Isabella P. (26) ist seit September 2020 Inspektorin in Wien. Schon in der Volksschule wollte sie Polizistin werden. Nach einem Umweg als Fußballspielerin fing die Steirerin die zweijährige Ausbildung an.
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Viel geschlafen hat Isabella P. vergangene Nacht nicht. Zum Interview an einem Freitag Ende November um neun Uhr kommt die 26-Jährige von einer zwölfstündigen Nachtschicht. Von 19 bis sieben Uhr war P. (Name der Redaktion bekannt) im Dienst: drei Stunden Streife, drei Stunden Wache, wieder drei Stunden Streife und drei auf der Wache. Seit September ist P. Inspektorin in der Polizeiinspektion in der Anton-Baumgartner-Straße nahe dem Wohnpark Alt-Erlaa.

Dass in Liesing nichts los sei, wie es in der Ausbildung oft hieß, habe sie nicht erlebt: "Eher das Gegenteil." Zu ihrem polizeilichen Alltag gehört "alles quer durch die Bank: von häuslicher Gewalt bis zu Verkehrsunfällen". P. macht aber auch Verkehrsanhaltungen, sichert Schulwege oder schaut, dass die Corona-Regeln eingehalten werden. Ihr gefällt der Außendienst. Auch weil man nicht wisse, was täglich auf einen zukommt. "Es kann nach zehn Minuten etwas passieren oder auch drei Stunden gar nichts – wobei das sehr selten ist", sagt P.

Sorgen wegen Nachwuchs

Sie ist eine von rund 2000 Polizisten, die jährlich in Österreich bei der Polizei anfangen, gut ein Viertel davon in Wien. Der Nachwuchs sei immer schwieriger zu finden, auch in Corona-Zeiten, sagt Claudia Holzgruber, Amtsdirektorin für Personalentwicklung und Recruiting bei der Landespolizeidirektion Wien. Allein rund 500 Schülerinnen und Schüler sollen pro Jahr in Wien ausgebildet werden. Im Lockdown pausiert das Aufnahmeverfahren, Teile wurden auf Online umgestellt. Die Corona-bedingten Testpausen ergeben zwar terminliche Verschiebungen – das nächste Aufnahmefenster ist für Jänner geplant –, änderten aber laut Holzgruber nichts an den geplanten Aufnahmezahlen.

Doch mit den digitalen Maßnahmen könnten nicht so viele Bewerber erreicht werden wie bislang analog. "Wir haben nach wie vor massiv Bedarf", sagt die Personalleiterin. Immerhin liege die Ausfallquote bei eins zu sieben Kandidaten. Personalbedarf gibt es auch bundesweit: Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat im Jänner 4300 neue Planstellen geschaffen, 2000 sind Ausbildungsstellen, und 2300 sind den Polizeiinspektionen zugeteilt.

Isabella P., kleine Statur, blaue Polizeiuniform, setzt die blaue Kappe für das Interview ab. Darunter trägt sie ihre hellbraunen Haare zum Dutt gebunden. Den Einsatzgürtel mit Holster hängt sie über die Sessellehne. Immerhin wiegt er mehrere Kilo mit Dienstwaffe, Ersatzmagazin, Handschellen, Taschenlampe, Funkgerät, Pfefferspray und Leatherman. P. erzählt, dass sie schon als Kind Polizistin werden wollte. In jedes Freundschaftsbuch habe sie das geschrieben. "Ich mag Action und stehe auf Herausforderungen", sagt die Inspektorin. Deshalb arbeitet sie in Wien und nicht in der Steiermark, wo sie aufgewachsen ist – entgegen den anfänglichen Sorgen ihrer Mutter. "Da passiert mehr", sagt sie, denn sie wolle viel lernen.

Vor zwei Jahren hat P. in Traiskirchen ihre Polizeiausbildung angefangen, nachdem sie in Rechtschreibung und Grammatik, beim Sporttest, beim kognitiven und psychologischen Test und im Bewerbungsgespräch überzeugt hatte. Die ehemalige Fußballerin, die bis 2018 gespielt hat, machte noch den alten Aufnahmetest. Er wurde 2018 überarbeitet: Nun wird etwa nicht mehr geschwommen oder drei Kilometer gelaufen. "Der Test ist nicht einfacher, sondern wurde modernisiert", sagt Holzgruber, die bis vor kurzem Testleiterin war. Die Bücher waren schon im Einsatz, als sie vor 28 Jahren angefangen hat.

Test nicht einfacher

Vielfach heißt es hingegen, die Aufnahmebedingungen wurden vereinfacht, weil nicht genügend Interessenten den Test schafften. Holzgruber widerspricht: "Wir können klar verneinen, dass jetzt mehr durchkommen. Für manche ist es vielleicht eine Erleichterung, nicht mehr schwimmen zu müssen, anderen ist das egal."

Nach zwei Jahren Schule und bestandener Dienstprüfung ist P. Polizistin. Ein Fünftel der Polizeibediensteten sind Frauen. Als Frau sei sie bisher nicht anders behandelt worden. Weder von Kollegen noch im Einsatz. Bei Fällen von häuslicher Gewalt seien gemischte Teams hilfreich: "Manche Frauen wollen nur mit mir sprechen, meistens reden wir gemeinsam mit beiden."

Ein Fünftel aller Polizeibediensteten sind Frauen. Als Frau sei sie bisher noch nicht anders behandelt worden, erzählt P.
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Häusliche Gewalt habe sie bereits mehrmals erlebt, in Corona-Zeiten nähmen die Fälle etwas zu. Das zeigen auch Statistiken. Besonders wenn Kinder betroffen sind, gingen P. die Amtshandlungen nahe. Dann spreche sie mit ihrem Kollegen darüber, mit dem sie meist Streife fährt. Psychologische Unterstützung von zu Peers ausgebildeten Kollegen oder die Mitarbeiterbetreuung der LPD Wien habe sie noch nie in Anspruch genommen. In der Terrornacht in Wien war P. "nicht unmittelbar im Einsatz involviert".

Danach hätten sich die Menschen häufiger bedankt, erzählt die junge Polizistin. Wegen der Pandemie nehme sie nicht mehr Wertschätzung wahr. P. erlebte den Applaus, der im Frühjahr um 18 Uhr durch den Wohnpark Alt-Erlaa hallte, nicht wie andere Kollegen im Dienst. Die Menschen wirkten angespannt und gestresst, sagt P. "Wegen Corona kann man sich schon immer wieder einmal etwas anhören."

24-Stunden-Dienste

Der Job ist nicht nur psychisch belastend, sondern auch körperlich. 60 bis 70 Überstunden hat die Polizistin laut eigenen Angaben in den vergangenen Monaten gemacht. Es gab Dienste, wo sie 24 Stunden wach war: zwölf Stunden Dienst und zwölf Überstunden. "Da ist so viel los, dass man nicht müde wird, aber danach fällt man ins Bett", sagt P.

Es sei bekannt, dass es in Wien zu Überstunden käme, sagt eine Sprecherin, die beim Interview dabei ist. Sie sind auch bei jungen Polizisten beliebt, um das Gehalt aufzubessern. Nach dem Abschluss verdient man als Inspektorin laut Dienstrecht (Gehaltsgesetz) 1846 Euro brutto im Monat. Dazu kommen Zulagen, etwa für Überstunden. Die Polizei geht auf ihrer Karriereseite deshalb von einem monatlichen Bruttogehalt von 3600 Euro aus.

Hohe Einsatzbereitschaft gehört auch sonst zum Joballtag der 26-Jährigen. Sie muss in wenigen Sekunden oder Minuten handeln. "Es gibt keinen gleichen Einsatz, auch wenn es dasselbe Delikt ist." Auf dem Weg bespricht sie mit dem Kollegen das Vorgehen. Gewisse Abläufe seien trainiert, die Situationen individuell. Auch wie mit den Menschen umgegangen wird, ist relevant. Zuletzt machten das die Black-Lives-Matter-Bewegung und die Debatte um rassistisch motivierte Polizeigewalt deutlich. In der Ausbildung sei P. etwa im Ethikfach im Hinblick auf Racial Profiling sensibilisiert worden.

Isabella P. glaubt nicht, dass die Uniform sie verändert habe. Beim Spazieren merke sie aber, dass sie auch da "polizeilich denkt. Wir müssen uns auch privat in den Dienst stellen. Sofortmaßnahmen und Erste Hilfe gelten sowieso." Sie greife aber auch ein, wenn es nicht sofort ausreicht, die Polizei zu rufen. Das sei bisher noch nie passiert. (Selina Thaler, 19.12.2020)