Kämpft als "Louis van Beethoven" gegen die Folgen von Ertaubung und menschlichem Unverstand: Tobias Moretti.

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Das Privileg, an der Seite von Schauspieltitanen wie Gert Voss am Wiener Burgtheater Goethes Faust zu geben, musste sich Tobias Moretti (61) in jungen Jahren erst verdienen. Sein erster Fernsehpartner, ein gewisser Rex, besaß eine ungemein feuchte Schnauze. Als TV-Kommissar Richie Moser brachte es der Tiroler aus Gries am Brenner immerhin dazu, dass ihm sein ermittelnder Kollege bereitwillig aus der Hand fraß: Wurstsemmeln.

Morettis trockener, ernster Spielstil war damals in Umrissen zu erkennen. Nach Versuchen als Kompositionsschüler war der nachmalige Landwirt in den 1980ern an die renommierte Otto-Falckenberg-Schauspielschule nach München gewechselt. Vom Bayerischen Staatsschauspiel führte die Reise Moretti an die benachbarten Kammerspiele. Dort spielte er bereits in Dieter Dorns berühmter "Troilus-und-Cressida"-Inszenierung (1986) mit.

Von Anfang an gab der in die Wolle gefärbte Biobauer bodenständige Typen, Sturschädel, die sich um keinen Preis der Welt verbiegen lassen. Moretti wirkte in der "Piefkesaga" mit. Er scheute keineswegs den rheumalindweichen Kommerz ("Mein Opa ist der Beste"), dabei irrlichterte er sogar als Hitler durch das Breloer-Doku-Drama "Speer und er" (2005).

Glutäugiger Napoleon

Genauer besehen, stehen Moretti-Figuren – nicht nur wegen ihrer hochalpinen Herkunft – stets vor gewaltigen Abgründen. Seinen eigentlichen Durchbruch als kakanischer Haupt- und Staatschauspieler erzielte Moretti 2006 auf der Halleiner Perner-Insel. Er gab dort, im Rahmen der Salzburger Festspiele, Grillparzers König Ottokar: als glutäugigen Napoleon, der in einer Welt schmieriger Politdarsteller an der eigenen Aufrichtigkeit zugrunde geht.

So hat sich Moretti, der gelegentlich auch Opern inszeniert, bis heute ein hohes Maß an Unabhängigkeit bewahrt. Er gleicht einem Freischärler und Querkopf, der unbeirrt durch gebirgige Schneelandschaften stapft und dennoch als querulantischer, löwenmähniger "Louis van Beethoven" (heute im ORF) das Elend der Welt (Taubheit, menschlichen Unverstand) mit einem Hieb seiner Pranke leichthin abtut.

Der ihm nunmehr zuerkannte "Europäische Kulturpreis" 2021 (75.000 Euro) wird Moretti und dessen Frau Julia (zwei Töchter, ein Sohn) gut gelegen kommen. Der Gegner touristischer Totalvermarktung betreibt einen 400 Jahre alten Bauernhof in Ranggen. Dort züchtet er Vieh. Morettis Weg war in jedem Fall folgerichtig: vom Rex zum Rind. (Ronald Pohl, 23.12.2020)