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Auf einen positiven Coronatest folgt Isolation.

Foto: Getty/Malte Mueller

Das Einmaleins der Pandemiebekämpfung ist bekannt: Hände waschen, Abstand halten, Kontakte reduzieren. Wenn man sich krank fühlt, zu Hause bleiben, 1450 anrufen. Dann geht es weiter in der Malreihe: testen, zehn Tage in Quarantäne bleiben und Kontakte verfolgen.

So reibungslos, wie es in der Theorie klingt, läuft es in der Praxis bekanntlich nicht. Schon beim Anrollen der zweiten Welle und auch währenddessen zeigte sich, dass das Contact-Tracing mit der wachsenden Zahl an Corona-Fällen nicht mehr nachkommt, das Epidemiologische Meldesystem überlastet ist, Befunde und Absonderungsbescheide lange ausbleiben. Wer zu den insgesamt 334.913 Corona-Fällen (Stand Freitag, 9.30 Uhr) gehört – darunter 297.424 Genesene – hat das mitunter selbst erlebt. Auch in der STANDARD-Redaktion gab es Covid-19-Erkrankte, die ihre Erfahrungen machten.

Und selbst wenn bei der Krankheitsbekämpfung alles klappt und die Infektion gut überstanden ist, können sich weitere Unannehmlichkeiten ergeben. Etwa, wenn Familie und Freunde weiter auf Abstand gehen, Genesenen gar die Schuld an der Infektion zuweisen. Oder wenn man trotz Antikörpern in die Isolation muss.

Contact-Tracing auf eigene Faust
Wenn die Post von der Behörde nicht kommt

Wunderlich wird man ja schon in der Isolation. Ehe man sich’s versieht, ist die freundliche Dame vom Amt, die einem da zwei Tage nach dem positiven Corona-Test telefonisch – und rechtsverbindlich – den härtesten aller Lockdowns auferlegt, die engste Bezugsperson des Tages. Die Stadt Wien, das muss man ihr lassen, sie sucht ihr Personal gewissenhaft aus. In überaus angenehmem Ton ließ man mich wissen, dass ich nun zehn Tage lang die Wohnung nicht verlassen, Besucher, Post und Lieferanten nur per Türspion zu Gesicht bekommen und den Müll nicht zur Tonne befördern dürfe. So weit, so einleuchtend. Und meine Kontakte in den Tagen vor dem Test möge ich mir doch bitte irgendwo notieren, denn: "Da kommt dann ein Brief." Bloß: Aus dem "dann" wurde ein Tag, dann zwei, dann drei, schon war die erste Woche Isolation um – nur die versprochene Post von der Gesundheitsbehörde, die wollte nicht und nicht kommen. Bis heute nicht.

Natürlich habe ich mir die Namen der Menschen, die ich in den Tagen vor dem (beruflich erforderlichen) Test getroffen habe, notiert, sie sofort informiert, gewarnt und gebeten, 1450 zu kontaktieren. Die meisten werden es wohl getan haben. Angesteckt habe ich nach derzeitigem Stand niemanden. Zumindest keinen, von dem ich weiß. Denn auf mein dringendes Ersuchen, doch bitte schön Uhrzeit und Nummer des – hübsch vollen – Zuges zu notieren, mit dem ich fünf Tage vor dem Test aufs Land und zurück gefahren bin, wurde eher informell reagiert: Ich möge doch eine Mail schreiben. Gesagt, getan – ob die ÖBB je davon Kenntnis nahmen, weiß ich nicht.

Bis dann eine Woche später, als meine Quarantäne beinahe schon wieder vorbei war, doch eine E-Mail kam, in der ich – abermals freundlich – um Namen und Telefonnummern der potenziell vor zwei Wochen von mir Infizierten ersucht wurde. Hätte ich sie nicht selbst gewarnt, die meisten Kontakte wären da längst vergessen gewesen. Da musste ich dann ein wenig lächeln ob der eigentlich gar nicht lustigen Überforderung der sonst so tüchtigen Stadt Wien. Man wird ja wunderlich. (flon)

Quarantäne in der Warteschleife
Wenn man sich selber um den Befund kümmern muss

Den 2. November werde ich nicht so schnell vergessen. Nicht nur, weil an dem Tag ein Terroranschlag Wien erschüttert und am nächsten der Teil-Lockdown beginnt. Sondern auch, weil ich die wohl gefürchtetste Nachricht 2020 erhalte: "Ihr Laborstatus ist positiv."

Corona-positiv zu sein ist erst ein kleiner Schock, dann eine Belastung. Vor allem, wenn stets gefragt wird, woher ich das Virus habe, aber nur antworten kann: "Ich weiß es nicht." Meine Gedanken kreisen, ich fühle mich schuldig: Ich war kaum unterwegs, habe ich nicht genug aufgepasst? Wo habe ich mich angesteckt? Wen habe ich infiziert?

Es ist auch deshalb eine Belastung, weil man Geduld braucht und auf sich allein gestellt ist. Das Testergebnis erhalte ich nur auf Eigeninitiative. Als nicht, wie angekündigt, nach spätestens vier Tagen nach dem Gurgeln ein Befund kommt, rufe ich bei der Hotline an. Nach einer Stunde in der Warteschleife ist klar, dass das Ergebnis vom Labor bereits einen Tag nach dem Test eingetragen wurde, aber im Meldesystem noch nicht abrufbar sei. Nach einer weiteren Stunde in der Warteschleife ergattere ich zumindest telefonisch das Ergebnis – und drei E-Mail-Adressen, an die ich mich wegen des Befunds wenden soll. Jeder scheint froh, mein Anliegen jemand anderem umzuhängen.

Tags darauf rufen zwei Damen von der Behörde im Zehn-Minuten-Abstand an, um die gleichen Daten zu erfassen. Ein Fehler, das System sei überlastet. Doppelte Arbeit, weil die Technik hängt, während alle am Limit arbeiten? Keine gute Basis zur raschen Pandemiebekämpfung. Auch das zweimal angekündigte Formular fürs Contact-Tracing kommt nicht an. Erst einen Tag nach meiner Quarantäne soll ich meine Kontakte angeben. Zwei Wochen und etliche Mails und Anrufe später – drei Wochen nach dem Test – erhalte ich den Befund und Quarantänebescheid. Ersterer ist intern hängengeblieben, schließe ich aus dem Mailverkehr.

Klar, Fehler passieren. Aber angesichts dieser Erfahrungen überraschen die hohen Infektionszahlen nicht. Auch nicht, dass ich erstmals meine Freiminuten aufgebraucht habe – in der Warteschleife. (set)

Isolation im Hotel Mama und Papa
Wenn man Angst hat, Risikogruppen anzustecken

Es gibt keinen Moment, an dem es nicht schlimm ist, an Covid-19 zu erkranken. Als es mich getroffen hat, kam mir der Zeitpunkt aber besonders mies vor. Beim Aufwachen wusste ich sofort, dass ich krank bin. Schüttelfrost, Gliederschmerzen, trockener Husten. Mein erster Gedanke war: Bitte, lass es nicht Corona sein! Nämlich nicht nur wegen meiner Gesundheit, sondern weil ich zu dem Zeitpunkt bei den Eltern meiner Freundin zu Hause war. Beide über 60, beide Vorerkrankungen, und beide haben den Vorabend mit mir vor dem Fernseher verbracht – wenn auch mit Abstand.

Bis das Testergebnis kam, konnte ich die Sorge noch recht gut verdrängen, am nächsten Tag war dann aber klar, dass ich positiv bin. Ab jetzt drehten sich meine Gedanken um die Details des gemeinsamen Abends. Wie weit entfernt bin ich von den beiden gesessen? Haben wir die Haribos aus der gleichen Schüssel gegessen?

Am meisten beschäftigte mich, dass ich, bevor ich schlafen gegangen bin, von einer großen Flasche Cola getrunken hatte – ohne mir ein Glas zu nehmen. Die Flasche stellte ich zurück in den Kühlschrank. Diese Torheit hat mir wirklich schlechtes Gewissen bereitet – und ließ mich kurzfristig an meiner Intelligenz zweifeln. Wofür halte ich einen Abend lang Abstand, begrüße alle mit Ellenbogen, wenn ich dann am Ende so etwas mache?!

Eine lange Woche und jeweils zwei Corona-Tests bei den Eltern meiner Freundin hat es schließlich gedauert, bis klar war, dass sie sich sicher nicht infiziert haben. In Absprache mit den Behörden bin ich in der Zwischenzeit zur Isolation zu meinen Eltern übersiedelt. Die sind zwar auch um die Mitte 60, haben aber wenigstens keine Vorerkrankungen.

Sich zehn Tage lang in einem Haus von ihnen zu isolieren war auch eine Herausforderung. Vor allem für meine Eltern. Ich lebte quasi wie in der Vollpension, mit Frühstück-, Mittag- und Abendessen auf dem Zimmer. Am Ende ist glücklicherweise alles gut ausgegangen.

Wenn ich eines aus Corona gelernt habe, dann das, dass ich nie wieder Saft aus der Flasche trinke. (jop)

Entscheidende Frage: Was jetzt?
Wenn die Herde wächst, aber im Regen stehengelassen wird

Wenn der Tag lang ist, stelle ich mir unentwegt Fragen. Manche sind blöd, andere sind saublöd, auf die meisten hab ich selbst keine Antwort. Ganz selten frag ich mich, warum etwas passiert ist, beispielsweise, warum ich mich infiziert habe oder warum das und das nicht funktioniert hat. Es ändert ja doch nichts. Lieber stell ich mir Fragen zur Gegenwart oder zur Zukunft. Eine Frage taucht besonders oft auf: Wie viele Menschen – sei es weltweit, sei es nur in Österreich oder Wien – tun genau jetzt genau das, was auch ich jetzt gerade tue? Wie viele andere Menschen, weil’s grad passt, sitzen um 0:53 Uhr an ihrem Laptop und hämmern in die Tasten? Nicht dass man mit solchen Grübeleien große Sprünge machen würde, aber vor wenigen Wochen habe ich tatsächlich einmal in eine Zitrone gebissen und genau gar nichts geschmeckt. Und da lag der Gedanke schon nahe, dass es nicht so wenige Menschen waren, die in diesem Augenblick oder auch nur an diesem Tag ebenfalls in Zitronen gebissen und gar nichts geschmeckt haben.

Wir werden nämlich immer mehr. Wir, die zumindest eine Zeitlang ihren Geschmackssinn verloren haben. Wir, die Herde, wenn man so will, die Immunen. Das Gesundheitsministerium führt circa 300.000 Menschen in Österreich, allein knapp 60.000 in Wien unter "genesen". Man kennt uns nicht, man erkennt uns nicht. Natürlich tragen wir weiterhin Masken, wir wollen uns schließlich nicht anpöbeln lassen, und wir wollen solidarisch sein. Aber: Was jetzt?

300.000! Knapp 60.000 nur in Wien! Wir könnten bei Fußballspielen das Happel-Stadion füllen oder viele Restaurants und Theater und Kinosäle. Wir könnten beim Eingang unsere Antikörpertestresultate präsentieren und dann auf den Putz hauen. Oder auf Reisen gehen. Wir könnten, yes, die Wirtschaft ankurbeln. Doch diesbezüglich ist unsere Solidarität nicht gefragt. Wieso kommt niemand auf uns zu? Wieso lässt man die Herde im Regen stehen? Und wieso – Himmel! – schickt man uns nicht einmal einen Brief, in dem steht, wir sollten gefälligst zur Lungenuntersuchung gehen? (fri)

(19.12.2020)