Babys, die zu früh zur Welt zu kommen, haben einen besonders schweren Start ins Leben.
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EPO, kurz für Erythropoietin, ist vor allem als Dopingmittel bekannt. Tatsächlich handelt es sich um ein natürliches Hormon, das die Bildung roter Blutkörperchen vorantreibt. Zwischenzeitlich hatten sich Mediziner die Hoffnung gemacht, dass sich EPO auch einsetzen ließe, um die Gehirnentwicklung von Frühgeborenen zu unterstützen.

Denn je früher ein Kind das Licht der Welt erblickt, desto mehr steigt das Risiko für schwere Behinderungen: Dass das Gehirn bei der Geburt noch nicht ausreichend entwickelt ist, kann im späteren Leben zu kognitiven und motorischen Störungen sowie zu Verhaltensauffälligkeiten führen. Einige präklinische und retrospektive Studien hatten darauf hingedeutet, dass EPO das Gehirn von Frühgeborenen schützen könnte. Doch diese Hoffnung ist nun geplatzt, wie Schweizer Forscher im Fachmagazin "JAMA" konstatieren mussten.

Überprüfung einer Vermutung

Ein Forschungsteam um den Neonatologen Giancarlo Natalucci von der Universität Zürich untersuchte nun die Wirkung des Hormons bei 448 frühgeborenen Kindern aus fünf Schweizer Spitälern. Die Mediziner teilten die Kinder in zwei Gruppen ein: Die Placebo-Gruppe erhielt eine Kochsalzlösung, die Interventionsgruppe humanes Erythropoetin. Anschließend testeten sie die motorischen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder nach zwei und fünf Jahren.

Und leider fanden die Forscher keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. "Es zeigt sich immer mehr, dass diese seit den 2000er-Jahren mit Hoffnung behaftete Therapie keine klinischen Effekte zeigt", sagt Natalucci. Er analysiert derzeit die Daten, die zeigen sollen, ob sich EPO auf die Verhaltensmuster der Frühchen auswirkt. Aber die bereits publizierten Ergebnisse lassen ihn an einer möglichen Wirkung zweifeln.

Ein bisschen Hoffnung gibt es aber noch

Müssen Ärzte ihre Hoffnungen nun endgültig begraben? Nicht unbedingt, sagte Natalucci. Es könne sein, dass die Studie die "falschen" Kinder untersucht habe. So sei es durchaus möglich, dass EPO bei extrem Frühgeborenen – also Kindern, die vor der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen – helfen könnte. "Unser Ziel ist, noch unreifere Kinder zu untersuchen, die bereits kurz nach der Geburt Gehirnschäden aufweisen", sagte der Mediziner.

Die vorliegende Studie analysierte auch nicht den Zusammenhang zwischen neurologischen Schäden bei Kindern und dem sozioökonomischen Status ihrer Eltern. Dieser dürfte jedoch gerade für Frühchen eine wichtige Rolle spielen: So würden Kinder aus sozial benachteiligten Familien eher an Entwicklungsstörungen leiden, sagte Natalucci. Bei Risikogruppen, also etwa bei Frühgeborenen, spitze sich dies zu.

Deshalb möchte er mit seinem Team nun auch die Familienumstände der Frühchen enger begleiten. Damit erhofft er sich, Eltern schlussendlich gezielt bei ihrer familiären Rolle zu unterstützen – und so die langfristigen Folgen für Frühgeborene auf ein Minimum zu reduzieren. (APA, red, 23. 11. 2020)