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Um einen Superspreader-Event zu verhindern, bleibt Stonehenge heuer für Sonnenanbeter geschlossen (Archivbild von 2019).

Foto: Reuters/Martinez

Nicht einmal vor Hexen und Druiden macht Corona halt. Die Wintersonnenwende in der Nacht von Sonntag auf Montag müssen die in Großbritannien bekanntlich zahlreichen Naturanbetenden und Esoteriker diesmal "online only" feiern: Das Unesco-Welterbe Stonehenge bleibt geschlossen. "Für jedermanns Sicherheit und Wohlbefinden", heißt es zur pädagogisch einwandfreien Begründung auf der einschlägigen Website. Ein wenig ernüchternd ist das schon, hatte man sich von den Steinkreisenthusiasten doch ein klein wenig mehr Wagemut erhofft.

Freilich prophezeien die Wetterhexen, äh -frösche für Montag fast durchgehend Regen, vor und nach dem für 8.09 Uhr Ortszeit (9.09 Uhr MEZ) vorgesehenen Sonnenaufgang, der die längste Nacht des Jahres nach dem sonntäglichen Sonnenuntergang um 16.01 Uhr beendet. Das macht die Sache doch wieder ein wenig erträglicher, zumal die "Fans mit gebrochenem Herzen" vom gemütlich warmen Wohnzimmer daheim einer Weltpremiere beiwohnen können: Erstmals überträgt die zuständige Museumsbehörde English Heritage das (Nicht-)Ereignis live auf Facebook.

Und das anderthalb Stunden währende TV-Erlebnis aus dem Nieselregen von Wiltshire ist kostenlos, was angesichts der gesalzenen Eintrittspreise für reale Besucher der berühmten Steine (Erwachsene zahlen über 21 Euro) keineswegs selbstverständlich anmutet.

Milliardenprojekt

Vor der Glotze haben die Felsbrockenbegeisterten reichlich Zeit zur Meditation über die tonnenschweren Steine aus den Preseli-Bergen im 200 Kilometer entfernten Pembrokeshire (Wales). Wie sie von dort vor 4.500 bis 5.000 Jahren – präziser weiß es die Archäologie trotz modernster wissenschaftlicher Methoden bis heute nicht – in die südenglische Grafschaft Wiltshire kamen, bleibt ebenso rätselhaft wie ihre Funktion. Ein Tempel für gläubige Urmenschen, ein Sanatorium für jene mit lästigen Zipperlein, ein urzeitliches Observatorium für Sterngucker? Oder war der Steinzirkel am Ende doch nur eine Grabstätte für Royals und sonstige Celebritys der Jungsteinzeit?

Debatten über solche Fragen dürften Fachleute und Spiritisten noch viele Jahrzehnte beschäftigen. An Fahrt gewonnen hat in diesem Herbst dafür der Streit darüber, wie man das Unesco-Welterbe auf der Hochebene von Wiltshire vor bleibendem Schaden durch die Menschheit des 21. Jahrhunderts bewahrt.

Im November erteilte Verkehrsminister Grant Shapps einem milliardenteuren Tunnel grünes Licht – Lieblingsprojekt von Straßenbauern und Denkmalschützern, denen seit Jahren die Landstraße A303 ein Dorn im Auge ist. Tag und Nacht donnert bisher der Schwerverkehr zwischen London und dem Südwesten des Landes am Steinkreis vorbei. Diesem Missstand soll zum Preis von 1,88 Milliarden Euro der knapp drei Kilometer lange, vierspurige Tunnel abhelfen.

Allerdings setzte sich Shapps mit dem ministeriellen Edikt über die Entscheidung von fünf unabhängigen Planungsinspektoren und die Einwände des britischen Unesco-Komitees hinweg. Deren monatelange Prüfung kam zu dem Ergebnis, das weit über Stonehenge hinausreichende Welterbe steinzeitlicher Kultstätten werde durch die Arbeiten am Betonbauwerk bleibenden Schaden erleiden. Von einer "unglaublich blöden Entscheidung" spricht Professor David Jacques, der die Ausgrabungen an dem nahegelegenen Blick-Mead-Projekt leitet.

Artus’ Wiedergeburt

Ablehnend positioniert sich auch die Handelskammer des nächstgelegenen Städtchens Salisbury: Shapps leiste der "Entweihung einer der bedeutendsten Landschaften der Welt" Vorschub, die dadurch erzielten Verkehrsvorteile seien vernachlässigbar.

Schon mobilisieren die Tunnelgegner weltweit zum Protest. Eine erste Demo zu Monatsbeginn, brav mit Maske und ordentlichem Abstand, lockte lediglich rund hundert Teilnehmer an. Aber das werde sich noch ändern, prophezeit Arthur Uther Pendragon, die selbsternannte Wiedergeburt des legendären König Artus. Der als John Rothwell geborene Chefdruide hat seit langem ganz grundsätzliche Einwände gegen alle Modernisierung rund um Stonehenge: "Das war hier ein Heiligtum, und jetzt ist es eine Geldmaschine." Der selbsternannte "Wächter dieses Heiligtums" kämpft seit Jahren für den freien Zugang zum Steinzirkel – genau das, was die stetig wachsenden Besucherzahlen unmöglich gemacht haben.

Den Tunnel will Arthur Pendragon im Alleingang aufhalten, "notfalls lege ich mich vor die Bulldozer". Zur generellen Ablehnung gesellt sich ein spezifisches Problem: Die westliche Einfahrt des Bauwerks liege "praktisch genau in der Sichtlinie der untergehenden Sonne bei der Wintersonnenwende". Vor Ort überprüfen können das die Fans erst wieder im kommenden Jahr. (Sebastian Borger aus London, 20.12.2020)