AMS-Chef Johannes Kopf forcierte das Algorithmus-Projekt.

Foto: APA

Wien – Der umstrittene Algorithmus, mit dem die Führung des Arbeitsmarktservice (AMS) die Beratung von Arbeitssuchenden neu gestalten will, feiert ein Comeback. Im August hatte die Datenschutzbehörde den geplanten Algorithmus abgedreht. In gleich mehreren Punkten widerspreche das Programm der Datenschutzgrundverordnung, so die Behörde in ihrem Bescheid damals. Das System wurde in der Folge beim AMS stillgelegt und verschwand von den Bildschirmen der Jobberater.

Doch wie am Montag bekannt geworden ist, hob das Bundesverwaltungsgericht den erwähnten Bescheid auf, nachdem dieser vom AMS beeinsprucht worden war.

Beim AMS-Algorithmus werden verschiedene personenbezogene Informationen ausgewertet, anhand derer die Wiedereinstiegschancen von Arbeitssuchenden beurteilt werden. Dazu gehören unter anderem Alter, Geschlecht, Wohnort, bisherige Karriere, Ausbildung, Staatsbürgerschaft, bisherige Karriere. Aus diesen Daten errechnet das Programm, ob die Chancen für eine Rückkehr auf den Jobmarkt hoch, mittel oder niedrig sind.

Kritiker sehen hier gleich mehrere Probleme, sprechen unter anderem von Diskriminierung. So etwa beurteilt das System die Chancen von Frauen etwas schlechter als jene von Männern, auch ausländische Staatsbürger bekommen einen Abzug bei den Chancen. An die Beurteilung der Chancen sollte aber auch die AMS-Förderung anknüpfen. Das verstärke vorhandene Benachteiligungen weiter, so der Vorwurf. Das Gegenargument: Der Algorithmus zeige nur die tatsächliche Entwicklung auf.

Was darf das AMS?

Die Datenschutzbehörde bezeichnete den Vorgang als "eingriffsintensives Profiling". Darunter zu verstehen ist die automatisierte Verarbeitung von Daten, um auf Basis dessen bestimmte Bewertung vorzunehmen. Für einen solchen Vorgang sei eine explizite gesetzliche Ermächtigung notwendig. Die allgemeine Ermächtigung, die derzeit existiert und dem AMS erlaubt, personenbezogene Daten zu verarbeiten, reiche da nicht aus.

Das Gericht widerspricht diesem Punkt nun klar. Das Gesetz erlaube es sehr wohl, dass das AMS personenbezogene Daten von Arbeitssuchenden verwenden kann, etwa um zu beurteilen, welchen Förderbedarf ein bestimmter Jobsuchender hat. Dass bei dieser Bewertung auch Merkmale wie Geschlecht, Staatsbürgerschaft, Ausbildung und Wohnort eine Rolle spielen, sei unbestritten.

Via Datenschutzgrundverordnung untersagt sei nur, dass wichtige Entscheidungen einer Behörde oder eines öffentlichen Dienstleisters auf einer Entscheidung beruhen, die ausschließlich von einem Computerprogramm getroffen wird.

Doch genau das sei nicht der Fall, so das Gericht. Denn das AMS habe in seinen internen Leitlinien klar festgelegt, dass der Algorithmus nur eine zusätzliche Information für Berater bietet soll. Sprich: Die AMS-Mitarbeiter können demnach weiter selbst entscheiden, was sie mit der Information tun, welche Fördermaßnahmen sie für Jobsuchende zum Beispiel vorschlagen. Die Datenschutzbehörde hatte selbst behauptet, diese Leitlinien würden nicht ausreichen.

Das Argument der Datenschutzbehörde lautete: AMS-Beratern stehe nur kurze Zeit bei Beratungsgesprächen zu. Daher sei zu befürchten, dass sie die Prognosen des Algorithmus oft einfach übernehmen. Das Gericht widerspricht auch hier: Das könne nicht einfach behauptet, sondern müsste nachgewiesen werden.

Weg aus dem Algorithmus heraus wird schwieriger

Die große Frage ist nun, wie es weitergeht. Im Prinzip steht es dem AMS jetzt frei, seinen Algorithmus wie geplant ab 2021 einzusetzen. AMS-Chef Johannes Kopf will sich allerdings noch nicht festlegen. Gegen den Spruch des Bundesverwaltungsgerichtes kann eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erfolgen. Dies will Kopf, der das Projekt vorangetrieben hat, abwarten.

Sollte die Entscheidung rechtskräftig werden, stehen die Chancen gut, dass das Projekt fortgesetzt wird. "Der Weg aus dem Algorithmus heraus wird schwieriger", sagt die Gewerkschafterin Anna Daimler von der Vida. Sie sitzt im Verwaltungsrat, dem Lenkungsgremium des AMS, in dem Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Regierungsvertreter sitzen. "Denn nun kann man sich auch darauf berufen, dass der Algorithmus gerichtlich abgesegnet ist." Sie hofft nun, dass der Algorithmus in dritter Instanz erneut gekippt wird.

Im Prinzip hatte der Verwaltungsrat schon grünes Licht für das System gegeben. Mitgetragen wurde die Entscheidung von allen Gruppen, also auch Arbeitnehmern, die allerdings nur unter gewissen Auflagen zugestimmt haben.

Im Testbetrieb war der Algorithmus bereits seit 2018, AMS-Berater haben die Ergebnisse bei Kundenberatungen gesehen. Geplant wäre gewesen, die Einteilung ab 2020 auch verbindlich zu machen. Wegen Corona wurde die Einführung auf 2021 verschoben.

Die große Frage ist nun, wie aussagekräftig das System aktuell noch ist. Der Algorithmus bewertet ja die Wiedereinstiegschancen von AMS-Kunden laufend und versucht aus diesen Daten eine Prognose für die Zukunft zu machen. Das Jahr 2020 mit der Pandemie war allerdings außergewöhnlich, und der Arbeitsmarkt wurde ordentlich durcheinandergewirbelt. Die prognostische Kraft des Systems müsste sich erst unter normalen Bedingungen wieder zeigen.

Die Einteilung auf Basis des Algorithmus hätte dazu geführt, dass Menschen mit schlechter Perspektive am Jobmarkt künftig für zwölf Monate nicht vom AMS betreut, sondern an neue Betreuungseinrichtungen verwiesen worden wären. Menschen mit sehr hohen Chancen, sich wieder rasch zu integrieren, hätten keine Förderungen bekommen. Das AMS hätte, so der Plan, seine Ressourcen vor allem auf die große Gruppe mit mittleren Chancen konzentriert. (András Szigetvari, 21.12.2020)