Bettina Dausien.

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Studierende beim Sammeln von ECTS-Punkten.

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Bettina Dausien unterrichtet seit rund 30 Jahren Studierende. Seit über zehn Jahren forscht sie an der Universität Wien zum Thema Bildung im Lebenslauf – also darüber, wie und warum Menschen ihr Leben lang lernen. Sie weiß also, wovon sie spricht, wenn sie die aktuelle Universitätspolitik und den Umgang mit Studierenden kritisiert. "Wir sollten doch eigentlich Menschen ausbilden und nicht Prüfungsabsolviermaschinen", sagt sie.

Dausiens Ärger rührt von der Novelle des Universitätsgesetzes (kurz: UG-Novelle) her. Bis 15. Jänner ist das Gesetz in Begutachtung, kann also noch abgeändert werden. Kritik gibt es zuhauf. Die Reform ist weitreichend und erfasst unter anderem den Wirkungsbereich von Uni-Senaten, Vertragsregelungen von wissenschaftlichem Personal und neue Regeln für Studienanfänger. Diese müssen künftig in den ersten vier Semestern ihres Studiums 24 ECTS-Punkte in einem Fach absolvieren, sonst werden sie für zehn Jahre für dieses Studium gesperrt. Zur Einordnung: Wer in Mindeststudienzeit studieren will, braucht 30 ECTS-Punkte pro Semester. Besonders hoch ist die Auflage also nicht, warum also die Aufregung?

Das System lernen

"Natürlich ist das an sich nicht viel. Dahinter steht aber das Modell eines Studierenden, der nach der Matura Vollzeit an der Universität studiert, dort gleich Anschluss gefunden hat und sofort leistungsfähig ist", sagt Dausien. Die Realität sehe aber vielfach anders aus. Es gebe Studierende, die das Universitätssystem erst lernen müssten. "Laut Studierenden-Sozialerhebung sind 60 Prozent der Studierenden die Ersten in der Familie, die studieren. Gut die Hälfte davon kommt aus Familien, in denen die Eltern nicht maturiert haben."

Da können auch 24 Punkte in vier Semestern viel werden. "Diejenigen, die es schwer haben, haben es dann noch schwerer. Dabei sollte man ihnen den Zugang zur Universität erleichtern", meint die Bildungswissenschafterin.

Falsches Studierendenbild

Sie stört vor allem, dass die Politik ihre Gesetze aus Sicht der Hochschulorganisation entwirft und die Sicht der Studierenden dabei außen vor bleibt. "Die Mehrheit der Studierenden ist nicht so, wie sich die Politik das vorstellt. Die machen nicht Matura, dann ihr Studium in Mindeststudienzeit und beginnen anschließend mit ihrem Job. Die Studierendenschaft heute ist sehr heterogen." Viele würden erst einige Studien ausprobieren, fast ein Viertel hat nach dem Schulabschluss erst einmal einen Beruf erlernt oder gearbeitet, ehe er oder sie ein Studium beginnt. Die Mehrheit – nämlich 65 Prozent der Studierenden – ist erwerbstätig, mit durchschnittlich etwas mehr als zwanzig Wochenstunden.

"Wenn wir diese Zahlen ernst nehmen, bräuchten wird dringend ein Teilzeitstudium an unseren Universitäten. Das gäbe uns dann auch die Möglichkeit, Studium und Berufspraxis besser miteinander zu verbinden." Dass es viele Studierende gibt, die inskribieren, dann aber in den ersten beiden Semestern keine einzige Prüfung absolvieren, erklärt sie zum Teil als Folge eines nachvollziehbaren Kalküls: "Manche machen vielleicht ein Aufnahmeverfahren an der Pädagogischen Hochschule oder einer Fachhochschule, und zur Sicherheit inskribieren sie ein Studium ohne Zugangstest."

Tatsächliche Orientierungsphase

Was kann also die Lösung sein? "Ich verstehe gar nicht, was überhaupt das Problem ist", sagt Dausien. "Wir haben vor wenigen Jahren eine Studieneingangs- und Orientierungsphase eingeführt, die ihren Zweck gut erfüllt. Nach zwei Semestern hat sich geklärt, wer bleibt." Studierende, die keine Vorlesungen oder Prüfungen absolvieren, würden doch kaum Kosten verursachen. Das Argument der Verwaltungskosten will die Bildungswissenschafterin nicht gelten lassen. "Die sind nicht hoch, und sollten wir uns das als Gesellschaft nicht leisten wollen?"

Trotzdem hat sie einen Vorschlag: "Anstatt neue Restriktionen einzuführen, müssten wir die Orientierungsphase am Studienanfang ausbauen und anders gestalten." Studierende sollten demnach die Möglichkeit bekommen, einige Studien auszuprobieren und sich mit Themen und Texten zu beschäftigen, ohne dass sofort ihre Leistung gemessen werde. Derzeit sei die Devise des Studienanfangs: "Da muss ich durch." Für die Motivation und den Spaß am Lernen sei das nicht zuträglich.

Eine tatsächliche Orientierungsphase, in der man sich erproben könne, würde auch dazu führen, dass Studierende später umso effektiver studieren, ist sich Dausien sicher. (Lisa Kogelnik, 22.12.2020)