Die Corona-Pandemie sorgt bei Reisenden – hier am neuen Flughafen Berlin Brandenburg – weltweit für Verunsicherung. Mit den Landeverboten für Flüge aus Großbritannien gibt es nun neue Hürden.

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Als wären die Post-Brexit-Verhandlungen allein nicht schon kompliziert genug: Mitten in die heiße Endphase der Gespräche über die zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und ihrem Ex-Mitglied Großbritannien kommt durch die Corona-Pandemie zusätzlicher Druck ins diplomatische Gefüge. Genauer gesagt durch die neue Virusmutation, die sich vor allem in Südengland und in der Hauptstadt London ausbreitet und auch auf dem europäischen Kontinent Anlass zur Sorge gibt.

Mehrere europäische Staaten haben aus Angst vor einer Einschleppung der neuen Corona-Variante vorläufige Landeverbote für Flüge aus Großbritannien ausgesprochen, darunter Österreich, Deutschland, Frankreich, Dänemark, Schweden, Finnland und die Niederlande. Außerhalb der EU schlossen sich unter anderem Russland und Indien den Landeverboten an.

Auch andere Länder betroffen

In Großbritannien selbst wurde der Hafen im südenglischen Dover für ausreisende Passagiere geschlossen. Zur Begründung verwies die Hafenverwaltung auf die Einreisebeschränkungen in Frankreich.

In Österreich sollte die entsprechende Verordnung am Dienstag um 0.00 Uhr in Kraft treten und vorerst bis inklusive 1. Jänner gelten. Ganz abriegeln kann sich der europäische Kontinent aber nicht mehr: Die Mutation ist auch bereits in anderen Ländern aufgetaucht – in Italien etwa, in Dänemark und auch in den Niederlanden.

Österreichs Regierung plant dennoch vorerst keine weiteren Grenzschließungen. Das Landeverbot für Flüge aus Großbritannien sei "als Vorsichtsmaßnahme" verhängt worden, bis die Mutation wissenschaftlich detailliert untersucht worden sei, erklärte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Montag in Wien.

Kontrollen bereits jetzt

Zudem gebe es bereits jetzt "extrem strenge Maßnahmen", denen Einreisende sich unterwerfen müssten, sagte Schallenberg – etwa die verpflichtende Quarantäne, aus der man sich frühestens nach fünf Tagen freitesten könne. Auch Einreisende aus Großbritannien, die noch am Montag vor Inkrafttreten des Landeverbots ankamen, sollten genau kontrolliert werden.

Die neuen Maßnahmen haben nicht nur Auswirkungen auf den Personenreiseverkehr, sondern auch auf Frachtdienstleistungen – und auf die Zustellung von Briefen und Paketen. Die österreichische Post etwa nimmt keine Sendungen nach Großbritannien mehr an. Es gebe derzeit keine Möglichkeit, sie zuzustellen, weil sowohl der Flugverkehr als auch die Frachtdienste per Lkw eingestellt seien, sagte ein Sprecher der Post am Montag. Frankreich und andere EU-Staaten haben auch die Seegrenzen zum Vereinigten Königreich geschlossen. Fähren haben den Betrieb eingestellt, ebenso der Eurotunnel.

Am Montag sollten die Botschafterinnen und Botschafter der 27 EU-Mitgliedstaaten in Brüssel zu einem Krisentreffen zusammenkommen. Nach Angaben eines EU-Vertreters wollten sie dabei unter anderem über das weitere Vorgehen bei den Flugverboten und über eine mögliche Testpflicht für Reisende aus Großbritannien beraten.

Krisenstimmung in London

In London wiederum hat Premierminister Boris Johnson am Montag eine Krisensitzung seines Kabinetts einberufen. Dabei soll es um die "Situation bezüglich des internationalen Verkehrs" und um den "stetigen Güterfluss" in das und aus dem Vereinigten Königreich gehen, hieß es aus Regierungskreisen.

In London und Südostengland trat wegen der neuen Virusvariante bereits am Sonntag ein strenger Lockdown mit weitgehenden Ausgangsbeschränkungen in Kraft. Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock hatte – ebenfalls am Sonntag – in einem Interview vor der neuen Virusvariante gewarnt und erklärt, diese sei mittlerweile "außer Kontrolle".

Brexit-Frist erneut verstrichen

In Brüssel gingen unterdessen die Brexit-Gespräche weiter, Fortschritte bei den verbliebenen Streitpunkten – Fischfang, faire Konkurrenzbedingungen für Unternehmen, das Verfahren zur Schlichtung zukünftiger Konflikte der Vertragsparteien – waren bis zum späten Nachmittag nicht in Sicht.

Am Sonntag war eine Frist des Europaparlaments abgelaufen. Dieses sieht sich nun zur Ratifizierung des erhofften Freihandelsvertrages in diesem Jahr nicht mehr in der Lage, fühlt sich aber verpflichtet, "jeden Schritt zu tun, um Störungen für unsere Bürger und Unternehmen zu minimieren", sagte der Chef der Brexit-Gruppe im Parlament, David McAllister.

Das Abkommen würde am 1. Jänner vorläufig in Kraft treten – wenn denn eine Einigung überhaupt gelingt. Sonst scheidet das Ex-Mitglied Großbritannien zu Silvester ohne Anschlussvereinbarung (No-Deal-Brexit) aus der Übergangsfrist aus, in der seit dem offiziellen Austritt Ende Jänner sämtliche Pflichten und Regeln der Union auch auf der Insel weitergelten. Das kurzzeitige Corona-Chaos am Ärmelkanal dürfte sich dann mehrere Tage, Wochen oder Monate lang wiederholen. (Gerald Schubert, Sebastian Borger aus London, 21.12.2020)