Neuwahl als Hintertürchen, um an der Macht zu bleiben? Benjamin Netanjahu.

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In Israel werden 2021 Neuwahlen stattfinden – der Urnengang am 23. März ist die vierte Wahl in dem Land seit April 2019. Premier Benjamin Netanjahu (Likud) und sein Koalitionspartner Benny Gantz (Blau-Weiß) konnten sich bis zur Parlamentsfrist am Mittwoch um 0 Uhr (Dienstag, 23 Uhr MEZ) nicht auf ein Budget einigen. Deshalb hat sich das Parlament in Jerusalem automatisch aufgelöst.

Keine Rotation

Gantz hatte die politische Situation zuvor mit dem Märchen von Aschenputtel verglichen: Die Knesset, das israelische Parlament, werde sich "um Mitternacht in einen Kürbis verwandeln". Der Vergleich hinkt, denn Israels Regierungskoalition war nie eine glanzvolle Kutsche.

Nach drei Wahlen, in denen keiner der Rivalen eine Regierungsmehrheit zustande bringen konnte, hatten sich Netanjahu und Gantz im Mai zu einer Einheitsregierung zusammengerauft. Kernvereinbarung war die Rotation des Chefpostens: Netanjahu musste zusichern, dass er das Amt des Premiers Ende 2021 an Gantz übergibt. Doch der hatte ein Schlupfloch übersehen: den Haushalt. Wird dieser nicht verabschiedet, wird die Regierung auf gelöst – und damit ist auch die Rotation hinfällig.

Mehr gegen- als miteinander

Kritiker unterstellen Netanjahu, dass er die Verabschiedung des Budgets monatelang hinauszögerte, um die Amtsübergabe zu verhindern. Tatsächlich regierten Netanjahu und Gantz eher gegen- als miteinander. Netanjahu handelte Israels Friedensverträge mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain aus, ohne seine Koalitionspartner zu informieren. Dasselbe im Frühsommer, als die Annexion von Teilen des Westjordanlands debattiert wurde. Gantz wiederum setzte eine militärische Untersuchungskommission ein, die einem Korruptionsverdacht gegen Netanjahu nachgehen soll.

Die Krise gipfelte nun im Gezerre um die Staatsfinanzen. Netanjahu wollte kein Doppelbudget 2020/2021 beschließen, sondern nur eines für 2020. Zudem stritten sich die Koalitionspartner um die Ernennung von Richtern und die Befugnisse des Justizministers von Blau-Weiß.

Gewinner und Verlierer

Eigentlich wollten Netanjahu und Gantz Neuwahlen verhindern, denn in Umfragen schneiden derzeit beide schlecht ab. Ihr Gesetz zur abermaligen Budgetverschiebung scheiterte in der Nacht auf Dienstag jedoch im Parlament. Mehrere Abgeordnete von Blau-Weiß "meuterten" und stimmten dagegen. Likud-Abgeordnete waren bereits vorher ausgeschert und hatten die neue rechte Partei Neue Hoffnung gegründet. Sie könnte Netanjahu bei den Wahlen am 23. März entscheidende Stimmen kosten.

Der eigentliche Verlierer des Regierungsbruchs aber ist Benny Gantz: Er wird nun nicht nur nicht Premierminister, sondern muss gar um seinen Wiedereinzug in die Knesset fürchten. (Christine Kensche aus Tel Aviv, 22.12.2020)