Das Gesetzespaket wurde am Donnerstag im Bundesrat verabschiedet.

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Das im Jänner in Kraft tretende Gesetzespaket gegen Hass im Netz sei in großen Teilen EU-rechtswidrig: Zu diesem Fazit kommt die EU-Kommission in einem Bemerkungsschreiben an die Bundesregierung. Das im Verfassungsministerium erarbeitete Kommunikationsplattformengesetz verpflichtet Internetseiten mit mehr als 100.000 Nutzern oder 500.000 Euro Umsatz dazu, Systeme einzuführen, mithilfe derer Nutzer rechtswidrige Inhalte melden können – prüfen müssen sie sie innerhalb von 24 Stunden beziehungsweise bei fraglichen Fällen in sieben Tagen.

Das dürfte allerdings gegen die EU-Richtlinie für elektronischen Geschäftsverkehr verstoßen, die keine strengeren Regeln als in dem Land, in dem die Betreiber ihren Sitz haben, erlaubt. Zwar will die Kommission politisch nicht mit einem Vertragsverletzungsverfahren eingreifen, empfiehlt der Bundesregierung aber eine Überarbeitung. Sie zieht den Schluss, dass die österreichischen Behörden die Vorgaben der Richtlinie, die eine Abweichung vom Herkunftslandprinzip erlauben würden, "nicht erfüllt haben", heißt es in dem Schreiben (mehr dazu hier). Das Verfassungsministerium argumentiert in einer Stellungnahme, dass die EU-Kommission ähnliche Bedenken auch im Fall des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (Netz-DG) vorgebracht habe – das findet aber trotzdem Anwendung.

Neos: "Showpolitik" der Regierung

Die Neos sehen darin das "Ergebnis einer Husch-pfusch-Aktion" der Regierung. "Wir haben immer darauf hingewiesen, dass Österreich bei dieser Materie auf die EU warten sollte, die gleichzeitig an einem Maßnahmenpaket gegen Hass im Netz arbeitet", sagt Neos-Digitalisierungssprecher Douglas Hoyos. "Die Bundesregierung wollte aber rasch Showpolitik abliefern und hat jetzt den Schaden."

Die SPÖ verweist ebenso darauf, von Anfang an gegen das Gesetz gewesen zu sein – und erinnert an der Gefahr vor Overblocking, der Entfernung eigentlich legaler Inhalte, und "daran, dass die Verantwortung zur Löschung von Beiträgen ausschließlich bei den Online-Konzernen liegt und es hier zu einer Privatisierung des Rechts kommt", sagt SPÖ-Netzpolitiksprecherin Katharina Kucharowits. Die Bemerkung der Kommission bestätige einmal mehr, "dass dieses Gesetz auf vielen Ebenen untauglich ist und wohl mehr Probleme verursachen als lösen wird".

Informationsfreiheitsgesetz sei wichtig

Der Rechtsinformatiker Nikolaus Forgó von der Universität Wien findet, dass die Debatte zeige, wie wichtig ein Informationsfreiheitsgesetz wäre: "Es ist sehr unerfreulich, dass man derartige Dokumente" – also die Bemerkung der Kommission – "über europäische Umwege besorgen muss und erst dann Pressemeldungen, in denen von 'grünem Licht' gesprochen wird, einordnen kann." Dabei verweist er auf eine Aussendung des Verfassungsministeriums, in der sich die Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) über die Reaktion der Kommission freut, diese aber nicht im Wortlaut veröffentlicht.

Das Schreiben der Kommission sei nicht überraschend, da Probleme mit dem Herkunftslandprinzip ohnehin klar gewesen sein müssten. "Die grundrechtlichen Probleme des Gesetzes werden in dem Schrieben noch so gut wie gar nicht angesprochen, Stichwort Overblocking und Privatgerichtsbarkeit", so Forgó.

Zahlreiche der Bedenken seien bereits während des Gesetzgebungsverfahrens öffentlich vorgetragen worden, darunter auch der Standortnachteil Österreichs. "Insgesamt ist das aus meiner Sicht ein Ausdruck der Überschätzung des eigenen Marktes und der eigenen Position", sagt der Jurist zum STANDARD, sowie "eine damit einhergehende Unterschätzung der Bedeutung der europäischen Bemühungen, ein Handeln auf fremde Rechnung, eine bewusste Inkaufnahme jahrelanger Rechtsstreitigkeiten für ein politisches Symbol, eine Ausblendung der akademischen Debatte rund um vergleichbare Gesetze wie zum Beispiel das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz – und also zusammengefasst ein Lehrbeispiel für 'weltberühmt in Österreich'."

"Nullstory"

Andere Experten, die nicht zitiert werden wollen, sagen zum STANDARD, dass es sich um eine "Nullstory" handle, da die Kommission den Entwurf hätte aufhalten können, das aber nicht getan habe. Stattdessen habe sie nur einige Überlegungen zu einer möglichen Rechtswidrigkeit in die Bemerkungen geschrieben.

Bei der Grundrechts-NGO Epicenter Works sieht man hingegen eine Bestätigung der eigenen Kritik, die bereits im Sommer dem Verfassungsministerium vorgetragen worden sei, sagt Thomas Lohninger zum STANDARD. "Leider hat sich die ÖVP durch Europa- oder Grundrechtsargumente noch nie von etwas abbringen lassen", sagt Lohninger. "Nun ist es eine Frage der Zeit, bis auch dieses ÖVP-Gesetz aufgehoben wird." (muz, 18.12.2020)