Etwa 3.000 Menschen im Kanton Una-Sana sind ohne Unterkunft und jeglichen Schutz der Eiseskälte und Nässe in Nordbosnien ausgesetzt.

Foto: Adelheid Wölfl

Tief die Kapuzen über den Kopf gezogen, in feuchten Hosen, nur ein paar Plastikplanen über den schlammigen Boden gespannt: Die Menschen, die ohne jegliche Unterkunft derzeit im bosnischen Kanton Una-Sana auf Wiesen campen, sind schwersten Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Viele husten bereits und sind völlig erschöpft. "Wir müssen es ganz klar sagen: Es ist nicht zu verhindern, dass einige nicht überleben werden, wenn 3.000 Menschen draußen im Schnee übernachten müssen", sagt der Leiter der bosnischen Vertretung der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Peter Van der Auweraert, zum STANDARD.

Am Dienstag begann die IOM das Camp Lipa, wo etwa 1.500 der jungen Männer untergebracht sind, zu evakuieren. 70 bis 80 Leute wurden als Erste zum Aufnahmezentrum Bira in der etwa 25 Kilometer entfernten Stadt Bihać gebracht, damit sie dort überwintern können. Denn das Camp Lipa muss nun geschlossen werden, damit es umgebaut werden kann. Es soll an die öffentliche Strom-und Wasserversorgung angeschlossen werden, um es winterfest machen zu können.

Doch die Regierung des Kantons Una-Sana weigert sich, das Aufnahmezentrum Bira für Migranten zu öffnen. Einige Bürger von Bihać protestierten am Dienstag gegen die ankommenden Menschen – und auch die Polizei, die der Kantonsregierung untersteht, stellte sich gegen die Aufnahme.

Verhärtete Fronten

Die Halle wurde im Sommer geschlossen, weil die lokale Bevölkerung in Bihać nach all den Jahren, in denen sich die Situation niemals verbessert hat, keine Migranten mehr in der Stadt haben wollte. Die Fronten sind mittlerweile völlig verhärtet. Die Kantonsregierung opponierte mit der Aktion vom Dienstag ganz klar gegen Sicherheitsminister Selmo Cikotić von der Zentralregierung, die sich ohnehin schwer durchsetzen kann. Denn in Bosnien-Herzegowina gibt es viel zu wenig Solidarität, wenn es um Aufteilung geht.

Der Landesteil Republika Srpska hilft seit dem Beginn der Migrationskrise nicht, sondern schickt die Migranten einfach weiter in den Landesteil Föderation. Dort wird die gesamte Bürde – pro Jahr kommen etwa 10.000 Migranten – von drei mehrheitlich bosniakischen Kantonen getragen.

Überforderung der Ämter

Die größte bosniakische Partei, die SDA, erklärte nun, dass Migranten in ganz Bosnien-Herzegowina und nicht nur in bosniakischen Gebieten untergebracht werden sollten. Van der Auweraert will das Lager Lipa nun komplett schließen, auch wenn die Halle Bira nicht wieder für Migranten geöffnet wird. Damit bahnt sich eine veritable Katastrophe an. Im Kanton Una-Sana sind bereits mehr als 1.000 Betroffene ohne Schutz. Sie schlafen mitunter mitten im Dreck in Abbruchhäusern.

Es handelt sich vor allem um Arbeitsmigranten aus Pakistan, Afghanistan und Bangladesch, die keine Chance haben, Asyl zu bekommen, aber oft dutzende Male versuchen, in die EU zu gelangen. Der Sondergesandte der EU in Bosnien-Herzegowina, Johann Sattler, sagt angesichts der extremen Notlage zum STANDARD: "Wie wir wiederholt dargelegt haben, ist es Sache der Behörden in Bosnien und Herzegowina, Verantwortung zu übernehmen und eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden." (Adelheid Wölfl, 23.12.2020)