Bike-Instagram-Influencerin Nora Turner aka "@unicorncycling" radelt bis zu zehn Stunden in der Woche in den eigenen vier Wänden.

Foto: Film Factory

Heiterkeit ist nicht immer ansteckend. Und manchmal beinahe verletzend. Obwohl Fritz Berein Profi genug ist, um das Lachen seiner Geschäftspartner am Telefon nicht persönlich zu nehmen. Schließlich weiß "Magic", unter diesem Namen kennt man den Ex-Radrennprofi in Wiens Radszene, ohnehin, dass es derzeit unmöglich ist, einen Rollentrainer zu bekommen. Unabhängig davon, ob er versucht, so ein Ding als Händler (Berein arbeitet beim Fachgeschäft "Mountainbiker" in Wien-Alsergrund) zu beziehen, oder als normaler Kunde den Onlineshop eines beliebigen Herstellers besucht: "Die lachen nur noch verzweifelt", seufzt der sechsfache österreichische Straßenrad-Staatsmeister – und weiß, warum: "Die Nachfrage nach Indoor-Radtrainern hat sich gefühlt verzwanzigfacht."

Radblogger Martin Granadia nutzt den Winter als Vorbereitung für sommerliche Powerstrecken.
Foto: Stefan Joham

Nicht nur bei Mountainbiker gibt es eine lange Warteliste: "Der nächste reguläre Liefertermin ist im März", erklärt Kurt Stefan. Auch in seiner Edel-Radboutique Veletage in der Leopoldstadt kennt man das hysterisch-verzweifelte Lachen der Vertriebler von Firmen wie Wahoo oder Tacx, wenn jemand fragt, ob es nicht doch noch eine Chance gebe, vor Weihnachten eines jener Teile zu liefern, die vor 20 Jahren als "Hometrainer" zwar anders aussahen und auch anders funktionierten, die man Laien mit diesem Begriff aber am besten erklären kann: Rollentrainer sind die Hightech-Urururenkel der Standfahrräder von einst. Man fährt mit ihnen gleichzeitig daheim und virtuelle Rennen im Cyberspace. Wenn man einen dieser "Smarttrainer" ergattert hat, schnallt man das eigene, vom Hinterrad befreite, (Renn-)Rad drauf und bekommt neben dem Rollwiderstand mitunter auch Wind, Steigungen oder sogar Straßenunebenheiten simuliert.

Willi Chen hat das Indoor-Cycling per App während des Lockdowns für sich entdeckt.
Foto: Martin Granadia

"Smartes" Heimradeln begann zwar schon vor Corona zu boomen, aber seit den ersten Lockdowns und Ausgangssperren im Frühjahr explodieren die Absätze: Waren es früher vor allem Länder mit nasskaltem Herbst und echtem Winter, in denen Radfahrer ihr Training nach drinnen verlegten, schossen zeitgleich zur ersten Covid-19-Welle die Verkäufe auch in Italien, Spanien oder Portugal um 40 und mehr Prozent nach oben. Winterprozente, wohlgemerkt – aber im Frühling.

Echte Zahlen? Weder das 2018 vom US-Trainingscomputergiganten Garmin "geschluckte" Label Tacx noch Wahoo, wo man 2013 mit dem ersten Smarttrainer die Ablöse der bis dahin gängigen "Walzentrainer" (man fuhr gegen den Widerstand einer analog gesteuerten Walze) einleitete, kommunizieren Zahlen. Insider behaupten allerdings, dass die beiden Platzhirsche allein in der Dach-Region fünfstellig hinter den Bestellungen herhinken. Jeweils.

Rollende Nachfrage

Denn als im Sommer Europas Fitnesscenter schlossen und es auf den Herbst zuging, ließ die Rollnachfrage nicht nach. Im Gegenteil: Radfahren war im Frühjahr "explodiert", Rennradfahren auch. Und die Binsenweisheit, dass Sommerbeachbodys im Winter geformt werden, erklärt der Wiener Radblogger Martin Granadia von 169k – Ein Radblog (www.169k.net), gelte fürs Radfahren sinngemäß ebenso: "Wenn ich im Sommer an jedem Berg kleine Tode sterbe, kapiert irgendwann sogar der Dümmste, dass man im Winter etwas machen muss."

Langweilten sich Radfahrer früher im Fitti auf dem Laufband oder wackelten auf Walzentrainern (deren Vibrationen oft halbe Wohnhäuser mit dumpfem Dröhnen beschallten) durch den Winter, waren Rollentrainer nun die "aufgelegte", zeitgeistige Antwort. Für Winter und Lockdown gleichermaßen.

Theoretisch – wenn lieferbar. Doch das scheitert oft an Kleinigkeiten. Smarttrainer sind smart, weil sie über Handy, Laptop, Trainingsuhr oder Radcomputer gesteuert werden. Via Bluetooth. Wenn aber schon im Frühjahr alle für den Winter produzierten Geräte verkauft sind, sind essenzielle Kleinteile für Nachproduktionen oft nicht ausreichend lieferbar. Bluetoothchips zum Beispiel: Apple verwendet dem Vernehmen nach die gleichen wie Wahoo. Mit den schon 2019 für 2020 getätigten Bestellungen für iPhone und Co waren die Produktionsstätten aber ausgelastet.

Teure Stolperfalle

Doch ohne Bluetoothanbindung taugen die smarten Zimmersportgeräte nicht einmal zu dem, wozu ihre analogen Zimmerfahrrad-Strampel-Ahnen meist binnen weniger Wochen wurden: Der klassische Hometrainer endet meist als ein perfekter Kleiderständer. Der Rollentrainer taugt ohne Rad obendrauf aber nur zur "smarten" Stolperfalle – für 800 bis 1.400 Euro.

Freilich: Da sich das Fitnessverhalten massiv verändert hat, stehen die teuren Teile selten bloß herum. Auch bei Menschen, die weniger lang und oft auf dem Rad sitzen als Österreichs mutmaßlich reichweitenstärkste Bike-Instagram-Influencerin Nora Turner aka "@unicorncycling". Aus 13 Radstunden pro Woche im Freien im Sommer werden bei ihr im Winter "nur" zehn.

Je unwirtlicher das Wetter, umso mehr auf der Rolle, aber dafür kaum je allein: Turner gehört zu jenen rund drei Millionen (Stand: Dezember, heuer wuchs die Plattform um 89 Prozent) Menschen, die "zwiften", sich also auf dem Rad im Zimmer via Laptop an virtuellen Trainingsausfahrten und Rennen beteiligen. "Natürlich ist das Ins-Ziel-Kommen bei einem Computerspiel etwas anderes, aber es macht auch glücklich." Das "Draußen"-Gefühl, betont Turner, könnten die Assets von Plattformen wie Zwift (kein Rollsplitt, kein Glatteis, keine Autofahrer und auch bei haarsträubenden Talfahrten mit 90 km/h keine Gefahr durch eigene oder fremde Fahrfehler) dennoch nicht ersetzen. Egal wie realistisch und authentisch in "Wattopia" (einer der Zwift-Welten, in der sich bis zu 30.000 Radfahrer gleichzeitig kollisionsfrei tummeln) oder auf anderen Plattformen gefahren wird.

Schon in der Früh spult Chen Kilometer ab.
Foto: Martin Granadia

Radblogger Granadia absolvierte gerade einen virtuellen "Rundflug" durch diese für Laien längst unüberschaubare Welt und meint, dass "Zwift derzeit fast uneinholbar scheint", obwohl andere statt animierter Grafiken längst "echte" Videobilder von Radklassikern in 4K-Auflösung anbieten.

Die Rollentrainer-WM

"Während der Pandemie haben wir eine Vielzahl von Cycling-Klubs gesehen, die zu Zwift wechselten, um ihre regelmäßigen Ausfahrten während des Lockdowns am Leben zu erhalten", sagt PR-Chef Chris Snook. Auf Zwift fährt die Masse – aber auch die Stars. Sogar der Österreichische Radverband initiierte heuer – Corona-bedingt – eine eigene eCycling-Liga. Und Anfang Dezember hielt der internationale Radsportverband (UCI) auf Zwift die erste Rollentrainer-eSport-Weltmeisterschaft ab, mit Superstars wie Stundenweltrekordler Victor Campenaerts oder Rigoberto Urán, dem Achten der Tour de France (die man übrigens auch virtuell fahren kann).

Wohin die Reise gehen dürfte, ist absehbar: näher ran an die Realität. So muss man derzeit beim Überholen nicht ausweichen: Man durchquert den fremden Avatar. Auch Windschattenfahren könnte ein Thema werden. Problematisch dürfte jedoch der Blick über die Schulter zurück werden: Versuche mit VR-Brillen, schmunzelt Frank Jeniche, der PR-Mann von Wahoo für die Dach-Region, verliefen vielversprechend. Zu vielversprechend: "Nach drei Minuten waren die Fahrer so tief in dieser Welt, dass sie sich auch in die Kurven legten." Nur ist das bei einem in Wirklichkeit stillstehenden Fahrrad so ziemlich das Gegenteil einer guten Idee. (Tom Rottenberg, 19.12.2020)