Clemens Martin Auer ist Sonderbeauftragter für Gesundheit im österreichischen Bundesministerium für Gesundheit.

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Die Covid-Impfungen von Pfizer/Biontech und Moderna sind in der Pole-Position: Sie machen den Anfang. Bis Ende des Jahres soll es vier weitere Impfstoffe geben. Mit einem siebten Hersteller, Novavax, wird verhandelt.

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Sämtliche Hoffnungen, die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen, liegen auf der Impfung. Am 27. Dezember geht es los.

STANDARD: Die Zulassung für den ersten Impfstoff ist da. Der reicht zunächst nur für wenige. Viele fragen sich deshalb: Werden wir genug bekommen?

Auer: Die Covid-19-Impfung ist ein auf EU-Ebene koordiniertes Projekt. Alle Staaten haben sich zu einem gemeinsamen Vorgehen verpflichtet. Status ist: Wir haben Verträge mit sechs Impfstoffherstellern bereits abgeschlossen, mit Novavax stehen wir in Verhandlung. Es wurde so geplant, dass genug Impfstoff auch dann zur Verfügung steht, wenn einer der Hersteller die Zulassung nicht bekommen sollte. Das heißt: Im Laufe des Jahres 2021 wird es Impfstoff für alle geben.

STANDARD: Was heißt das in Zahlen?

Auer: In der EU wird es – sollte alles klappen – zirka 1,5 Milliarden Impfstoffdosen geben. Da man pro Person zwei Dosen braucht, können also 792 Millionen Menschen damit geimpft werden. In der EU leben 446 Millionen. Das sollte reichen.

STANDARD: Was bedeutet das für Österreich?

Auer: Die Bevölkerung in Österreich macht zwei Prozent jener der EU aus. Wir werden im kommenden Jahr also zwei Prozent von 1,5 Milliarden Impfstoffdosen bekommen. Das sind 30 Millionen Dosen, damit können 15 Millionen Menschen immunisiert werden. Wir werden also – wenn alle Impfstoffe zur Zulassung kommen – am Ende des Jahre 2021 feststellen können, dass wir genug hatten.

STANDARD: Vielleicht noch einmal zur Klärung: Warum zu viel?

Auer: Die EU hat diese Impfstoffe im Frühjahr 2020 bestellt. Damals wusste man gar nicht, ob es überhaupt möglich sein würde, einen sicheren und wirksamen Impfstoff so schnell herzustellen, geschweige denn, welche Art von Impfungen sich durchsetzen würden. Deshalb hat man sich für dieses Risikoportfolio entschlossen. Wenn alle Impfstudien klappen, haben wir zu viel. Wenn einer der Hersteller die Anforderungen der Zulassung nicht erfüllt, haben wir trotzdem genug. Das war der Grundgedanke.

STANDARD: Warum hat der deutsche Gesundheitsminister nun Extra-Impfstoff bestellt?

Auer: Mit dem Impfstoff wird derzeit wohl auch Politik gemacht. In der aktuellen Pandemie entsteht schnell Hysterie. Das bringt Politiker in Zugzwang. Wie gesagt: Die EU geht hier geschlossen vor.

STANDARD: Fakt ist jedoch, dass jetzt, in der ersten Phase des Impfens, nicht genug Impfstoff des ersten zugelassenen Impfstoffes von Pfizer/Biontech da sein wird. Die EU hat, hört man, eher auf Astra Zeneca gesetzt hat, doch gerade dieser verspätet sich. Wurde falsch geplant?

Auer: Nein, der Impfstoff von Astra Zeneca wird aller Voraussicht nach im Februar zugelassen. Der Vorteil dieses Impfstoffes ist, dass man im Vergleich zu den mRNA-Impfstoffen in kürzerer Zeit mehr herstellen kann. Zudem ist die Logistik der Verteilung einfacher, weil er nicht so stark gekühlt werden muss. Das sind beides wichtige Kriterien in einer Pandemie. Zudem: Es ist gleich viel Impfstoff von Pfizer/Biontech und Astra Zeneca / Oxford University bestellt.

STANDARD: Wie sehen Sie die nächsten Monate?

Auer: Wir beginnen mit den Impfungen an den am meisten von einer Infektion gefährdeten Orten. Das sind zweifellos die Pflegeheime. In Österreich leben zirka 150.000 Menschen in diesen Einrichtungen, ihr Risiko, an einer Infektion zu sterben, ist am höchsten. Es ist also ein moralischer Imperativ, dort anzufangen.

STANDARD: Wie sieht es mit dem Pflegepersonal in Alters- und Pflegeheimen aus?

Auer: Genau, sie kommen auch in der Phase I dran. So wie auch alle Leute, die in Gesundheitseinrichtungen arbeiten. Der zweitgefährlichste Ort für eine Infektion sind die Spitäler. In Österreich arbeiten 300.000 Angestellte in diesem Bereich. Sie müssen geschützt werden.

STANDARD: Wann wird außerhalb von Gesundheitseinrichtungen geimpft?

Auer: Noch im Februar startet die Phase II. Wir rechnen damit, dann den Impfstoff von Astra Zeneca zur Verfügung zu haben, der von der Lieferkette und Logistik viel einfacher zu managen ist als die mRNA-Impfstoffe (Anm.: Sie müssen ultra-tiefgekühlt werden) und von Hausärzten verabreicht werden kann. Die Hausärzte kennen ihre Patienten und Patientinnen und werden chronisch Kranke und ältere Menschen aktiv auffordern, zur Impfung zu kommen. In dieser Phase II sollen auch niedergelassene Ärzte, Apotheker, Sanitäter und die mobile Hauskrankenpflege geimpft werden.

STANDARD: Können sich Leute ohne Risiko den Impfstoff im Vorfeld irgendwie checken?

Auer: Covid-Impfstoffe sind nicht käuflich zu erwerben. Insofern kann es auch keinen Schwarzmarkt geben.

DER STANDARD

STANDARD: Den gibt es allerdings schon für den russischen Impfstoff Sputnik.

Auer: Davon rate ich ab. Er ist ein in der EU nicht zugelassener Impfstoff und erfüllt weder Wirksamkeits- noch Sicherheitsanforderungen.

STANDARD: Zurück zum Impfplan: Was, wenn nicht alle, die Anspruch haben, die Impfung nutzen wollen? In der Vergangenheit gab es gerade beim Pflegepersonal viele Impfmuffel.

Auer: Wenn Impfstoff gemäß unseres Notfallplans nicht verimpft wird, können dann all jene, die zur sogenannten kritischen Infrastruktur zählen, schneller immunisiert werden. Das sind die Polizei und der Lehrkörper an Schulen. Sie könnten vielleicht schon im Februar und März zum Zug kommen. Wenn sich die Pflege weigert, profitiert die kritische Infrastruktur.

STANDARD: Dem Vernehmen nach gibt es aber auch bereits einzelne Unternehmen, denen die Impfung angeboten wird?

Auer: Das sind die Vorbereitungen für die Phase III, die im zweiten Quartal beginnen soll. Da läuft vieles derzeit parallel. Da wir einen dezentralen Ansatz verfolgen, also den Impfstoff zu den Leuten bringen wollen, wird derzeit gerade erhoben, in welchen Betrieben es Arbeitsmediziner gibt, die die Impfungen in einem Betrieb verabreichen können. Die Kollegen aus dem Verteidigungsministerium erheben zusammen mit der Wirtschaftskammer, in welchen Betrieben das möglich sein wird. Denn eine Impfung breiter Bevölkerungsgruppen sollte ab Mai möglich sein.

STANDARD: Und was ist mit allen Unternehmen ohne Betriebsarzt bzw. Menschen ohne Anbindung an einen Arbeitgeber?

Auer: Für sie soll die Impfung über den Gemeindebund auf lokaler Ebene organisiert werden. Ähnlich wie die Massentests. In einer gewissen Weise sind die Massentests auch ein Testlauf für die Impfungen.

STANDARD: Wird man sich den Impfstoff aussuchen können?

Auer: Im Prinzip nein. Man kann sich aussuchen, in welchem Setting man geimpft wird. Hausärzte werden eher den vektorbasierten Impfstoff von Astra Zeneca verabreichen, weil er keine aufwendige Lagerung braucht. Die Hausärzte wissen am besten, welche ihrer Patienten und Patientinnen Vorrang haben sollten. In der Phase III soll es auch ein elektronisches Anmeldesystem geben, in das sich alle, die geimpft werden wollen, eintragen können.

STANDARD: Wie wird man den Überblick bewahren? Bei der Grippeimpfung kann immer erst nach Ablauf der Saison ein Resümee gezogen werden.

Auer: Der Impfstoff wird zentral über einen E-Shop von den Impfstellen angefordert. Das Gesundheitsministerium wird deshalb zu jedem Zeitpunkt einen Überblick über die Verfügbarkeit haben.

STANDARD: Auch über die Durchimpfungsrate?

Auer: Ja, denn die Bestellung erfolgt auf Basis eines Anforderungsprofils, also eines Mengengerüsts, das Auskunft über die Anzahl der Menschen gibt, die einen Impfstoff brauchen. Deshalb wird es erstmals in Österreich möglich sein, sich einen Überblick über die Durchimpfungssituation in bestimmten Populationen zu machen.

STANDARD: Wie genau?

Auer: Man wird sehen können, wie viel des bestellten Impfstoffes bereits an die Impfstellen verteilt wurden. Die Landesgesundheitsbehörden können diese Daten abfragen und sich ein aktuelles Bild zur Einschätzung der Situation machen.

STANDARD: Klingt nach Überwachung ...

Auer: In einer Pandemie wie dieser halte ich es für angemessen, über die Durchimpfung der Bevölkerung Bescheid zu wissen, denn damit verbunden sind viele Maßnahmen zur Einschränkung der Sozialkontakte, des Handels und so weiter. Je höher die Durchimpfung, umso schneller kann das normale Leben wieder aufgenommen werden. Das sollte doch im Interesse der Bürger und Bürgerinnen sein.

STANDARD: Letzte Frage: Was macht man mit dem Impfstoff, der übrig bleibt?

Auer: Weiterverkaufen bleibt eine Option. Die EU hat ja auch vorgesehen, Impfstoff an jene Länder zu spenden, die sich das nicht leisten können. Als Akt weltweiter Solidarität. (Karin Pollack, 22.12.2020)