Formalfehler beim Frühwarnsystem können für das Unternehmen hohe Kosten nach sich ziehen.

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In der pandemiebedingten Wirtschaftskrise kommen so manche Unternehmen auch mit Kurzarbeit nicht mehr über die Runden. Um den Personalstand dauerhaft an den gesunkenen Arbeitsbedarf anzupassen, sehen sie sich jetzt zur Auflösung von Arbeitsverhältnissen gezwungen. In zahlreichen Fällen handelt es sich dabei um "Massenkündigungen", für die ein spezielles Meldeverfahren beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgesehen ist, das sogenannte Frühwarnsystem.

Diesem zufolge haben Arbeitgeber die nach dem Standort des Betriebs zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen auflösen wollen.

Formalfehler beim Frühwarnsystem können für das Unternehmen hohe Kosten nach sich ziehen. In vielen Fällen bewirken nämlich solche Fehler die Unwirksamkeit der im relevanten Zeitraum erfolgten Beendigungen von Arbeitsverhältnissen. Dies betrifft nicht nur Kündigungen, sondern auch vom Arbeitgeber veranlasste einvernehmliche Auflösungen. Das Frühwarnsystem stellt daher für Unternehmen ein juristisches Minenfeld dar.

Massenkündigung

Der Begriff "Massenkündigung" ist irreführend, weil nach den einschlägigen Vorschriften bereits die (beabsichtigte!) Auflösung von fünf Arbeitsverhältnissen die Anzeigepflicht an das AMS auslösen kann. Konkret hängt die Verständigungspflicht von der Betriebsgröße ab, wobei die Schwellenwerte grundsätzlich nach Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer gestaffelt sind.

In der Praxis ist freilich manchmal unklar, welche Unternehmenseinheit als Betrieb im Sinne des Frühwarnsystems gilt. Das OLG Wien (7 Ra 27/20x) hat kürzlich zutreffend festgehalten, dass der Betriebsbegriff des Frühwarnsystems im Einklang mit der einschlägigen EuGH-Judikatur zur Massenkündigungs-Richtlinie auszulegen ist.

Im konkreten Fall beschloss ein in Bled (Slowenien) ansässiges Handelsunternehmen, sämtliche vier Filialen in Österreich (SCS Vösendorf, Wien-Donaustadt, Klagenfurt und Villach) zu schließen. Davon waren insgesamt 28 Arbeitnehmer betroffen, wobei in der Filiale in der SCS Vösendorf sieben und in der Donaustadt sechs Arbeitnehmerinnen gekündigt wurden.

Alle Filialen ein Betrieb?

Eine Verkäuferin in der SCS Vösendorf bekämpfte ihre Kündigung mit dem Argument, dass die Arbeitgeberin gegen die Vorschriften des Frühwarnsystems verstoßen habe. Entscheidend war hier die Frage, ob für das Frühwarnsystem sämtliche Filialen einen Betrieb bilden und daher von 28 Arbeitnehmern auszugehen ist. In diesem Fall hätte das Unternehmen mindestens 30 Tage vor der ersten Kündigung das AMS verständigen müssen. Das Gericht ging allerdings davon aus, dass für das Frühwarnsystem jede Filiale als eigener Betrieb gilt; somit wurde die Mindestschwelle von 21 Beschäftigten in Vösendorf nicht erreicht.

Sind von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Arbeitnehmer über 50 betroffen, so gilt die Verständigungspflicht unabhängig von der Betriebsgröße bereits ab fünf Arbeitnehmern. Unterlässt der Arbeitgeber in diesem Fall die Verständigung des AMS, so können sich allerdings jüngere Arbeitnehmer nicht auf die Unwirksamkeit ihrer Kündigungen berufen. Wie der OGH in einer aktuellen Entscheidung (21.10.2020, 9 ObA 74/20b) aussprach, ist für jüngere Arbeitnehmer der von der Betriebsgröße abhängige allgemeine Schwellenwert heranzuziehen.

Arbeitgeber sollten bei geplanten Personalabbaumaßnahmen keinesfalls eine meldepflichtige Beendigungsabsicht auf Betriebsversammlungen oder Pressekonferenzen ankündigen, ohne die einschlägigen Vorgaben des Frühwarnsystems einzuhalten. Nach der Judikatur löst nämlich bereits die Absicht zur Auflösung einer relevanten Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb des 30-Tage-Zeitraums die Meldepflicht aus. Bei bloßen "Erkundungsgesprächen" sollte daher nachweislich klargestellt werden, dass diese noch kein rechtsverbindliches Angebot darstellen und die Entscheidung über die Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses noch nicht endgültig getroffen wurde. (Andreas Tinhofer, 21.12.2020)