Da es an dieser Stelle in den letzten Wochen recht intensiv und ausführlich um Fragen des "Dings"-Seins ging, reiche ich hier noch einen kleinen Exkurs nach: Hügeltraining.

Und falls Sie glauben, dass "Hillsprints", so wird "Hügeling" im Allgemeinen auch von Athletinnen und Athleten, aber vor allem von den Trainern genannt, die sie verordnen, zwingend mit Trail- oder Berglaufen oder gar mit genussvollen Landschaftsläufen zu tun haben, darf ich Sie enttäuschen. Hügeltraining ist nichts von alledem: Hügelintervalle gehören in die Kategorie "Sterben mit Anlauf". Also zu jenen Läufen, die mitunter auch unter "Bis einer weint" oder, weniger höflich, "Wer speibt, ist bei 60 Prozent" firmieren.

Und falls es Sie interessiert: Mir genügt es, nur 59 Prozent zu geben.

Tom Rottenberg

Kurz gesagt: Hillsprints sind gemein. Sie tun weh. Nicht am Anfang. Wenn Sie da bei der zweiten oder dritten Wiederholung schon weinen oder aufhören wollen, sollten Sie nämlich Ihre Strategie überdenken. Weil Hügelintervalle darauf ausgelegt sind, dass Sie "Vollgas" laufen, wobei die erste Wiederholung ziemlich genauso schnell sein sollte wie die letzte. Aber die sollte so aussehen, dass Sie es danach gerade noch heimschaffen.

Sollten Sie Ihre Hügeleinheiten also in einer schönen, interessanten Umgebung anlegen: Genießen Sie den Blick bei den ersten zwei oder drei Runden. Denn wenn Sie es richtig machen, verengen sich ab dann Blickfeld und Fokus: Zum Schluss sehen Sie dann nur noch die Markierung, bis zu der Sie rennen sollen. (Vom "Wollen" haben Sie sich da in der Regel längst verabschiedet.)

Tom Rottenberg

Wieso man sich sowas antut? Ganz einfach: um zu lernen. Mit dem Kopf, denn Ihre Beine können das, was Sie von Ihnen verlangen, ohnehin längst.

Aber über Hügelintervalle, eigentlich ja über alle Formen des Intervalltrainings und im Grunde auch mit den meisten Tempowechselspielen lernen Sie zweierlei. Zum einen, wie man die eigenen Kräfte einteilt. Wie man dosiert "auf Anschlag" geht. Wie man die "Körner" so einteilt, dass am Schluss auch noch welche übrig sind. Und zwar hoffentlich genau die richtige Menge.

Tom Rottenberg

Zum anderen lernen Sie, dass Sie das in Wirklichkeit ohnehin längst können – es sich aber meist selbst nicht zugetraut haben: Sie brauchen nur jemanden, der Sie in den Hintern tritt. Und Ihnen eine Aufgabe stellt, die Sie sich selbst nicht wirklich zutrauen. 12-, 15- oder 20-mal im Tempo x eine Rampe raufrennen zum Beispiel – und x wählt man so, dass Sie sich beim Hören (oder Lesen) der Aufgabenstellung an die Stirn tippen. "Wie soll das gehen?" Glauben Sie mir und sich: Es geht. Denken Sie nicht, sondern tun Sie.

Tom Rottenberg

Einen Hügel braucht man dafür in Wirklichkeit gar nicht. Aber er hilft. Weil er die Sache ein bisserl fieser macht. Noch fieser ist eine Rampe: der sieht man die Steigung nämlich oft nicht so wirklich an. Nur: Sie, die Steigung, ist da. Und sie killt Sie, wenn Sie sie unterschätzen.

Nicht nur im Training: Vermutlich kennen Sie die Wiener Ringstraße. Im Auto, in der Bim oder auf dem Rad ist sie flach. Die paar Höhenmeter, die auf den Teilstücken von der Uni zum Ringturm, von der Urania zum Stadtpark oder von der Oper zum Parlament zu bewältigen sind, fallen nicht einmal bei einer gemütlich Laufrunde wirklich auf.

Tom Rottenberg

Aber wehe, Sie rennen hier einen Bewerb: Beim Vienna Nightrun ist man nach etwa zwei Kilometern bei der Urania. Beim Vienna City Marathon geht es am Schluss den Stadtpark entlang – und weil da alle am Limit sind, fühlt sich der sanfte Anstieg plötzlich so an, als hätte jemand die Landschaft aufgekantet: Das Wort "Arschlochsteigung" (ich hoffe, Sie verzeihen mir den Terminus) wird dafür in meiner Welt gerne verwendet. Es beschreibt "Nicht-Berge" perfekt: Man sieht die Steigung nicht, spürt sie aber. Weil man gerade stirbt: Jeder echte Berg tut weniger weh – weil man ja sieht, wieso es zaach und zacher wird.

Tom Rottenberg

Die schlimmsten derartige Steigungen bietet im Übrigen (meiner Meinung nach) der New York Marathon: Wenn man da nach 1.000 Brücken endlich in Manhattan ist, geht es kilometerlang die First Avenue hinauf. Dass die ansteigt, ist offensichtlich: Wie sonst könnten Sie die zehntausend Läufer vor Ihnen sonst so gut sehen?

Aber dann geht es, parallel zur First, wieder zurück. Die Park Avenue, den Central Park entlang: Nach allen Regeln der Geo- und Topografie müsste es jetzt bergab gehen. Nur: Denkste. Im Gegenteil: Arschlochsteigung. Aber darüber nachzudenken, wieso das so ist, fehlt Ihnen jetzt die Kraft: Sie wollen nur noch diesen vermaledeiten Lauf nach Hause bringen.

Tom Rottenberg

Aber ich verzettle mich: Eigentlich wollte ich gerade plaudern, dass es die Hügel gar nicht braucht, um sich selbst, die eigenen Limitierungen im Kopf, zu überdribbeln: Als es noch erlaubt war, im Rudel zu laufen, betreute ich öfters eine Laufgruppe meines Coaches.

Weil ich es ein bisserl fad fand, da ohne Herausforderung in der Gegend herumzutraben, gab ich den Leuten meist Aufgaben, die ich selbst auch regelmäßig in meinen Trainingsplänen habe: "Wir laufen 15-mal eine Minute voll – und traben dann eine Minute. Und zwar so, dass …" Und so weiter. Das Tempo der schnellen Passagen gab ich vor.

Tom Rottenberg

Die Läuferinnen und Läufer stöhnten: "Das geht nicht. Das können wir nicht. Du bringst uns um." Ich ignorierte das. Das Erstaunliche an Gruppen: Die Leute jammern zwar, revoltieren aber nicht. Nie. Auch nicht, wenn sie nach der vierten Wiederholung spüren, dass das jetzt kein Spaziergang mehr ist. Und sie wirklich reinbeissen müssen.

Aber das Tolle: Auch wenn sie bei Wiederholung acht oder neun glauben, jetzt wirklich nimmer zu können, bleiben sie dran – und schaffen es. Alle. Immer.

Ja eh, mitdenken muss man da bei der Tempovorgabe schon: Dass auch ambitionierte Firmenläuferinnen und -läufer kein Elite-Intervall-Tempo rennen, ist klar.

Ich tu das ja auch nicht. Aber ich (und fast jeder und jede) kann weit mehr, als man sich selbst zutraut. Und genau darum geht es.

Tom Rottenberg

"Hügel" machen Intervalle dann einfach noch ein bisserl knackiger, zaacher, fieser und effizienter. Denn natürlich sprechen sie auch andere Muskelgruppen und -regionen an. Sind darüber hinaus also auch eine koordinative Kiste, weil sie die gewohnten Abläufe ein wenig durchbrechen. Und das schadet sowieso nie.

Tom Rottenberg

Bleibt die Frage nach dem Ort. Wenn im Plan steht "12 x 150 Meter mit vier oder fünf Grad Steigung", habe auch ich in Wirklichkeit kein Ahnung, wie steil das ist, schüttelte den Kopf früher aber aus einem anderen Grund: Hügel? Noch dazu belaufbar? Im Innergürtelbereich Wiens? Wo soll das bitte möglich sein?

Glauben Sie mir: Das geht fast überall. Am besten dort, wo Wien am flachsten ist: den Flussläufen. Dort gibt es alle paar hundert Meter Rampen zu und von den Treppelwegen.

Aber auch Rad- und Fußwegbrücken, etwa die unter der Tangente oder beim Kraftwerk Freudenau, passen perfekt. Oder die Albertina-Rampe gleich hinter dem Palmenhaus.

Tom Rottenberg

Freilich: Am Wienfluss oder am Donaukanal, direkt neben stark befahrenen Straßen, harte Intervalle zu rennen, ist nicht jedermanns oder -fraus Sache.

Dennoch gilt der schöne Satz, dass wer nicht will, Ausreden findet – und wer will, Lösungen.

Und wer Hügel laufen will, der oder die findet auch welche. Und wird, vorausgesetzt, es bleibt nicht bei einem einzigen Versuch, staunen, wie rasch er oder sie beim Antreten und beim Raufrennen Fortschritte machen wird.

Und wie sich diese Fortschritte und Steigerungen dann in die Ebene, ins "schöne" Laufen, mitnehmen lassen.

Tom Rottenberg

Ach ja: Falls Sie jetzt auf den Geschmack gekommen sein sollten und Sie sich in den nächsten Tagen irgendwo 15-mal eine Rampe raufschmeißen wollen: Oft hilft es, bei solchen Einheiten zu fluchen. Noch besser: jemanden verfluchen. Namentlich und mit Inbrunst. Ich verwende in solchen Fällen den Hashtag #hateyourcoach – und stehe Harald gegenüber dazu.

Darum: Wenn es Ihnen hilft, dürfen Sie mich bei diesen Einheiten gern ein bisserl hassen. Damit komme ich klar. Aber bitte wirklich nur, während Sie laufen. (Tom Rottenberg, 22.12.2020)

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