Pressevertreter werden bei rechtsextremen Demos teils mit Schirmen an ihrer Berichterstattung gehindert. Im Bild: eine Demonstration der Identitären im Oktober.

Foto: Der Standard / sum

"Mach's noch einmal, dann hast eine in der Gosch'n", mit diesen Worten sind am vergangenen Sonntag mehrere Teilnehmer der "Querdenker"-Demonstration in Wien auf anwesende Journalisten losgegangen. Weil sie nicht fotografiert werden wollten, rempelten, schrien und husteten sie den Fotojournalisten Lorenzo Vincentini an. Konsequenzen gab es für die Betroffenen bislang noch nicht, für Vincentini gehören derartige Übergriffe aber bereits zu seinem Alltag. "Bei fast jeder Demo passiert so etwas", sagt Vincentini.

Bestätigen kann dies auch der freie Journalist Michael Bonvalot. Er dokumentiert seit Jahren die Aufmärsche rechtsextremer Gruppierungen oder eben auch jene der "Querdenker". Viele der Kundgebungsteilnehmer fühlen sich von der Anwesenheit einer Kamera gestört, obwohl sie an einer öffentlichen Veranstaltung teilnehmen. Erst Anfang November wurde ein ORF-Kamerateam bei einer "Querdenker"-Demo bedroht, der Dreh musste abgebrochen werden.

Doch nicht nur das: Bonvalot selbst wird von Rechtsextremen systematisch bedroht und wurde bereits öfters angezeigt. Zuletzt wurde er nach einer Kundgebung der Identitären stundenlang durch Wien verfolgt. "Wenn man nicht von rechten Aufmärschen berichten kann, ohne bedroht zu werden, ist das ein Angriff auf die Pressefreiheit", so Bonvalot.

Was tut die Polizei?

Drei Geschichten, aber keine Einzelfälle. Reporter ohne Grenzen Österreich und der Presseclub Concordia sind ob der Sicherheit von Journalisten in Österreich "besorgt" und "alarmiert". Seit geraumer Zeit beobachte man "systematische Übergriffe" auf Pressevertreter bei Kundgebungen, sagt die Geschäftsführerin des Presseclub Concordia, Daniela Kraus. Die Präsidentin der Österreich-Sektion von Reporter ohne Grenzen, Rubina Möhring, sieht die Übergriffe als "Symptom" einer zunehmenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft, Reporter müssten als "Blitzableiter" herhalten.

Und die Polizei? "Offensichtlich gibt es bei den Behörden zu wenig Sensibilität", sagt Kraus. Sie wünscht sich eine lückenlose Dokumentation solcher Fälle und eine Strategie, wie die freie Berichterstattung bei Demonstrationen geschützt werden kann. Wegen der jüngsten Vorfälle habe der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl ein Gespräch auf Initiative von Kraus in Aussicht gestellt. Auch Möhring sieht Verantwortung bei der Exekutive.

Einer der Angriffe auf Pressevertreter bei der "Querdenker"-Demo am Sonntag.
DER STANDARD

Die Wiener Polizei gibt auf Nachfrage an, die Vorfälle bei der "Querdenker"-Demo nicht gesehen zu haben. Generell – so der Appell der Beamten – sollen sich betroffene Journalisten immer an die Beamten wenden, auch wenn nur der Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliege. Sollten Pressevertreter zu wenig geschützt sein, liege das nicht in der Verantwortung der Exekutive. Die aktuelle Rechtslage erlaube keinen sogenannten vorbeugenden Schutz für Journalisten wie etwa bei Diplomaten oder kritischer Infrastruktur.

Journalisten-Outing

Tatsächlich sind die Anforderungen an Beamte während einer Demonstration schon jetzt mannigfaltig. Seit den Corona-Maßnahmen müssen sie nun auch auf Maske und Abstand achten. Gerade nach den "Querdenker"-Protesten gab es Kritik an den Behörden, da diese die Covid-Maßnahmen nicht exekutierten.

Außerdem hören die Drohungen nicht bei der Demonstration auf. Zuletzt etwa veröffentlichte eine bekannte Organisatorin der "Querdenker"-Demos Fotos mit Namen von Journalisten. Jene Journalisten sollen "im Auftrag der Regierung beziehungsweise Antifa" schlecht über ihre Demos berichten, so der Subtext.

Filmen von Einsätzen

Zur Berichterstattung über Demonstrationen gehört auch die Dokumentation polizeilicher Handlungen, etwa bei Festnahmen, Ausweiskontrollen oder fehlendem Einschreiten. Eine solche Dokumentation ist uneingeschränkt erlaubt, sofern der Einsatz nicht behindert oder die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen verletzt werden.

Journalisten sind immer wieder mit willkürlichen Ausweiskontrollen und Behinderungen beim Dokumentieren von Amtshandlungen konfrontiert. Bonvalot geht dagegen auch rechtlich vor. Zuletzt gewann er eine Maßnahmenbeschwerde gegen einen Beamten, der ihn trotz sichtbar getragenen Presseausweises mit Gewalt wegdrückte, als er versuchte, eine Verhaftung zu fotografieren. Zuvor ließ ein anderer Beamter mehrmals seinen Hund auf Bonvalot springen.

Der Journalist Michael Bonvalot wird von einem Polizeihund attackiert.

Auch Vincentini versucht, sich seine Rechte als Journalist am Gerichtsweg zu erkämpfen. Einmal wurde er rechtswidrig von einer Burschenschafter-Demo vor der Universität Wien weggeschickt. Ein anderes Mal wurde er wegen eines angeblichen "Suchtgift-Geruchs" angehalten und somit an seiner Dokumentationsarbeit gehindert – auch in diesem Fall entschied ein Gericht, dass die Amtshandlung rechtswidrig war.

Mangelnde Daten

Die Pressestelle der Polizei Wien kann über die konkreten Fälle keine Auskunft geben. Grundsätzlich werden Beamte aber informiert, dass Journalisten von Amtshandlungen berichten dürfen, auch via Video. In der Polizeiausbildung selbst sollen derartige Themen im Modul "Verfassungsrecht und Europäische Union" vorkommen.

Ob die Behinderung der Berichterstattung seitens der Exekutive vermehrt vorkommt oder es sich hier um vereinzelte "schwarze Schafe" handelt, lässt sich aufgrund mangelnder Daten nicht feststellen. Weil Maßnahmenbeschwerden mit einem hohen Kostenrisiko verbunden sind, dürften viele Fälle erst gar nicht publik werden. Möhring von Reporter ohne Grenzen spricht sich deshalb für eine verpflichtende Kennzeichnung von Polizisten mit ihrer Dienstnummer aus. Man müsse sich effektiv beschweren können, so Möhring.

Europäisches Problem

Dass die Berichterstattung von Demos immer heikler wird, scheint aber nicht nur ein Wiener Problem zu sein. In Deutschland etwa sind die "Querdenker"-Demos größer und etliche Angriffe auf Journalisten gut dokumentiert.

Dort mehren sich die Rufe nach Konzepten für den Schutz von Journalisten auf politischer Ebene. In einer bereits im Mai dieses Jahres veröffentlichte Studie vom Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) geben knapp 60 Prozent der befragten Journalisten an, im vergangenen Jahr mindestens einmal angegriffen worden zu sein. Rund 16 Prozent erhielten bereits mindestens einmal in ihrem Berufsleben eine Morddrohung.

Auch auf europäischer Ebene will die EU-Kommission Vorschläge erarbeiten, wie die Sicherheit von Journalisten besser gewährt werden kann, eingebettet im europaweiten "Aktionsplan für Demokratie". Das österreichische Innenministerium bekräftigte in der Vergangenheit mehrmals, die Pressefreiheit "mit allen erdenklichen Mitteln" zu schützen. Konkrete Schritte – wie etwa eine Beschwerdestelle für Vorwürfe gegen Polizisten – bleiben noch aus oder befinden sich erst in der Planung. (Laurin Lorenz, 27.12.2020)