Modelle von Sars-CoV-2 (im Hintergrund) und des sogenannte Spike-Proteins (rechts im Vordergrund), mit dem es die Zellen entert. Veränderungen an diesem Eiweiß dürften dem Virus das Andocken und Eindringen erleichtern.

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Langsam sehen die internationalen Experten klarer, was es mit der neuen britischen Virusvariante B.1.1.7 auf sich hat. Montagabend veröffentlichten die britische Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) sowie die Expertengruppe der britischen Regierung eine Art Steckbrief der Mutante, die mit rund 20 Veränderungen in der RNA besonders viele Mutationen aufweist.

Die neuen Daten aus Erbgutuntersuchungen und Modellrechnungen verheißen nichts Gutes: Vor allem zwei der insgesamt rund 20 Mutationen dürften tatsächlich dazu beitragen, dass B.1.1.7 leichter übertragen wird. Die neuen Informationen aus Großbritannien machen klar, wie der britische Premier Boris Johnson zu der Behauptung einer um 70 Prozent höheren Ansteckungsgefahr gekommen ist.

Tatsächlich scheint nach den epidemiologischen Daten die Ausbreitungsrate der neuen Variante um 71 Prozent höher zu liegen als die herkömmlicher Varianten; das würde die Reproduktionszahl (also den R-Wert) um 0,4 bis 0,9 erhöhen. Auf Österreich umgelegt würde das – bei einem Wert von plus 0,4 – statt beispielsweise 2.000 Neuansteckungen täglich 2.800 Neuansteckungen bedeuten.

"Sieht leider nicht gut aus"

Der deutsche Virologe Christian Drosten (Charité Berlin) schrieb als Reaktion auf die neuen Daten auf Twitter: "Das sieht leider nicht gut aus." Die gute Nachricht sei immerhin, dass B.1.1.7-Fälle bisher nur in Gebieten zugenommen haben, wo die Gesamtinzidenz hoch oder ansteigend war. In Drostens eigenen Worten: "Kontaktreduktion wirkt also auch gegen die Verbreitung der Mutante." Am Dienstagnachmittag stellte er noch einmal klar, dass sein Zitat sich einzig auf die erhöhte Ansteckungsrate bezog. (Was eigentlich klar aus dem Tweet hervorgeht.)

Den Wissenschaftern bereitet insbesondere die (an sich bekannte) Mutation mit der Bezeichnung N501Y Sorgen. Sie könnte den Daten zufolge dafür sorgen, dass das Virus besser an Zielzellen andocken kann. Zudem liege die Mutation an einer Stelle, an der auch bestimmte Antikörper des Menschen angreifen, um das Virus auszuschalten. Deshalb sei es möglich, dass bei solchen Varianten die Gabe von Antikörpern schlechter wirke.

WHO nimmt Problem ernst

Die WHO war zuletzt um Beruhigung bemüht, nimmt das Problem aber ernst: Während der britische Gesundheitsminister Matt Hancock noch davon sprach, dass die neue Mutante "außer Kontrolle geraten sei", betonte WHO-Nothilfekoordinator Michael Ryan: "Die Situation ist nicht außer Kontrolle." Dennoch wird die WHO in einer Sondersitzung die neue Faktenlage prüfen. Das Datum sei aber noch offen, sagte ihr Europa-Chef Hans Kluge.

Mittlerweile ist die Mutante in sechs Ländern nachgewiesen, Deutschland und Österreich sind nach wie vor nicht darunter. Das könnte auch daran liegen, dass Länder wie Großbritannien und Dänemark verhältnismäßig viele Virusproben sequenzieren. Österreich liege bei der Anzahl der Virussequenzierungen im guten Mittelfeld, sagt Andreas Bergthaler vom CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der die österreichweite Initiative zur Sars-CoV-2 Sequenzierung koordiniert.

"Bei den sequenzierten Viren in Österreich sind bisher nur einzelne Mutationen aufgetaucht, die sich auch in der britischen Mutante finden", so Bergthaler. Darunter befindet sich die Veränderung namens 69-70del. Bei dieser Mutation gibt es fehlende Informationen für den Bau von zwei Aminosäuren im Spike-Protein. Sie könnte die Immunantwort auf eine Infektion beeinflussen.

Impfstoffe sollten wirken

Bei den Impfstoffherstellern geht man nach wie vor davon aus, dass die Vakzine auch gegen die neue Variante wirken werden, bei der nicht einmal ein Prozent der genetischen Information des Virus verändert sei. Dennoch haben Forscher sowohl bei Biontech/Pfizer wie auch bei Moderna oder Curevac mit entsprechenden Versuchen begonnen, um auf Nummer sicher zu gehen.

Bei Moderna rechnet man damit, dass der Impfstoff auch gegen Varianten wirkt, und will das in den kommenden Wochen durch Tests bestätigen. Pfizer sammelt Daten darüber, wie gut Blutproben von Menschen, die bereits geimpft wurden, die neue Virusvariante neutralisieren können.

Anpassung wäre möglich

Bei Biontech wäre man nach eigenen Angaben prinzipiell in der Lage, binnen sechs Wochen auch ein spezielles Präparat gegen eine neu aufgetauchte Mutation des Virus herzustellen. "Das ist aber eine rein technische Überlegung", sagte Biontech-Chef Uğur Şahin am Dienstag, also am Tag nach der Zulassung seines Impfstoffs auch in der EU. Es sei aber sehr wahrscheinlich, dass der bereits hergestellte Impfstoff auch gegen die neue Variante wirke.

Die Plattform des bisherigen Impfstoffs würde bei noch stärkeren Weiterentwicklungen des Virus nicht angetastet, erläuterte die medizinische Geschäftsführerin und Biontech-Mitgründerin Özlem Türeci. In diesem Fall würde es darum gehen, inwieweit die Behörden die bereits eingereichten Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten des jetzigen Vakzins als Basis akzeptierten. Dies wiederum würde die Dauer eines möglichen Zulassungsprozesses beeinflussen. (Klaus Taschwer, 22.12.2020)