Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka lud am 8. Dezember zu einer Gebetsstunde ins Parlament.

Foto: Parlamentsdirektion/Johannes Zinner

Jan Ledóchowski ist Sprecher für Christdemokratie des ÖVP-Landtagsklubs in Wien. Er verteidigt die Abhaltung einer Gebetsstunde im Parlament.

Allgemeine Empörung! Politiker haben im Parlament gemeinsam gebetet! Auf Einladung des Nationalratspräsidenten, der Bundesratspräsidentin und eines parlamentarischen Komitees fand am 8. Dezember eine gemeinsame Gebetsfeier im Advent unter dem Motto "Hoffnung in der Krise" statt. Die SPÖ fürchtete sogleich um die Demokratie und die Neos um die Trennung von Kirche und Staat. Den Vogel schoss die Zweite Präsidentin des Nationalrats Doris Bures ab. Nach einer mehr als fragwürdigen Anspielung auf die NS-Zeit verstieg sie sich zu diesem Satz: "Andererseits ist es auch nach dem blutigen Terroranschlag in Wien klarer politischer Konsens, dass der Missbrauch von Religion durch politische Wahnvorstellungen unmissverständlich zurückzuweisen ist."

Wem genau wird hier eine politische Wahnvorstellung unterstellt? Eine derart bizarre Vermischung völlig unterschiedlicher Themen tut allen Gläubigen, darunter hunderttausenden gemäßigten muslimischen Mitbürgern, schwer unrecht.

Große Rolle

Religion spielt im Leben von sehr vielen Menschen eine große Rolle. Sieben Millionen Österreicher sind Mitglieder einer Religionsgemeinschaft. Darin kann eine starke verbindende Kraft liegen. In dieser Tradition stehen die jährlichen Gebetstreffen im Parlament, und auch diesmal wurde die Vielfalt der unterschiedlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften unterstrichen.

Alle Abgeordneten waren eingeladen, und aus allen Parteien gab es Zusagen mit gut abgestimmten Beiträgen, bis nach der Vorwegberichterstattung des STANDARD einige Abgeordnete wieder abgesagt haben. Dem parlamentarischen Komitee gehören über 40 Politiker aller Fraktionen an, auch Muslime. Die vergangenen Treffen fielen zumeist in den Ramadan, weshalb es für die teilnehmenden Muslime auch immer einen eigenen Ramadan-Tisch gab.

Es ist mir unverständlich, dass in einem pluralistischen Land im Parlament nicht auch eine Gebetsfeier (noch dazu in einer Krise und im Advent!) stattfinden sollte. Es ist legitim, dass Politiker an ihrem Arbeitsplatz miteinander beten. Diese Gebetsfeier steht in einer internationalen Tradition und ist Ausdruck eines entspannten, reifen Verhältnisses zu Glaube und Religion in unserer Gesellschaft. In unserem öffentlichen Diskurs haben viele Weltanschauungen Platz. Das Fastenbrechen im Ramadan beim Wiener Bürgermeister, ein Fastensuppenessen beim Bundespräsidenten oder eine Chanukka-Feier im Parlament hat auch noch nie jemanden gestört, und das zu Recht! Deshalb ist im Parlament neben Gesetzgebung, Kunst, Kultur, Benefizveranstaltungen auch Platz für eine weihnachtliche Gebetsfeier für diejenigen, die das wollen.

Österreich hat eine lange christliche Tradition der gemeinsamen Gebete, auch auf politischer Ebene. Zum Staatsvertrag im Jahr 1955 sagte der damalige Bundeskanzler Julius Raab: "Wenn nicht so viel gebetet worden wäre, so viele Hände in Österreich sich zum Gebet gefaltet hätten, so hätten wir es wohl nicht geschafft." Selbst jene, die das kaltlässt, sollten anderen nicht aufgrund politischer Auffassungsunterschiede die Aufrichtigkeit und die Bedeutung des Glaubens absprechen. (Jan Ledóchowski, 21.12.2020)