Franz Raith steht in einem Wald aus Christbäumen und streicht über die Nadeln. "Sind sie kratzig, fehlt ihnen was." Er pflegt seine Tannen zu loben und zu schimpfen, je nachdem, wie sie wachsen. "Nach vielen gemeinsamen Jahren beginnt man halt miteinander zu reden."

Franz Raith: "Wir hatten 50 Hektar Acker und Wald. Ohne Christbäume wäre das nicht lebensfähig gewesen."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Wann haben Sie Ihren ersten Baum gepflanzt?

Raith: Da war ich zehn Jahre alt, in einem Gemeindewald in Tautendorf. 15 Personen hatten zehn Hektar Wald. Zwei-, dreimal im Jahr ist das geerntete Holz versteigert worden. Dann gab es Gulasch.

STANDARD: Sie haben früh mitangepackt?

Raith: Meine Mutter war krank und starb jung. Mein Vater arbeitete zu wenig, er war Wirt. Mit zwölf Jahren habe ich in der Früh vor dem Weg in die Schule die Kühe gemolken. Nachmittags stieg ich auf den Traktor. Bis die Gendarmerie mich nach Hause brachte. Wehgetan hat mir die Arbeit nicht. 1976 habe ich 1.500 Blaufichten gesetzt und zwei Tannen. Die Tannen hat mir der Rehbock gleich in der ersten Nacht weggefressen.

STANDARD: Bäume, die Sie jetzt setzen, sind vielleicht erst 2030 Christbäume. Da braucht es einen langen Atem.

Raith: Und Kapital, weil so viel Arbeit drinsteckt. Die meisten Bauern haben Christbäume, um die Landwirtschaft zu erhalten. Wir hatten 50 Hektar Acker und Wald. Ohne Christbäume wäre das nicht lebensfähig gewesen. Sie sind aber aufwendiger als der Weinbau.

STANDARD: Ihnen Jahr für Jahr nur beim Wachsen zuzusehen hätte ich mir schön vorgestellt.

Raith: Ein Hektar braucht im Schnitt 14 Manntage Pflege und Ernte. Wir schneiden den Baum unten aus, damit er Luft bekommt, prüfen ihn auf Fehltriebe. Ich gehe durch Reihen der Bäume und spüre, was sie brauchen. Stickstoff für das Schillern, Phosphor, das richtige Kalium-Magnesium-Verhältnis. Ist ein Baum zu dicht, wird er anfällig für Krankheiten. Ist er zu schnellwüchsig, kauft ihn wegen der großen Abstände zwischen den Zweigen keiner. Ab dem fünften Jahr beginnt die Ernte.

STANDARD: Wer tut sich diesen Job an?

Raith: Kein Österreicher, es ist eine schwere Arbeit. Ich habe dafür seit elf Jahren sechs Rumänen. Der Kollektivvertrag sieht netto 7,80 Euro für die Stunde vor. Ich zahle deutlich mehr, weil ich gute Leute will.

Franz Raith: "Ich gehe durch die Reihen der Bäume und spüre, was sie brauchen."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ein Meter Baum kostet zwischen zehn und 35 Euro. Wie viel bleibt als Gewinn übrig?

Raith: Das schwankt stark. Aus 1.000 Pflanzen sind mir einmal keine 50 schönen Bäume gewachsen. Dann passiert es wieder, dass sich 800 von 1.000 verkaufen lassen. Die Leut sind halt heikel. Jeder will den Schönsten.

STANDARD: Mein Vater kaufte Bäume, die kein anderer wollte. Er bohrte Löcher in den Stamm, steckte Äste um, um sie buschiger zu machen. Ich mag windschiefe Fichten heute noch gern.

Raith: Ich kenne Waldliebhaber, die mich nach dem schiachsten Baum fragen. Weil auch der es verdient, in einem Wohnzimmer zu stehen.

STANDARD: Der Holzpreis sinkt. Jener für Christbäume nicht?

Raith: Nein, aber sie wurden nicht so teuer, wie sie es hätten werden müssen. Ich habe 1985 die ersten Tannen verkauft: 2,5 Meter um 600 Schilling. Heute bekomme ich dafür 55 Euro. Zehn Euro mehr in 35 Jahren. Das ist doch keine Wertsteigerung! Der Liter Diesel hingegen kostete damals sieben Schilling, heute legt man dafür 20 hin.

STANDARD: Manche sagen, Christbäume seien Konjunkturbarometer. Je kleiner sie sind, desto schlechter läuft die Wirtschaft.

Raith: Eine Fehlinformation. Jetzt gerade ist Krise, die Leute verdienen weniger. Sie haben aber noch nie so viele und so große Bäume gekauft wie heuer. Im Verhältnis zum Fest ist der Baum ja billig. Einen Blumenstrauß gibt es um gut 40 Euro, der wächst aber in nur sechs Monaten.

STANDARD: Warum kann Corona ihnen nichts anhaben?

Raith: Viele kauften ihren Baum heuer früher. Er macht ein gutes Klima, verschönert den Raum. Er ist eine Kraftquelle. Warum gehen die Leute in den Wald? Eine Wiese täte es ja auch. Weil Bäume eine Ausstrahlung haben.

STANDARD: Ihre Branche braucht also keine staatlichen Hilfspakete?

Raith: Wir haben nie Förderungen bekommen. Sie wurden uns vor einigen Jahren angeboten. Wir haben abgelehnt. Sonst kommt noch einer daher und sagt uns, welche Äste wir nicht wegzwicken dürfen. Wir wollen unabhängig sein. Wie alle Bauern.

STANDARD: Die Landwirtschaft ist hochsubventioniert.

Raith: Ich bin EU-Befürworter. Aber es gibt keinen, der durch den EU-Beitritt so viel verloren hat wie die Landwirte. Bei uns im Dorf blieben von 17 nur vier übrig. Ein Arbeiter kostet Gemüsebauern im Marchfeld 17 Euro die Stunde. Über der Grenze kostet er vier. Die Totengräber der Landwirte sind die Supermärkte. Weil sie die Bauern in niedrige Preise zwingen. Manch große Lebensmittelkette redet von regional, ihre Bäume aber holt sie aus dem Ausland.

2,7 Millionen Christbäume werden hierzulande jährlich verkauft. Gut 90 Prozent wuchsen in Österreich.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Viele Forstwirte klagen auch über die Auswüchse der Bürokratie. Zu Recht?

Raith: Bürokratie ufert in der gesamten Landwirtschaft aus. Österreich hat zu wenig Arbeiter und zu viele, die im Büro sitzen. Daher schafft man Kontrolleure. Fragen Sie einen Fleischhacker, was der alles kontrollieren muss. Jeder, der sich das antut, ist ein armer Hund. Er muss sogar Bücher darüber führen, wann er was kontrolliert. Der Wirt aber braucht nicht draufzuschreiben, woher er sein Fleisch bezieht.

STANDARD: 90 Prozent der hierzulande 2,7 Millionen verkauften Christbäume wachsen in Österreich. Sieht man einem Baum seine Herkunft eigentlich an?

Raith: Kenner sehen das an der Rinde, am Ansatz der Zweige, an den Knorpeln. Bäume aus Norddeutschland und Dänemark haben auch ein kürzeres Nadelkleid, weil dort starker Wind weht.

STANDARD: Tarnen sich ausländische Tannen mitunter als österreichische?

Raith: Wir kontrollieren das. Die Bauern kontrollieren sich auch gegenseitig. Hängt einer über dänische Bäume niederösterreichische Schleifen, zahlt er bis zu 10.000 Euro Strafe.

STANDARD: Jedes Bundesland hat eigene Banderolen. Trauen Sie es sich zu, eine steirische von einer niederösterreichischen Tanne zu unterscheiden?

Raith: Nein. Das lässt sich nur über eine Analyse seltener Erden nachweisen.

STANDARD: Warum aber stammt ein großer Teil der Samen der Nordmanntannen aus dem Kaukasus?

Raith: Ein großer Teil kommt auch aus Dänemark und Norddeutschland. Bäume haben erst mit 60, 70, 80 Jahren die richtige Reife für Nachkommen. In Georgien ernten dänische Firmen. Die Pflücker arbeiten auf Kilo. Sie klettern rauf, wo die meisten Samen sind. Auch wenn es kein schöner Mutterbaum ist. Mittlerweile haben die niederösterreichischen Bauern bei mir auf drei Hektar eine Samenplantage mit tausend Pflanzen. Darauf sind wir stolz.

STANDARD: Macht Sie das von Importen unabhängig?

Raith: Unabhängig nicht. Aber wir haben Samensicherheit. Von alten Bäumen wurden Zweige aus dem oberen Drittel auf Jungpflanzen gepropft. Wir haben zuletzt 60 Kilo Samen geerntet. Aus einem Kilo können 4.000 Pflanzen werden.

STANDARD: Dänemark ist der weltweit größte Christbaumexporteur. Was macht das Land zum Platzhirsch in dem Geschäft?

Raith: Herr Nordmann war Däne und brachte die Samen ins Land. Dänemark erkannte, dass man damit gutes Geld verdienen kann – und exportierte Bäume und Samen zu horrenden Preisen. Im Samengeschäft ist das Land nach wie vor führend. Dennoch ist dort die Hälfte der Betriebe krank, viele sind in Konkurs. Es gab heuer Insolvenzverwalter, die boten Bäume um 1,50 Euro an. Dänemark produziert zwölf Millionen Weihnachtsbäume. Aber auch die Norddeutschen haben Riesenflächen gesetzt, weil sie unter niedrigen Getreidepreisen leiden. Die Österreicher nahmen den Dänen Markt weg, die Ungarn und Polen ebenso. Der große Nachteil in Dänemark sind die Arbeitskosten, die doppelt so hoch sind wie unsere.

STANDARD: Nordmanntannen dominieren. Aber auch Blaufichten, Colorado-, Weiß-, Silber-, Edel- und Riesentannen geben einen feinen Weihnachtsbaum her. Warum werden klassische Waldfichten links liegen gelassen?

Raith: Eine frisch geschnittene Fichte riecht viel besser. Sie hat aber kein oder wenig Wachs auf den Nadeln und trocknet daher schneller aus. Wer sie zu Heiligabend aufstellt, muss schon am Stefanitag staubsaugen. Wir schneiden unsere Bäume zwischen 15. November und 10. Dezember. Da haben sie das beste Nadelverhalten.

STANDARD: Wie verbreitet sind Plastiktannen?

Raith: Sie wurden ein bisserl mehr, setzen sich aber nicht durch. Sie werden in China produziert. Fangen sie zu brennen an, sind sie hochgiftig.

STANDARD: In sattgrüne, symmetrische echte Bäume fließen Chemie, Hormone, auch Glyphosat. Ist das die Schattenseite des Christbaum-Booms?

Raith: Im Verhältnis zur ganzen Landwirtschaft wird der Baum am wenigsten gespritzt. Ich muss nur in schwierigen Jahren die Hälfte meiner Flächen behandeln. Das Glyphosat kommt nur dorthin, wo ich nicht mähen kann, weil die Leute wollen kein Heu zwischen den Ästen. Es gibt keine leistbare Alternativen dazu. Viele, die Glyphosat verbieten wollen, können ja nicht einmal das Wort richtig schreiben.

STANDARD: Umweltschützer warnen vor Pestizidrückständen.

Raith: Es gibt keine Ausgasung. Wir haben auch ein Vogelmonitoring gemacht und mehr Vögel gezählt. Es gibt in unseren Kulturen Insekten und Schmetterlinge, die es ohne Christbäume gar nicht gäbe.

STANDARD: Bei Biobauern ersetzen britische Shropshire-Schafe Glyphosat. Könnte das Schule machen?

Raith: Der Anteil an Biochristbaumbauern ist klein. Was, glauben Sie, ist der größte Nachteil der Schafe?

STANDARD: Dass sie Triebe abbeißen und Böcke ihr Revier auf den Stämmen markieren?

Raith: Nein, es ist ihr Kot. Schneidet man den Baum, fällt er in den Dreck. Biobetriebe spritzen genauso, mit Mitteln, die nicht synthetisch erzeugt werden. Der Nachteil der Biobäume: Sie sind zartnadelig, haben nicht diese Stärke und Kraft.

Franz Raith: "Viele, die Glyphosat verbieten wollen, schreiben nicht einmal das Wort richtig."

STANDARD: Wie stark setzt der Klimawandel Christbäumen zu?

Raith: Der Nordmanntanne bis zu drei Metern aufgrund des vielen Wachses wenig. Ihre Wurzeln gehen ja drei Meter in die Tiefe. Aber die sechs, sieben, acht Meter hohen Tannen leiden stark. Ihre Wipfel sterben ab, sie fangen sich schneller Krankheiten ein.

STANDARD: Viele Bauern schlägern entgegen wissenschaftlicher Expertise nach dem Mond. Wie halten Sie es mit dem Mond?

Raith: Der Mond hilft vielleicht beim Haare- und Nägelschneiden. Einfluss aufs Nadelverhalten hat er keinen. Ich habe zwei Jahre lang täglich Zweigerln von einem Baum geschnitten. Da hätte ich Unterschiede sehen müssen. Die Amerikaner haben drei Jahre lang Nadeln gezählt. Nichts. Das Einzige, was das Nadelverhalten verbessert, ist, Bäume ins Wasser zu stellen. Sie kann allerdings auch der Schlag treffen. Von 1000 passiert es bei drei bis fünf, da rieseln die Nadeln gleich nach der Ernte.

STANDARD: Was raten Sie, um die Bäume zu testen? Kräftig schütteln?

Raith: Besser ist es, die Rinde runterzukratzen, drunter muss es grün sein, nicht braun.

STANDARD: Werden Christbäume mittlerweile auch übers Internet bestellt?

Raith: Kaum. Onlinehandel mit ihnen explodiert nicht.

STANDARD: Amazon macht Ihnen Ihr Revier also nicht streitig?

Raith: Ich hoffe, dass die EU bis dahin so viel Hirn hat, auch von Amazon Steuern zu verlangen. Ich verurteile die Leut nicht, es ist modern, online zu bestellen. Aber wir reden von Klimaschutz. Ich muss zu Weihnachten auch keine Himbeeren essen. Und Paradeiser esse ich dann, wenn es sie im Burgenland gibt.

STANDARD: In Deutschland gab es jüngst die erste Weltmeisterschaft im Christbaumwerfen ...

Raith: Für mich ist der Baum wie ein Lebensmittel. Mit dem haut man nicht herum. Ich mag es auch nicht, nennt ihn wer Staude. Ich habe deswegen schon potente Industrielle vom Hof geworfen. Ich stecke Liebe in die Bäume, schneide sie an ihrem Zenit. Wem sie zu teuer sind, den lade ich auf einen Glühwein ein. Einen Baum ließ der Herrgott für ihn bei uns aber keinen wachsen.

STANDARD: In Kärnten werden Christbäume in Seen versenkt, um der dort Verstorbenen zu gedenken.

Raith: Da sind sie dann Laichplätze für die Fische, dagegen habe ich nichts.

STANDARD: Die meisten Bäume enden freilich als Hackschnitzel. Manche auch als Futter für Elefanten, Büffel und Bisons im Tiergarten.

Raith: Nur die ohne Hakerln und Lametta. Aber die Tiere fressen lieber Fichten als Nordmanntannen.

STANDARD: Auch die Hasen?

Raith: Die beißen die Knospen ab. In einer meiner Kulturen leben drei Hasen. Einer hat mir mindestens 2.000 Bäume abgebissen. Umbringen wollte ich ihn. Aber dann sehe ich ihn so lieb sitzen und denke an seine Jungen. So wie er mich ansieht – ich schaff es nicht. (Verena Kainrath, 20.12.2020)