Für die Rückkehr zu unserem normalen Leben ist eine Durchimpfungsquote von 75 Prozent nötig, meinen Experten. Das könnte das Ende der Pandemie in Österreich weiter verzögern.

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Corona wird uns schon noch ein Stück im Jahr 2021 begleiten, sagte der Mediziner Gerald Gartlehner am Ende des ZiB2-Interviews am Donnerstagabend. Auf Nachfrage von Lou Lorenz-Dittlbacher, wie lang dieses Stück sein werde, schätzte der Professor für evidenzbasierte Medizin an der Donau-Uni Krems: "Auf jeden Fall bis Herbst." Das Seufzen der Moderatorin war im Studio unüberhörbar – und kam wohl auch stellvertretend für das der Zuseher vor den Fernsehgeräten.

Kann es wirklich sein, dass wir trotz des vorgezogenen Beginns der Corona-Impfungen am 27. Dezember in Österreich und in der EU erst im Herbst 2021 eine Rückkehr zur Normalität haben werden? Und ist selbst das womöglich noch zu optimistisch gedacht?

Wie lange und wie intensiv uns die Pandemie 2021 noch begleiten wird, hängt aus heutiger Sicht im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: zum einen von der Zulassung und Verfügbarkeit wirksamer Impfstoffe. Bei deren Entwicklung hat die Forschung eindrucksvoll geliefert: Diese wissenschaftlichen Meisterleistungen in Rekordtempo wurden vom Fachblatt "Science" völlig zu Recht zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres 2020 erklärt.

Zum anderen hängt die Restdauer der Pandemie von der Bereitschaft der Bevölkerung ab, sich diese Impfstoffe auch injizieren zu lassen.

Mehr als genug bestellte Impfstoffe

Zumindest an der Beschaffung des Impfstoffs sollte es hierzulande nicht scheitern. Die Europäische Kommission hat sich durch Verträge und Vorverträge so viel davon gesichert, dass jeder EU-Bürger vier Impfstoffdosen erhalten könnte – vorausgesetzt, der Impfstoff ist zugelassen und in ausreichender Quantität verfügbar. (Spitzenreiter ist übrigens Kanada, das vertraglich bereits mehr als vierfach überversorgt ist, wenn man davon ausgeht, dass eine Immunisierung erst mit zwei Impfdosen erreicht wird.)

Die für eine großflächige Immunisierung nötigen Impfstoffmengen sollten laut Experten zumindest in den EU-Ländern bis zum Sommer vorhanden sein, wenn es zu keinen unvorhergesehenen Komplikationen bei den Zulassungen, bei der Produktion und bei den Impfungen kommt. Bleibt die große Frage, wer sich impfen lassen wird – und welche Anreize gesetzt werden können, um die traditionell geringe Impfbereitschaft der Österreicher zu verbessern.

International führende Experten wie der US-Immunologe Anthony Fauci gehen nämlich davon aus, dass 75 Prozent der Bevölkerung gegen Covid-19 geimpft sein müssen, ehe wir an ein Leben so wie früher denken können – also ohne das Tragen von Masken, ohne physisches Abstandhalten und andere Vorsichtsmaßnahmen.

Mehrheitliche Impfskepsis

Laut einer aktuellen Meinungsumfrage des Instituts von Peter Hajek sagten Anfang Dezember nur 17 Prozent der befragten Österreicher, dass sie sich "ganz sicher" gegen Covid-19 impfen lassen würden. 29 Prozent hingegen sind sich ebenso sicher, dies nicht zu tun. Diese Zahlen haben natürlich eine Schwankungsbreite, zudem sind sie nur Momentaufnahmen.

So etwa ging im Laufe des Jahres 2020 die Bereitschaft stark nach oben, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Die Zustimmungsrate zur Impfung gegen Covid-19 sank hingegen seit dem Mai, als sich noch mehr als die Hälfte der Befragten auch im Fall von Corona für eine Impfpflicht aussprachen. Und ebenfalls im Mai ging Christiane Druml, die Vorsitzende der Bioethikkommission, mit einer entsprechenden Forderung nach einer Verpflichtung für eine Impfung gegen Corona in die Offensive.

Doch kurz vor Beginn der Impfkampagne in Österreich sieht die Sache etwas anders aus: Unter den Spitzenpolitiken sprachen sich nur die beiden ÖVP-Landeshauptleute Hermann Schützenhöfer (Steiermark) und Thomas Stelzer (Oberösterreich) für eine Impfpflicht im Laufe des Jahres 2021 aus – weil manche zu ihrem Glück gezwungen werden müssten, wie Schützenhöfer salopp meinte.

Kontraproduktive Pflicht

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht wird hingegen von einer Impfpflicht zur Erhöhung der Durchimpfungsrate eher abgeraten: "Eine Impfpflicht ist bei eingefleischten Impfgegnern wirkungslos", sagt die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack, die auch Mitglied der Bioethikkommission ist. "Doch auch bei Menschen, die sich überzeugen lassen würden, löst eine Impfpflicht oft eine Gegenreaktion aus", ergänzt sie. Aus ethischer Sicht wiederum stelle eine Impfpflicht "einen Eingriff in die körperliche Integrität dar, und um das zu rechtfertigen, braucht es sehr gewichtige Gründe".

Die sehr differenzierte Stellungnahme der Bioethikkommission, die Ende November veröffentlicht wurde, enthält auch keine Empfehlung für eine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19. Begründet wird diese Position unter anderem mit der Neuheit der Impfstoffe und bestimmten offenen Fragen wie möglichen Langzeitfolgen oder dem (noch ungeklärten) Schutz vor Transmission. Wohl aber legt die Kommission nahe, dass eine Covid-19-Impfung unter bestimmten Voraussetzungen für Personen in Pflege- und Gesundheitsberufen vorgeschrieben werden könnte. So herrscht seit 2019 Konsens, dass in Österreich eine Impfung gegen Masern für das Krankenhauspersonal obligatorisch sein sollte. Die Umsetzung ist freilich Landessache.

Immunisierung als Berufserfordernis

Personen, die diese Impfung nicht vorweisen können, werden auf Posten ohne Patientenkontakt versetzt. Das könnte auch im Fall von Covid-19 kommen: "Wenn jemand nicht bereit ist, sich und dadurch die anderen zu schützen, dann soll er woanders eingesetzt werden, wo er nicht mit vulnerablen Personen zu tun hat", präzisiert Kommissionsvorsitzende Druml.

Der Staat hätte außerdem die Möglichkeit, bestimmte Sozialleistungen an eine Impfung zu koppeln, solange dadurch keine lebensnotwendigen Leistungen entzogen würden, wie der Medizinjurist Karl Stöger im STANDARD erklärte. Das scheint aber im Fall der Masern leichter möglich, indem man etwa eine Impfung zur Voraussetzung für einen Kindergartenplatz macht. Im Fall von Covid-12 sind freilich keine Impfungen von Kindern vorgesehen.

Impfpflicht durch die Hintertüre?

Bleibt die Möglichkeit, den Nachweis einer Impfung womöglich über den elektronischen Impfpass zur Voraussetzung von privaten Dienstleistungen zu machen. Unternehmen wie Hotels oder Kinos könnten einen Impfnachweis in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen festschreiben. Tatsächlich arbeiten Fluglinien wie die australische Qantas bereits an entsprechenden Konzepten und Apps. Öffentliche Institutionen haben da freilich einen sehr viel geringeren Spielraum: Kommunale Schwimmbäder – apropos Sommer 2021 – werden den Zutritt für Nichtgeimpfte definitiv nicht sperren können.

Barbara Prainsack, die auch dem Corona-Fachrat des STANDARD angehört, hält solche Maßnahmen, die all jene diskriminieren, die sich etwa aus bestimmten Gründen gar nicht impfen lassen können, aus ethischer Sicht "für höchst problematisch". Dadurch werde etwa die Mobilität marginalisierter und vulnerabler Gruppen weiter eingeschränkt.

Sie zieht sanftere Anreize und Dialoge mit impfunschlüssigen Personen vor und appelliert an die Solidarität: "Wenn alle Menschen ihre Entscheidungen über die Impfung oder auch über andere Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus nur als Individuen treffen, dann kommen wir aus der Krise niemals heraus." Schon gar nicht bis Herbst 2021. (Klaus Taschwer, 18.12.2020)