Die Tiroler VP-Landesrätin Beate Palfrader will helfen – auch gegen den Willen der Bundespartei.

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Wien/Innsbruck – Es sei der ausdrückliche Wunsch des Bundeskanzlers gewesen: Den Kindern im Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos müsse geholfen werden, wenigstens symbolisch. Nicht, dass man Kinder oder gar deren Familien aufnehmen wolle, aber es brauche rechtzeitig eine Aktion, damit die ÖVP und der Kanzler nicht so kaltherzig dastünden, in den Tagen vor Weihnachten. Die Grünen hatten zuletzt wieder verstärkt Druck ausgeübt, Kinder aus dem Flüchtlingslager auf Lesbos aufzunehmen, die Kirchen und der Kardinal hatten sich da auch ganz eindeutig positioniert und an Sebastian Kurz appelliert, zuletzt waren auch innerhalb der eigenen Partei Stimmen laut geworden, dass man die Kinder aus Lesbos nicht im Dreck verkommen lassen dürfe.

Tagesbetreuung für Kinder

Außenminister Alexander Schallenberg wurde mit einer Aktion beauftragt: Österreich würde im berüchtigten Flüchtlingslager Kara Tepe, dem Nachfolgelager des abgebrannten Lagers Moria, eine Kindertagesbetreuung einrichten. Als Partner vor Ort soll SOS Kinderdorf für die Umsetzung sorgen. In dem riesigen Lager, in dem hunderte Kinder in Zelten leben, gibt es derzeit weder einen Kindergarten noch eine Schule.

Dass die griechischen Behörden mit der Genehmigung zögerten, wurde im Kanzleramt in Wien nicht akzeptiert. Die Aktion habe noch vor Weihnachten publik gemacht zu werden. Es brauche gute PR. Tatsächlich hat Kurz mit erheblichen Widerstand gegen seine strikte Linie zu kämpfen. In Tirol machen dortige prominente ÖVP-Repräsentanten für eine Aufnahme von Flüchtlingen aus Lagern in Griechenland mobil – entgegen der Bundesparteilinie. Damit erhalten die Grünen wesentliche Unterstützung in ihrem Anliegen, das Lager zu evakuieren und Kinder und deren Familien in Österreich aufzunehmen.

Unterstützung durch Bürgermeister

Zuletzt hatte sich schwarze Landesrätin Beate Palfrader wieder für eine Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. Sie erhält jetzt auch Unterstützung von Tiroler Parteifreunden, unter anderem von Ernst Schöpf, dem Gemeindeverbandspräsident und Bürgermeister von Sölden, sowie vom Kitzbüheler Ortschef Klaus Winkler, wie die "Tiroler Tageszeitung" (Samstagsausgabe) berichtete.

"Unsere christlich-soziale Verpflichtung ist, sofort zu helfen", ließ Palfrader die Parteifreunde auf Bundesebene wissen. Die "Hilfe vor Ort" reiche nicht aus, denn: "Wenn die so ausschaut, dass Kinder im Dreck liegen und erfrieren, dann ist das keine. Diese Bilder sagen mehr als Worte".

Grüne unterstützen

Die Bilder aus den Lagern in Griechenland seien "selbstredend", meinte indes Schöpf und fügte hinzu: "Es geht ja nicht um 100.000 Leute, die nach Österreich kommen sollen. Es gibt auch Quartiere. Es stünde Österreich sehr gut an, zu helfen". Zum "Njet" der Bundespartei unter Parteiobmann und Kanzler Sebastian Kurz sagte der Söldener Ortschef: "Ich muss nicht alles verstehen und nachvollziehen können, was die weltlichen Obrigkeiten an Standpunkten vertreten. Das gilt selbst dann, wenn es sich um Parteifreunde handelt".

"Ich habe einen humanitären Zugang. Uns allen würde gut anstehen, den auch zu zeigen und das Herz zu öffnen, Hilfe zu leisten. Das gehört zu unseren Werten", stimmte auch Winkler in den ÖVP-Bürgermeister-Chor mit ein. Indes listete die "TT" noch einige weitere schwarze Unterstützer des Aufnahme-Kurses auf, darunter Bürgermeister Josef Raich aus Kaunertal, der Heimatgemeinde von Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Unterstützung kam naturgemäß von den Tiroler Grünen, Koalitionspartner im Land. "Es geht um eine Akt der Menschlichkeit und eine Evakuierung in höchster Not. Wir haben in Tirol mehr als genügend freie Plätze in den hervorragenden TSD-Einrichtungen", erklärte Soziallandesrätin Gabriele Fischer in einer Aussendung. Man könne noch heute mit der Aufnahme beginnen. Tirols ÖVP-Landeshauptmann Günther Platter hatte sich in der Debatte hingegen bisher hinter die Bundesparteilinie gestellt.

Mittlerweile hat sich auch Justizministerin Alma Zadić (Grüne) im Ö1-Mittagsjournal in die Debatte eingeschalten: "Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns in der Bundesregierung tagtäglich dafür einsetzen werden, dass wir hier noch eine Bewegung und eine Änderung herbeiführen", sagte sie. Zadić spricht sich heute klar für für die Aufnahme von Flüchtlingen aus.

Schwierige Vorbereitung

SOS Kinderdorf will sich aus den politischen Streitereien heraushalten – und helfen. Christian Moser, Geschäftsführer von SOS-Kinderdorf Österreich, nimmt sich den Slogan des legendären Gründers des Kinderhilfswerks Herrmann Gmeiner (1919-1986) zum Vorbild: "Red’s nit, tuat’s was!" Nach offenbar sehr diffizilen Vorbereitungsarbeiten mit der österreichischen Regierung und den griechischen Behörden soll in den nächsten Tagen nun eine Tagesbetreuungsstätte für 500 Kinder in Betrieb gehen, erfuhr der STANDARD. Dort sollen Kinder psychologische Betreuung, gesundheitliche Unterstützung sowie Bildungsmöglichkeiten erhalten. "Uns ist wichtig, dass hier jetzt schnell geholfen wird", so Moser.

Längerfristig sollen in der Tagesstätte geflüchtete und einheimische Kinder gemeinsam betreut und beraten werden. "Nur so können die Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Bewohnern und Bewohnerinnen des Camps abgebaut werden", heißt es bei SOS-Kinderdorf.

Nicht wegschauen

Gleichzeitig appelliert Moser an die politisch Verantwortlichen in ganz Europa, endlich zu handeln. "Die Not vor Ort ist so groß, dass derzeit alle Hilfsmaßnahmen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Was es braucht, ist ein gemeinsamer politischer Plan innerhalb der EU. Nur so ist diese menschliche Katastrophe in den Griff zu bekommen." Wegschauen sei keine Lösung, meint Moser und weist auf die UN-Kinderrechtskonvention hin, die den Jüngsten ein Recht auf besonderen Schutz und Fürsorge einräumt und gewährleistet sehen will.

SOS-Kinderdorf ist nach eigenen Angaben seit 2015 auf der Insel Lesbos aktiv. Das Ziel ist aber nach wie vor, Kinder in Österreich betreuen zu dürfen, so Moser: "Unser Angebot, junge Menschen aus griechischen Camps hierzulande zu betreuen ist weiterhin aufrecht. SOS-Kinderdorf kann sehr kurzfristig Plätze in ganz Österreich schaffen." Die österreichische Regierung ist bisher dagegen.

Stellungnahmen von Schallenberg

Außenminister Schallenberg wird in einer Presseaussendung, die Samstagabend freigegeben wurde, so zitiert: "Kein Kind sollte so aufwachsen müssen, wie die Kinder in den Flüchtlingslagern auf Lesbos. Wir wollen rasch die Lebensumstände der Kinder verbessern und dazu beitragen, dass ihr Alltag kindgerechter gestaltet werden kann." In der Aussendung wird allerdings auch eingeräumt, dass es seitens der griechischen Behörden noch keine Genehmigung für dieses Projekt gibt. Man hoffe dennoch auf eine rasche Umsetzung, die österreichische Regierung würde diese Kinderbetreuungsstelle für drei Jahre finanzieren.

Auch Innenminister Karl Nehammer kommt in der Presseaussendung zu Wort: "Die Bilder, die uns aus Griechenland erreichen, sind immer wieder aufwühlend und erschütternd, das sage ich auch als Familienvater. Deshalb ist es aus unserer Sicht notwendig, vor Ort zu helfen, um die Situation zu verbessern."

"Kalmierende Show"

Kritik kommt von den Neos. Die Abgeordnete Stephanie Krisper wirft Kanzler Kurz vor, nur eine kalmierende Show zu planen und nicht an Hilfe zu denken. "Das angedachte Showprojekt würde erst in Monaten bei jetzt unmenschlichen Lebensbedingungen beginnen." Eine Umsetzung bei den Beschränkungen von NGOs erscheint Krisper überhaupt unrealistisch. "Wir ermahnen die per Selbstdefinition christlich-soziale Partei ÖVP weiterhin, Kinder und Familien aus den lebensgefährlichen Zuständen zu retten." Krisper erinnert den Kanzler daran, dass auch viele Gemeinden, Einzelpersonen und kirchliche Würdenträger bis zu Kardinal Schönborn für eine Aufnahme von Flüchtlingsfamilien eintreten. (Michael Völker, Gianluca Wallisch 19.12.2020)