Der WKO-Chef findet es bedenklich, dass Konzerne wie Apple und Google mehr Daten sammeln als Corona-Tracing-Apps.

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Ein "Freiheitsentzug der Extraklasse" sei die aktuelle Situation aus Sicht des Präsidenten der Wirtschaftskammer (WKO) Harald Mahrer. Um das zu ändern, fordert er eine Reihe an Maßnahmen – angefangen mit Tests und Impfungen. Doch um nicht mehr "semi-eingekerkert" zu sein, wie Mahrer am Freitag vor Journalisten sagte, brauche es zudem neue Features bei der "Stopp Corona"-App des Roten Kreuzes.

Diese soll aus seiner Sicht mehr Daten sammeln – es sei nämlich absurd, dass "wir bei jeder Essensbestellung im Internet mehr Daten über uns hergeben als bei einer Corona-App." Auch würden Bürger Unternehmen wie Google, Apple und Amazon freiwillig weitaus mehr Informationen zur Verfügung stellen.

Viel zu sehr sei es ihm bei der Diskussion um das Programm um den Datenschutz gegangen und zu wenig um die Vermeidung tausender Toter. Der WKO-Chef führt zwar nicht aus, welche Daten konkret gesammelt werden müssten, verweist aber auf erfolgreiche Modelle aus Asien, etwa Singapur, wo vor allem durch digitale Möglichkeiten eine effektive Nachverfolgung von Corona-Infizierten möglich gewesen sei.

Debatte in Deutschland

Mahrer dürfte auch von Äußerungen aus Deutschland inspiriert worden sei, wo nämlich bereits seit einigen Tagen eine Debatte zur Corona-Warn-App geführt wird: So forderten CDU- und SPD-Politiker eine Abkehr von der bisherigen Philosophie, Datenschutz an erste Stelle zu setzen und dafür mehr Überwachung, etwa des Standorts, einzuführen. "Es ist unabdingbar, dass die Corona-Warn-App schnellstens dahingehend ertüchtigt wird, dass sichtbar ist, wann und wo die erfassten Risiko-Begegnungen stattgefunden haben", sagte etwa der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Kuffer.

Eine Behauptung, die aus technischer Perspektive wenig Sinn ergibt: Denn selbst wenn die Corona-App mit GPS-Tracking erweitert werden würde, hätte das zur Folge, dass sie nicht mehr auf die Bluetooth-API von Google und Apple zugreifen könnte. Die beiden US-Konzerne haben gemeinsam eine eigene Schnittstelle entwickelt, die die Kontaktnachverfolgung anhand eines "digitalen Händeschüttelns" erst ermöglicht: Konkret wird via Bluetooth erfasst, wer sich in der Nähe befindet, auf dem eigenen Gerät wird dann anonymisiert die ID des jeweiligen Smartphones gespeichert.

Datensicherheit

Kommt es zu einer Infektion, können User das via App melden – und so sämtliche Kontakte, die sie getroffen haben, warnen. Allerdings wird die API nur ausgewählten Partnern zur Verfügung gestellt, und ihre Nutzung ist an die Bedingung gekoppelt, dass es zu keinem Tracking des konkreten Standorts von Usern geben darf. Heißt: Würde der Standort gespeichert werden, um für Behörden ersichtlich zu machen, wo eine Infektion stattgefunden hat, würde im Gegenzug das Kern-Feature der App, nämlich die Kontakterfassung, weitaus unzuverlässiger – wenn überhaupt – funktionieren.

Zwar könnte eine separate App für eine derartige Datenspeicherung eingesetzt werden. Jedoch wäre auch in einem solchen Fall die Sinnhaftigkeit infrage zu stellen, da solche Programme viele Nutzer brauchen, um effektiv zu funktionieren – gerade das ist die Krux bei "Stopp Corona", weswegen Gesundheitsminister Rudolf Anschober vergangenen Monat "dringend" zur Installation der App aufrief.

Dazu kommt die Debatte rund um die Datensicherheit: Während bei Google, Amazon, Apple und Konsorten mehr Daten gespeichert werden, wie Mahrer anmerkte (grundsätzlich, bei Corona-Apps sammeln sie mit ihrer Schnittstelle keine Informationen), kommt es bei den IT-Konzernen allerdings auch selten zu Datenlecks. Das hat mit den technischen und finanziellen Möglichkeiten der Firmen zu tun. Ob ein solches Vertrauen für Datensicherheit auch bei einer staatlichen App entstehen kann, ist fraglich. So sorgte die Regierung erst kürzlich mit einem Datenleck für Irritationen, bei dem sensible Informationen von rund 800 Personen, die sich für Massentests angemeldet hatten, entwischten. Die zuständige A1-Tochter World Direct gab in ihrem ersten Statement gar nicht erst an, ob es sich um reale Userdaten oder um Testdaten handelte. Auf mehrfache Nachfrage wurde dies erst fast einen Tag später klargestellt und Betroffene informiert.

Bewegungsprofile der Bevölkerung

Dass das digitale Contact Tracing in zahlreichen asiatischen Staaten effektiver funktioniert als bei europäischen Corona-Apps, liegt auch an den allgemeinen Überwachungsmaßnahmen der Länder, die weit über Kontaktnachverfolgungsapps hinausgehen – und auch mehr von der Bevölkerung akzeptiert werden als in europäischen Staaten. So kommt in Singapur, das Mahrer als Beispiel nennt, neben der Corona-App "Trace Together" die Überwachungsapp "SafeEntry" zum Einsatz. Wer sich frei bewegen möchte, muss immer sein Handy mithaben, auf der die Software installiert sein muss – und anhand dieser an jedem öffentlichen Ort sowohl sein Kommen als auch sein Gehen registrieren. Mahrer sagte, dass "Stopp Corona" auch als "Ausweis" dienen könnte, wenn sie ein Testergebnis anzeigt.

Doch Informationen werden in Singapur zentral gespeichert, das heißt, die Regierung erhält darauf Zugriff und kann dementsprechend bei jedem Bürger einsehen, wann er sich wo befunden hat. Demnach sind auch genaue Bewegungsprofile möglich. Außerdem müssen Bürger in Quarantäne unangekündigt Selfies schicken, um zu belegen, dass sie tatsächlich zuhause sind.

Umfassende Überwachungsmaßnahmen

Auch in Ländern wie Südkorea und China setzen die dortigen Regierungen auf umfassende Überwachungsmaßnahmen. Die Führung in Seoul greift etwa auf sämtliche GPS- und Kreditkartendaten seiner Bürger zu. User erhalten regelmäßig SMS-Nachrichten von der Regierung, die den Aufenthaltsort und das Bewegungsmuster einer infizierten Person beschreiben, damit Nutzer prüfen können, ob sie in Kontakt waren.

Das hatte im Sommer allerdings zur Folge, dass Betroffene aufgrund der schwachen Anonymisierung identifiziert werden konnten – und Online-Mobbing ausgesetzt waren. Nachdem Mitglieder der LGBTQ+-Community befürchteten, durch die SMS unfreiwillig geoutet zu werden, entschied die südkoreanische Regierung sich dazu, etwas weniger detaillierte Beschreibungen zu versenden.

Verpflichtungsüberlegungen senkten Vertrauen

Mit weniger als zwei Millionen Downloads wurde "Stopp Corona" in Österreich bisher viel zu selten heruntergeladen, um das Infektionsgeschehen tatsächlich lückenlos verfolgen zu können. Das Problem ist aber kein rein österreichisches, es lässt sich europaweit beobachten. Ein Problem ist, wie Forscher der ETH Zürich im Fachbereich Gesundheitswissenschaften und Technologie behaupten, das Vertrauen in derartige Programme.

Dieses könne nur steigen, wenn ihre Wirkung in den Augen der Nutzer belegt ist. Das könnte auch daran liegen, dass die Pläne für die Einführung der Apps vielfach ohne Einbindung der Öffentlichkeit umgesetzt worden sind, was zu einem Vertrauensverlust geführt hat. In Zukunft empfehlen sie Kontrollgremien für die Regelung der Apps auf nationaler Ebene, in denen auch die Zivilgesellschaft vertreten ist. In Österreich hat gerade die Frage um den Datenschutz für Debatten gesorgt. Doch auch der Umstand, dass ÖVP-Politiker bei der Einführung der App laut darüber nachdachten, sie womöglich verpflichtend zu machen, hat der öffentlichen Meinung zu Apps zum digitalen Contact Tracing einen Dämpfer verpasst. (Muzayen Al-Youssef, 20.12.2020)