Das Böse kann so gut sein: The Kills wünschen frohe Weihnachten.

Foto: Domino Records

Hin und wieder muss in Erinnerung gerufen werden, worum es bei Rock ’n’ Roll eigentlich geht: um Sex. Lassen Sie sich nichts anderes weismachen, es ist Anbahnungsmusik. Brunft nach Noten, zuckende Leiber, Geilheit, Samenstau. Mit dem Sicherheitsgurt- und Airbag-Rock der Bon Jovis oder Nickelbacks hat das nichts zu tun. Rock ’n’ Roll ist schmutzig im katholischen Sinn, Erlösung nicht sein Thema, nur die schnelle Erleichterung im Hinterhof zählt: "Oh, it feels so good!" (Hasil Adkins).

Diese ursprüngliche Musik ist wie Unkraut und führt neben kommenden und wieder gehenden Moden ein Eigenleben, das hin und wieder die Wege des Zeitgeists kreuzt. Dann ist Rock ’n’ Roll plötzlich wieder der heiße ... – Sie wissen schon.

Nach dürren Jahren Ende der 1990er bäumte sich dieser Zombie um die Jahrtausendwende und dem Aufstieg von Bands wie den White Stripes oder den Black Keys auf wie ein Alien, dem man auf den Schwanz getreten war. Darunter befand sich eine Gruppe, die nun eine hervorragende Sammlung (not)geiler Raritäten aus fast 20 Jahren Bandgeschichte aufgelegt hat: The Kills mit Little Bastards – was für ein schöner Titel.

Yordana Jakobsen

Die Kills sind ein Duo. "Reduced to the max", wie es in der Werbung einmal geheißen hat – reduziert auf das Maximum. Die US-Amerikanerin Alison Mosshart singt, der Brite Jamie Hince spielt Gitarre, als elektronischer Handlanger steckt zusätzlich eine Drum-Machine an der Dose, knattert und spuckt.

Sympathische Serienmörder von nebenan

Derartig aufgestellt veröffentlichte das Gespann ab 2003 fünf Studioalben. Es waren Arbeiten, deren lebens- und nachbarschaftsbejahende Attitüde sich in Titeln wie Fuck the People manifestierte. Hinzu kam ein Image, das an den sympathischen Serienmörder von nebenan erinnerte.

The Kills - Topic

The Kills waren so etwas wie im Blues-Schlamm stecken gebliebene Big Black. Das war eine ebenfalls von einer Drum-Machine angetriebene Band der US-Underground-Größe Steve Albini, der damit in den 1980ern den amerikanischen Albtraum ungefiltert reflektierte – bevor er umsattelte und ein gefragter Aufnahmetechniker wurde.

Prädikat "Jugendverbot"

Während Albini heißeren Ekel aus seinem dürren Körper spie, besitzt Mossharts Gesang etwas Laszives, dem das Pumpen der Maschine das wertvolle Prädikat "Jugendverbot" verleiht. Das ergibt eine Art musizierende Bonnie-and-Clyde-Gemeinschaft – also eher versteckte Schöngeister. Gleichzeitig verbuddeln The Kills gepflegte Hooklines im Lärm, den Hince mit gleißender Gitarre und dem elektronischen Surren der Drum-Machine anrichtet.

Pauline Govaert

Dazu zitieren die beiden fleißig aus der Musikgeschichte: Ein Lied wie London Hates You beginnt mit demselben Rhythmus wie Be My Baby von den Ronettes, will aber kein Liebeswerben sein, sondern berichtet vom Widerwillen, mit dem einen die Welt mancherorts empfängt. Dazwischen gibt es Blues-Nummern wie Howlin’ Wolfs Fourty Four oder ungesundes Begehren mit I Put A Spell On You.

Verbotene Medizin im Heim

Da reicht die Version der Kills zwar weder dessen Schöpfer Screamin’ Jay Hawkins noch der Interpretation der unberührbaren Nina Simone das Wasser, als Verortung dieser Kunst trifft es dennoch ins Schwarze. Unheimlich will diese sein, verführen zu Dingen, die einen früher ins Heim und dort in den Genuss persönlichkeitsbeeinträchtigender Medikamente gebracht haben. Vor allem die kranken Sounds überzeugen, die Hince da seiner Batterie entlockt. Zwanzig Bastarde bietet das Album, ein jeder verdient es, geliebt zu werden. Denn wenn sie sich auch noch so zieren, gilt: Das Böse kann so gut sein. Frohe Weihnachten. (Karl Fluch, 23.12.2020)