Ein Agent des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB soll nach Darstellung des Kremlkritikers Alexej Nawalny den Giftanschlag auf ihn zugegeben haben.

Foto: EPA/ALEXEI NAVALNY

Moskau/Berlin –"Ich rufe Sie an, weil ich wissen möchte, warum Sie mich umbringen wollen", mit diesem Satz hat offenbar der russische Oppositionelle Alexej Nawalny bei einem seiner mutmaßlichen Attentäter versucht an Informationen zu gelangen. Das berichtet unter anderem das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel, das gemeinsam mit dem US-Sender CNN und den Rechercheplattformen Bellingcat und The Insider zu dem Fall recherchiert.

Anfang vergangener Woche veröffentlichte das Recherche-Konsortium Informationen, wonach Nawalny im August wahrscheinlich von einem Team aus mindestens acht Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB vergiftet worden war – mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok.

Anruf und Bluff

Diese Informationen teilten die Journalisten wenige Stunden vor der Veröffentlichung mit Nawalny selbst – gemeinsam mit den Namen der Agenten. Nawalny griff daraufhin zum Telefon und rief seine mutmaßlichen Attentäter an. Die direkte Frage brachte ihm nur Schweigen am anderen Ende der Leitung ein. Als er sich aber bei einem anderen Agenten als Berater von Nikolaj Patruschew ausgab, dem Chef des russischen Sicherheitsrates, fiel dieser auf den Bluff rein.

In einem 49-minütigen Telefonat packte der 41-jährige Chemieexperte des Geheimdienstes gegenüber Nawalny aus – in dem Glauben, an einem internen Bericht mitzuwirken. Den Mitschnitt veröffentlichte Nawalny am Montag auf Youtube. Er bestätigte zwei Namen, die im Zuge der Recherchen des Konsortiums bereits vorgekommen waren, und gab an, wo sich das Nervengift Nowitschok befunden hatte: in der Unterhose des Oppositionspolitikers.

Nicht mit Notlandung gerechnet

Auf die Frage, wie die Operation schieflaufen konnte, antwortete der Mann, dass man mit einem längeren Flug gerechnet habe. Man sei überrascht gewesen, dass der Pilot einfach eine Notlandung in Omsk durchführten und Nawalny so schnell das Gegengift Atropin verabreicht werden konnte.

Offenbar läuft der FSB-Einsatz bereits seit Jahren, und die Entscheidung für die Vergiftung von Nawalny soll auf höchster Ebene des russischen Staates gefällt worden sein. Ins Visier geraten ist der Politiker Ende 2016, als er seine Kandidatur bei den russischen Präsidentschaftswahlen 2018 verkündete.

Putin dementiert

Der FSB reagierte am Montagabend auf die Veröffentlichung: Es handle sich um eine Fälschung, teilte der Geheimdienst nach Angaben der Staatsagentur Ria Novosti mit. Die "sogenannten Untersuchungen" Nawalnys seien eine "geplante Provokation zur Diskreditierung des russischen FSB". Es würden Ermittlungen eingeleitet.

Nawalny hatte Präsident Wladimir Putin immer wieder als Drahtzieher des Auftragsmordes bezeichnet. An der Wohnadresse des bloßgestellten Tatverdächtigen in Moskau gab es ein großes Polizeiaufgebot, wie Nawalnys Mitarbeiterin Ljubow Sobol bei Twitter zeigte. Später am Abend wurde Sobol festgenommen, auch das filmte sie. Auf dem Video ist außerdem zu sehen, dass mehrere Journalisten vor Ort waren.

Nawalny soll mit einem in der Sowjetunion entwickelten chemischen Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden sein. Russland hatte wiederholt Vorwürfe zurückgewiesen, nichts zur Aufklärung des Falls beizutragen, und das Vorlegen von Beweisen gefordert. Auf seiner großen Jahrespressekonferenz hatte Putin eine Beobachtung Nawalnys durch den Geheimdienst zwar eingeräumt, für eine Vergiftung seines schärfsten Gegners gebe es aber keinen Grund, hatte der Präsident betont. (bbl, APA, 21.12.2020)