in den letzten Jahren einige bedeutsame Partien, mal peinlich wie das 0:7 im CL-Achtelfinale gegen City, mal heroisch wie beim 4:4 nach 0:4-Rückstand im Revierderby gegen den verhassten BVB. Doch das Heimspiel am Samstag gegen Arminia Bielefeld könnte die Geschichte des Traditionsvereins mehr bestimmen als jedes andere der jüngeren Vergangenheit.

Kaum einer kennt Schalke wie Huub Stevens. Ob das reicht?
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Schalke hat nämlich 28 Bundesliga-Spiele in Folge nicht gewonnen. Der Negativrekord von Tasmania Berlin (31 Spiele) baut sich hinter den Gelsenkirchnern auf, sein Schatten überdeckt auf Schalke jedes andere Thema. Tasmania hatte damals unverhofft einen Erstliga-Startplatz bekommen, die schlechteste Mannschaft der Bundesliga-Geschichte gewann in der ganzen Saison nur zwei Matches.

Stevens übernimmt

Freitagfrüh zog die Klubführung ihren letzten Joker in der Dauerkrise: Schalkes Jahrhunderttrainer Huub Stevens ersetzt für die letzten zwei Spiele vor dem Jahreswechsel Manuel Baum als Trainer. Der 67-Jährige coachte die Königsblauen schon dreimal, zuletzt war er im Frühling 2019 als Feuerwehrmann eingesprungen.

Unter dem Niederländer gewannen die Königsblauen 1997 den Uefa-Cup, 2001 und 2002 führte er das Team zum DFB-Pokalsieg. Der "Knurrer von Kerkrade" ist auch Aufsichtsrat auf Schalke, Ex-Rapid-Trainer Mike Büskens wird ihm als Co zur Seite stehen. Für den Trainerposten nach der Interimslösung sollen laut Medienberichten unter anderem Thorsten Fink und Friedhelm Funkel in Frage kommen.

Angst vor dem Rekord

Die aktuelle Lage hatte offenbar zu viel Druck aufgebaut, Tasmanias Rekord droht. Nach 15 Spielen war es noch ein Witz. Tasmania Schalke, höhöhö. Nach 21 Spielen war es ein unrealistisches Worst-Case-Szenario. Die nächsten drei Gegner hießen damals Stuttgart, Mainz und Wolfsburg, man durfte auf Erfolge hoffen. Schalke holte zwei Punkte.

Benito Raman leidet. Seiner Mannschaft droht der bitterste Rekord im deutschen Fußball.
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Vergangenes Wochenende in Augsburg war die Erlösung greifbar. 2:1-Führung, Überzahl, Nachspielzeit. Dann ließ Schalkes Defensive Marco Richter aus vier Metern unbedrängt einköpfeln. Wieder kein Sieg, weiter der letzte Platz. Am Mittwoch folgte ein 0:2 gegen Freiburg. Und nun, nach 28 Spielen, ist der Rekord erschreckend nah.

Finale, o weh

Das Heimspiel gegen Arminia am Samstag (15.30 Uhr) fühlt sich an wie ein Finale. Ein einfacheres Spiel gibt es in der deutschen Bundesliga kaum, der Aufsteiger hat aus den letzten zehn Spielen nur drei Punkte geholt. Das ist, kaum zu glauben, noch weniger als Schalke.

Gelingt gegen die Arminen auch kein Sieg, könnten die Königsblauen mit den Österreichern Alessandro Schöpf und Michael Langer den ewigen Schandfleck nur noch im Gastspiel bei Hertha Berlin und zu Hause gegen Hoffenheim verhindern. Keine Unmöglichkeiten, aber spürbar schwieriger. Und ein Sieg hier, ein Remis da werden nicht reichen, um der wirklich verheerenden Gefahr zu entgehen: dem Abstieg.

Der Name reicht nicht

Der deutsche Fußball hat im vergangenen Jahrzehnt gelernt: Hamburger SV, 1. FC Köln oder eben Schalke 04 zu heißen ist kein Garant für den Klassenerhalt. Tradition allein gewinnt keine Schnittpartien gegen die Freiburgs und Augsburgs dieser Welt.

Schon in der Vorsaison rettete Schalke nur ein starker Herbst vor dem Abstieg. Zu Weihnachten waren die "Knappen" Fünfte, die Rückrunde begann mit einem 2:0 gegen Mönchengladbach gut. Es war bis heute der letzte Sieg.

Ein 0:5 gegen die Bayern läutete den Einbruch ein, in den verbleibenden 15 Partien sammelte Schalke sechs Punkte. Für kaum einen Klub sind die Fans so wichtig – und kaum ein Klub ist für seine Fans so wichtig. Mag sein, dass die Geisterspiele zusätzlich schaden. Aber der Niedergang begann schon sieben Spiele vor der Verbannung der Fans aus den Stadien.

Neues, o weh

Schalke hat viel versucht: Neuer Trainer, neue Spieler, neuer Finanzvorstand, neuer Kaderplaner, nach Protesten um den Corona-Cluster in seiner Fleischfabrik trat sogar der Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies zurück. "Dieser Tag ist eine Zäsur für den FC Schalke 04. Ein 'Weiter so' kann und wird es nicht geben", sagte Vorstand Alexander Jobst am Tag danach. Die Botschaft: Schalke müsse kürzertreten.

Die Finanzen lagen schon vor der Corona-Krise im Argen, der Kultklub war jahrelang mit einem Champions-League-würdigen Budget im Tabellenmittelfeld herumgeirrt. Schalke hat 220 Millionen Euro Schulden, das Land Nordrhein-Westfalen hat eine millionenschwere Bürgschaft übernommen. Nach Tönnies’ Abschied machten Gerüchte über eine Gehaltsobergrenze die Runde.

Weg mit dem Tafelsilber

Im Sommer musste Hoffnungsträger Weston McKennie an Juventus Turin verkauft werden, die Neuzugänge fielen unter die Kategorie Resteverwertung. Der 36-jährige Stürmer Vedad Ibisevic spendete sein Grundgehalt – im November wurde sein Vertrag nach einem Trainingsstreit aufgelöst. Bilanz: vier Spiele, kein Tor. Nun ist mit Baum ein weiterer Ex-Coach auf der Gehaltsliste, dem Vernehmen nach wollte man das unbedingt vermeiden.

Noch machen die Fans mit. Leidensfähigkeit ist die Kernkompetenz des Schalke-Fans, wer sie nicht mitbringt, hat einen anderen Verein. Vergangene Woche verabschiedete eine Gruppe die Mannschaft mit einer Ansprache und Gesängen. "Es geht um das Überleben unseres Vereins", sagte ein Ultra. Und damit hatte er recht – in der zweiten Liga wären die Schulden wohl nie abzubezahlen. Und dann wäre ein Rekord Schalkes geringste Sorge. (Martin Schauhuber, 18.12.2020)