Wie spielt man Taubheit, Herr Moretti? "Wie ein Blinder einen trüben Blick bekommt und seine Außenwelt kaum mehr wahrnimmt, ist es ein Gefängnis, eine hermetische Innenwelt, und das noch dazu bei einem Menschen dieses Genies, der seine Musik selbst nicht mehr hören kann."

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Karl (Peter Lewys Preston, li.) hält bei Wind und Wetter zu seinem Onkel Ludwig van Beethoven (Tobias Moretti).

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Dass er nur einen Tag später mit dem Europäischen Kulturpreis ausgezeichnet werden würde, wusste Tobias Moretti zum Zeitpunkt des Gesprächs mit dem STANDARD entweder nicht, oder er ließ es sich nicht anmerken. Im Nachhinein lässt sich das nicht so leicht feststellen, denn Moretti – prinzipiell schwer erreichbar – ist schon wieder ganz woanders. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sitzt er gerade auf seinem Traktor, um dringende Arbeiten an seinem Bauernhof in Tirol zu erledigen.

Heute, Mittwoch, ist Moretti in "Louis van Beethoven" um 20.15 Uhr in ORF 2 und ARD als Musikgenie zu sehen. Der Film (Buch und Regie: Niki Stein) erzählt biografische Stationen des Komponisten mithilfe dreier Darsteller: Colin Pütz als Kindgenie, Anselm Bresgott als 20-jähriger Komponist und Moretti in den späten, von Taubheit und Weltenzorn gekennzeichneten Jahren. Beethovens Geburtstag jährte sich in diesem Dezember zum 250. Mal. Vor der TV-Ausstrahlung sorgt der Film bereits für internationale Aufmerksamkeit.

STANDARD: Der Film ruft in New York, in Italien und auch in Südamerika großes Interesse hervor – was ist da los?

Moretti: Abgesehen vom Weltvertrieb erklär ich’s mir durch das Zusammenwirken von Corona und Trump. In diesem Jahr hat niemand an einen Beethoven-Film auch nur gedacht, und nun hat eine Kulturbesinnung, in Kombination mit Weihnachten, wahrscheinlich für dieses Interesse gesorgt. Wie ich gehört habe, wird der Film in Amerika als Kinofilm gezeigt. Bei uns in Europa läuft er über die Fernsehanstalten.

STANDARD: Es heißt, Bach ist gut für die Gesundheit, Mozart ist gut für das Gemüt – in welche Stimmungslage bringt Sie Beethoven?

Moretti: Mit solchen Bildungsbürgerkategorien kann ich wenig anfangen, auch nicht mit Stimmungslagen, wenn’s um so jemanden wie Beethoven geht. Diese Musik packt einen so, dass sich die eigene Stimmungslage automatisch unterordnet, so kommt es mir vor. Aber ich kann auch keinen Bach oder Mozart so nebenbei in der Kuchl hören, da werd ich narrisch.

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STANDARD: Wie wichtig ist Musik für Sie während eines Drehs? Woraus bestand Ihre Playlist während des Drehs zu Beethoven?

Moretti: Sie meinen zur Berieselung? Während des Drehs habe ich gar keine Musik gehört. Vor den Dreharbeiten habe ich mir immer wieder die "Große Fuge" angehört, und während des Drehs habe ich dann eher, wenn ich irgendein Klavier erwischt hab, ein paar Sequenzen dessen gespielt, was ich für die Rolle gebraucht habe.

STANDARD: Zum Film: Da geht es in Ihrem Part um die letzten Jahre Beethovens – war das Ihr Wunschabschnitt?

Moretti: Die Auswahl der Lebensabschnitte haben mich am Anfang irritiert, weil sie schnell in ein Klischee rutschen könnten: der Wunderknabe, der junge Wilde und der Unverstandene. Diese Lebensabschnitte verzahnen sich ja doch ineinander.

STANDARD: Wie kamen Sie zur Rolle?

Moretti: Es war ein Angebot da, und ich habe es lange Zeit stehen lassen, weil mich an Beethoven eben hauptsächlich die Zeit rund um das Heiligenstädter Testament interessiert hat und der frühe Übergang vom jungen Erwachsenen zum Ertaubten. Niki Stein aber hat nicht lockergelassen, immer wieder angerufen, und es war ganz einfach diese Herausforderung und Vorstellung, den Menschen in diesem ständigen Ausnahmezustand, der Ertaubung, die ja schon mit seinem 27. Lebensjahr begonnen hat, zu spielen. Der späte Abschnitt um die "Große Fuge" herum hat mich dann doch sehr fasziniert.

STANDARD: Wie spielt man Taubheit? Die Herausforderung muss sein, es zu schaffen, im Zuschauer das Gefühl zu erzeugen: Der hört jetzt nichts, wie muss es ihm gehen?

Moretti: Es ist ein innerer Zustand, eine Abkapselung. Wie ein Blinder einen trüben Blick bekommt und seine Außenwelt kaum mehr wahrnimmt, ist es ein Gefängnis, eine hermetische Innenwelt, und das noch dazu bei einem Menschen dieses Genies, der seine Musik selbst nicht mehr hören kann. Das muss eine ständige Zerreißprobe an der Grenze zur Schizophrenie sein. Klar hat er die Musik im Kopf gehabt, aber wenn man diese Musik hört, ist das in einem menschlichen Spektrum nicht mehr nachvollziehbar. Ich hab es am Anfang mit äußeren Mitteln, mit Ohrstöpseln probiert, aber es war schnell klar, dass man das nicht simulieren kann, sondern einen inneren Schleier darüber legen muss.

Karl (Peter Lewys Preston, li.) hält bei jedem Wind und Wetter zu seinem Onkel Ludwig van Beethoven (Tobias Moretti).
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STANDARD: Beethoven war das, was man heute als "schwierigen Künstler" bezeichnen würde. Früher galt man als solcher als geheimnisumwittert und interessant. Wie sehr darf man sich als Künstler das "Schwierige" noch erlauben?

Moretti: Beethoven war kein schwieriger Künstler, sondern ein schwieriger Mensch – die Essenz des Begriffs, er war der Künstler an sich. Und zwar nicht im äußeren Gehabe, sondern in dem Anspruch an sich selbst und in seiner Kompromisslosigkeit. Das, was man als geheimnisumwitternd und interessant bezeichnet, ist eher die Wahrnehmung seiner Zuhörer, des gerade aufkeimenden Bildungsbürgertums, und eine posthume Romantisierung, so glaube ich. Und dazu gehört auch, dass der Künstler dann der Schwierige sein muss. In der Tat stelle ich mir seinen Charakterzug, sein Leben, seinen Zustand auch in der Kommunikation als sehr schwierig vor, und das ist diesen beiden Umständen geschuldet: der Taubheit und seinem Wesen.

STANDARD: Gibt es sie noch, die Starallüren?

Moretti: Starallüren gibt es noch immer, aber diese Allüren im heutigen Sinne haben nichts mit Beethoven zu tun.

STANDARD: Wie sehen Sie sich in dem Zusammenhang? Völlig frei? Oder was sollte man tunlichst vermeiden, wenn man Tobias Moretti nicht verärgern will?

Moretti: Ich sehe mich in keinem Zusammenhang mit Beethoven.

STANDARD: Hat Corona Einfluss auf die Auswahl Ihrer Rollen in Zukunft? Denkt man so was mit beim Lesen eines Drehbuchs?

Moretti: Nein. Beim Lesen eines Drehbuchs geht es um einen dramatischen Zusammenhang, um die Vorstellung einer Idee, die Verwirklichung einer Figur im Zusammenhang mit der Geschichte. Der Einfluss von Corona beschäftigt natürlich den Regisseur und die Produktion in Bezug auf die Durchführung. In diesen Zeiten sind natürlich Massenszenen undenkbar, und das würde sich beim Lesen herauskristallisieren.

STANDARD: Wie schätzen Sie die zukünftige Situation am Theater ein? Es wird vermutlich für die Häuser schwieriger werden, Zusagen zu bekommen – wenn man nicht weiß, ob die Aufführung dann stattfinden wird.

Moretti: Das ist wohl in der Tat so, und ich habe die schwere Befürchtung, dass, bei allem Verständnis für Maßnahmen, dramatische Kultur und Theater an sich in ihrem gesellschaftlichen Stellenwert nicht ausreichend gewürdigt werden. Die strengen Regeln der Salzburger Festspiele haben gezeigt, dass Kultur und Aufführungen möglich sind, wenn wir die Infektionszahlen wieder einigermaßen im Rahmen haben. Ich kann jedenfalls nicht akzeptieren, dass in der politisch-bürokratischen Wahrnehmung ein Theater gleichgesetzt wird mit einem Wettbüro oder einem Puff, als Freizeitvergnügen. So was darf nicht sein. Dazu hat die Kultur in unserem Lande zu viel für die Gesellschaft getan.

STANDARD: Welche Konsequenzen hat die Planungsunsicherheit auf Ihre Zusagen? Wieder mehr TV bzw. interessiert Sie Streaming?

Moretti: In diesem Jahr konnten wir zwei Filmproduktionen, mit der Kombination von Arbeits- und Wohnquarantäne, ohne Zwischenfall machen. Diesen Vorteil gibt es leider am Theater nicht, weil man die Theaterschauspieler nicht kasernieren kann, wie das in einem Filmdreh temporär möglich ist.

STANDARD: Zum Schluss noch ein Anspieltipp: Wo fange ich an, wenn ich Beethoven entdecken will?

Moretti: Man kann bei Beethoven schwer sagen, wo Anfang und Ende ist. Es hat letztendlich eine Sonate dasselbe Spektrum wie eine Sinfonie. Ich getrau mich da nicht, so was auseinanderzudividieren und in leicht, mittel und schwer einzuteilen. Das kann ich mir nicht vorstellen, weder für den Musiker noch für den Hörer. (Doris Priesching, 23.12.2020)

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