Ein Star und ein rebellischer Trompeter: Viola Davis und Chadwick Boseman (links) in "Ma Rainey’s Black Bottom".

Im Jahr 1927 lief das Aufnehmen von Musik noch so, dass bei jedem falschen Ton eine ganze Platte weggeschmissen werden musste. Denn der Song lief direkt in das Vinyl, vom Mikrofon in die Nadel, und da ist es vielleicht nicht die beste Idee, mit einem jungen Mann zu arbeiten, der stottert.

Genau darauf aber besteht Ma Rainey, die "Mutter des Blues", die aus Georgia nach Chicago gekommen ist, um eine Platte aufzunehmen. Das Intro wünscht sie sich von Sylvester, dem holpert der Text freilich recht mühsam über die Lippen. Ob Ma Rainey aus künstlerischer Freiheit auf ihrem ungeschickten Protegé besteht, oder vielleicht einfach aus Starrsinn gegenüber den weißen Produzenten, ist dabei gar nicht so wichtig. Einer ärgert sich darüber aber ganz besonders: Levee, der Jüngste in der Band. Er hat nämlich auch ein Intro mit Trompete auf Lager, das das Lied vom "schwarzen Hintern" direkt in die aufregende Gegenwart des Jazz-Zeitalters katapultieren würde.

Mehr als eine Subkultur

In Ma Rainey’s Black Bottom, der Verfilmung eines gleichnamigen Theaterstücks von August Wilson, wird Levee von Chadwick Boseman gespielt, dem Star aus Black Panther, der im August dieses Jahres mit nicht einmal 44 Jahren an Krebs starb. Die Netflix-Produktion von George C. Wolfe, hinter der auch Denzel Washington als Anreger steht, ist damit der letzte Film, in dem Boseman zu sehen ist. Levee ist die zweite Hauptrolle neben der imposanten Viola Davis als Ma, dazu kommen weitere Bandmitglieder und eine Freundin von Ma sowie die beiden weißen Betreiber des Plattenstudios, die auch die Profite der Platte einstreifen werden.

Netflix

In ihrem Manageropportunismus würden sie Ma Rainey gern dazu bringen, den Moonshine Blues von Bessie Smith zu singen, sie aber besteht auf ihrem eigenen Hit, der angemessen schlüpfrig ist, um den Blues in jeder Hinsicht als Subkultur auszuweisen. Zugleich ist er das Ein und Alles: "It’d be an empty world without the blues", sagt Ma einmal. Und diese Wahrheit füllt das Stück und den Film nicht nur musikalisch, sondern auch mit verschiedenen Erzählungen der Figuren.

Der brutale Rassismus ist allgegenwärtig

Die Dramaturgie eines Theaterstücks ist dabei deutlich zu erkennen, alle Protagonisten haben ihren hervorgehobenen Moment, gleichsam ihr Solo. Bei Levee wird dabei erkennbar, dass sein Ehrgeiz und seine Dringlichkeit aus einem tiefen Trauma kommen, das er aus einem Erlebnis als achtjähriger Junge mitbekommen hat. Der brutale Rassismus, von dem der amerikanische Süden noch lange nach Abschaffung der Sklaverei geprägt war, ist in Ma Rainey’s Black Bottom allgegenwärtig. Er wird auch durch die markante erste Szene akzentuiert, in der junge Männer durch einen Wald hetzen, wie auf der Flucht. Sie laufen aber zu einer "tent show", bei der Ma Rainey ihr Lied in der lokalen Kultur singt, aus der es kommt.

Nicht zuletzt der erhöhten Produktivität der Streamingportale verdankt sich in Amerika eine stetig zunehmende Präsenz afroamerikanischer Themen und Schauspieler. Das Starsystem hat sich in wenigen Jahren signifikant differenziert, und mit kleineren Produktionen wie Ma Rainey’s Black Bottom zeigt sich, dass zumindest auf der Ebene der Kulturindustrie Rassismus keine Chance mehr hat. Und dass nun auch die Produktionsmittel in der Hand derer sind, die etwas zu sagen haben. (Bert Rebhandl, 22.12.2020)