Im Frühjahr wurde noch geklatscht, heute nicht mehr.

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Um 18 Uhr wurde im Frühjahr aus offenen Fenstern für das Pflegepersonal an der Corona-Front geklatscht. Und Youtube-Videos, in denen Profis, aber auch weniger talentierte Musiker aus ihren Fenstern die Umgebung mit Konzerten erfreuten, gingen um die Welt. Mittlerweile stecken wir mitten im dritten Lockdown. Geklatscht wird schon lange nicht mehr.

"Das Klatschen um 18 Uhr wurde zwar viel belächelt, aber es hat für eine solidarische Stimmung gesorgt", sagt die Soziologin Barbara Rothmüller von der Sigmund-Freud-Universität in Wien. Sie hat im ersten und im zweiten Lockdown mittels Onlinebefragung erforscht, wie es den Menschen in der Krise geht, der STANDARD berichtete.

Die Auswertung der zweiten Onlinebefragung, an der sich 1.500 Menschen beteiligten, läuft noch. Was Rothmüller aber jetzt schon weiß: Die solidarische Stimmung und das Engagement der Bevölkerung – etwa dass man für die Nachbarn einkauft – haben sich seit dem ersten Lockdown deutlich reduziert.

"Massivste Veränderung"

"Es herrscht eine solidarische Stimmung in der Bevölkerung" lautet eine der abgefragten Aussagen, der im April noch 64 Prozent der Befragten zustimmten. Nun sind es nur noch 20 Prozent. "Das ist die massivste Veränderung, die ich bislang beobachten konnte", sagt Rothmüller im Gespräch mit dem STANDARD.

Laut Umfrage ist 87 Prozent der Befragten klar, dass durch die Pandemie die gesellschaftlichen Ungleichheiten vergrößern werden. Im Frühjahr waren das erst 75 Prozent. Auch die Sorge, dass auf benachteiligte Gruppen vergessen wird, ist seit dem Frühjahr gestiegen.

Die Teilnehmenden wurden auch konkret zu ihrem Engagement in der Gesellschaft befragt – in der Befragung heißt das "solidarische Praktiken". Auch hier zeigte sich laut Rothmüller: "Die Menschen sind weniger solidarisch als noch im Frühjahr." Zwar zeigt immer noch die überwiegende Mehrheit Engagement, doch knapp ein Viertel der Befragten hat damit aufgehört, im Frühjahr waren das noch 14 Prozent.

Die häufigste Form von Solidarität ist das Einkaufen in lokalen Geschäften, um diese zu unterstützen. Außerdem werden bestehende Mitgliedschaften – etwa in Vereinen – weiterbezahlt, auch wenn man diese derzeit nicht nutzen kann, zudem wird beispielsweise oft auf die Rückerstattung von Tickets für Events verzichtet.

Soziale Isolation

"Noch relevanter ist aber der Rückgang von Nachbarschaftshilfe", sagt Rothmüller. Im April machten das noch 26 Prozent jener Menschen, die sich engagieren, jetzt nur noch 16 Prozent. "Im direkten Kontakt sind diese Pandemiefolgen also deutlich zu spüren", schlussfolgert Rothmüller. "Der soziale Rückzug hat sich verstärkt."

Rothmüller beobachtet: "Die Erschöpfung trifft vor allem Frauen." So fühlen sich viele im Arbeitskontext stark gefordert, was beispielsweise die psychosoziale Unterstützung von Kollegen und Kunden angeht. Ein Drittel der Frauen leidet unter mehr beruflichem Stress, vielen fehlt laut Umfrage die Zeit zur Erholung.

Im Arbeitskontext, aber auch privat würden Frauen viel öfter psychosoziale Unterstützung leisten als Männer, die eher bei der Alltagsbewältigung unterstützen, so Rothmüller. Während Männer also beispielsweise einkaufen oder Informationen recherchieren, führen Frauen Gespräche, kaufen Geschenke oder schreiben Briefe, um Mitmenschen Optimismus zu geben. In Appellen an die Solidarität der Bevölkerung müsste man Männer stärker adressieren, fordert Rothmüller.

Die Krise bewältigen

Insgesamt gibt es ein breites Spektrum an Bewältigungsstrategien in der Bevölkerung, sagt die Soziologin. Dazu zählen beispielsweise Lernhilfe und private Kinderbetreuung, aber auch ehrenamtliche Tätigkeiten. Viele Menschen würden auch bewusst versuchen, bei Konflikten zu vermitteln oder die Arbeit von belasteten Kolleginnen und Kollegen zu übernehmen.

Auch Beziehungen, Sport, Spazierengehen, Kochen und kreatives Arbeiten wurden als erfolgreiche Strategien im Umgang mit der Krise genannt. Es hilft Leuten, sich besser zu fühlen. Rothmüller hält es für wichtig, diese individuellen Bewältigungsstrategien wertzuschätzen. "Auch der oft verächtlich als 'neue Häuslichkeit' bezeichnete Rückzug ins Private ist eine produktive Form der Krisenbewältigung, noch dazu wenn schon der nächste Lockdown wartet."

Im dritten Lockdown wird die Expertin keine Onlinebefragung durchführen. Aber im neuen Jahr soll eine Vertiefungsstudie zu Bewältigungsstratgien in der Krise beginnen. Eine ähnliche Befragung wird zum Jahreswechsel von der Universität Meiji in Tokio durchgeführt. Die Ergebnisse sollen dann ausgetauscht werden – wenn auch nur virtuell. (Franziska Zoidl, 29.12.2020)