In Europa wäre es undenkbar, dass ein Impfstoff schon zugelassen wird, bevor die Phase-III-Studie abgeschlossen ist. Sollte Sputnik V bei uns zum Einsatz kommen, müsste der Wirkstoff seine Sicherheit und Wirksamkeit – wie jeder andere Impfstoff auch – in Studien unter Beweis stellen.

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Frage: Was ist Sputnik V?

Antwort: Sputnik V ist ein Impfstoff, der am Gamaleja-Institut für Epidemiologie in Moskau gemeinsam mit dem russischen Verteidigungsministerium entwickelt wurde. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Vektorimpfstoff, der auf Adenoviren von Affen basiert. Er soll Erbmaterial des Virus in menschliche Zellen einschleusen. Darauf reagiert das Immunsystem mit der Bildung von Antikörpern. Es sind zwei Impfungen im Abstand von drei Wochen notwendig, der Impfstoff kann bei herkömmlichen Kühlschranktemperaturen gelagert werden. Auch der Impfstoff von Astra Zeneca ist ein solcher Vektorimpfstoff.

Seit etwas mehr als zwei Wochen laufen in Russland Massenimpfungen mit dem Impfstoff, obwohl die Phase-III-Studien noch nicht abgeschlossen sind. Erste Zwischenanalysen dieser letzten Studienphase, die Ende November per Pressemeldung veröffentlicht wurden, zeigen eine Wirksamkeit des Impfstoffes von 92 Prozent – und zwar 42 Tage nach der Verabreichung der ersten Dosis. Die dafür herangezogene Stichprobe aus der Studie sei allerdings sehr gering, kritisierten unbeteiligte Wissenschafter.

Frage: Wie sieht die Zusammenarbeit von Astra Zeneca und den russischen Herstellern aus?

Antwort: Eine Kombination verschiedener Vakzine kann laut Astra Zeneca womöglich zu einem besseren Schutz gegen das Virus führen. Bisher haben die beiden Unternehmen aber lediglich ein Memorandum für eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Impfstoffen unterzeichnet. Getestet werden soll die Kombination des Astra-Zeneca-Impfstoffes und einer Komponente von Sputnik V. Die klinischen Studien sollen demnächst starten.

"Eine Kooperation ist möglich, um zu schauen, wie gut sich die beiden Impfstoffe ergänzen. Das passiert aufgeteilt auf die zwei Impfdosen", erklärt der Infektiologe Herwig Kollaritsch den Ablauf einer Kombination zweier Impfstoffe. Das bedeutet: Während man mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff grundimmunisiert wird, könnte der zweite Durchlauf mit dem Sputnik-V-Impfstoff vorgenommen werden.

"Astra Zeneca unterliegt der Europäischen Arzneimittelbehörde. Kombiniert man die beiden Impfstoffe, indem man zuerst mit Astra Zeneca grundimmunisiert und dann beim zweiten Durchlauf den Sputnik-V-Impfstoff einsetzt, muss es eine neue Phase-III-Studie geben." Technisch machbar wäre das innerhalb der nächsten sechs Monate. Würde man hingegen beide Impfstoffe lediglich zusammenmischen, müsste man ganz zur Phase I zurückkehren, so der Experte.

Frage: Ist der russische Impfstoff sicher?

Antwort: Russland ist gern am schnellsten. Nicht umsonst heißt der Impfstoff Sputnik V und nimmt damit Bezug auf das einstige Wettrennen im Weltall. Als erster Impfstoff wurde Sputnik V noch vor Abschluss der dritten und entscheidenden Studienphase zu Wirksamkeit und Verträglichkeit im August zugelassen – unter heftiger Kritik an den Regulierungsbehörden, denn dieses Vorgehen ist nicht üblich. Endgültige Ergebnisse der Phase-III-Studie werden für Anfang 2021 erwartet. Bisher ist also unklar, wie sicher und wirksam das Vakzin tatsächlich ist. Das Gamaleja-Institut hat aber versprochen, die Daten von unabhängigen Wissenschaftern überprüfen zu lassen, und will sie dann in einem internationalen Fachjournal veröffentlichen.

Frage: Warum ist eine Kombination von Vektorimpfstoffen sinnvoll?

Antwort: Diese Impfstoffe nutzen Adenoviren als Vektor, um das Erbgut für die Antigenproduktion in die Zellen zu transportieren – daraufhin entsteht eine Immunreaktion. Allerdings kann bei diesen Impfstoffen das Immunsystem auch eine Immunreaktion gegen das Adenovirus entwickeln. Daher können diese Impfstoffe meist nur einmal pro Person eingesetzt werden. Für die vorliegenden Impfstoffe wurden daher auch Adenoviren von Schimpansen verwenden, gegen die die meisten Menschen keine Antikörper im Blut haben.

Forscher haben sich daher sogenannte Prime/Boost-Strategien überlegt, um Menschen mehrfach impfen zu können. Eine davon ist, bei der zweiten Impfdosis einen anderen Vektor zu verwenden, aber mit dem gleichen Antigen. Infektiologe Kollaritsch bringt folgenden Vergleich: "Astra Zeneca möchte das vielleicht mit zwei Vektoren machen. Ein schönes Beispiel wäre: Einmal fährt man mit VW, eimal mit Škoda. Beide Male sitzt der Anschober drin." Aus diesem Grund könnte auch die Kombination aus Sputnik V und dem Vektorimpfstoff von Astra Zeneca gut funktionieren.

Eine solche Kombination von Impfstoffen wird aktuell bereits bei FSME eingesetzt, wo es ebenfalls zwei verschiedene Präparate gibt. "Sie sind unterschiedlich, aber beide können gleich gut gegen FSME immunisieren. Zuerst kann man den einen nehmen, dann mit dem anderen auffrischen. Die Impfstoffe selbst sind untereinander austauschbar. Das ist toll. Funktioniert prächtig und bringt Vorteile hinsichtlich der Produktionskapazitäten."

Eine Kombination ist übrigens mit Impfstoffen verschiedener Arten möglich, so könnte etwa auch zuerst ein mRNA-Impfstoff und später ein Vektor-basierter geimpft werden.

Frage: Könnten Anteile von Sputnik V in Europa verimpft werden, etwa durch eine Zusammenarbeit mit Astra Zeneca?

Antwort: In Europa wäre es undenkbar, dass ein Impfstoff schon zugelassen wird, bevor die Phase-III-Studie abgeschlossen ist. Sollte Sputnik V, in welcher Form auch immer, bei uns zum Einsatz kommen, müsste der Wirkstoff seine Sicherheit und Wirksamkeit – wie jeder andere Impfstoff auch – in Studien unter Beweis stellen. Auch die Zulassung würde nur stattfinden, wenn der Hersteller die Sicherheit und Wirksamkeit unter europäischen Standards nachweisen könnte.

Viele internationale Forscher sind dem russischen Impfstoff gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt. So habe das Gamaleja-Institut bereits in früheren Studien gezeigt, dass es eine entsprechende Expertise in dem Bereich besitze, bestätigte etwa Leif Erik Sander, Infektiologe an der Berliner Charité, in einem Gespräch mit dem ZDF: "Vom Prinzip her ist der russische Vektorimpfstoff vermutlich gar nicht schlecht." Man müsse aber erst die Daten der letzten Studienphase abwarten.

Und auch prinzipiell ist die Zusammenarbeit von Impfstoffherstellern zu begrüßen, weil dabei Expertise gebündelt wird, was letztlich allen hilft, bestätigt auch Herwig Kollaritsch. Grund für voreilige Schlüsse oder Ängste gibt es nicht, zumal Zulassungsverfahren in der EU weiterhin streng und sicher bleiben. (Julia Palmai, Bernadette Redl, 23.12.2020)