Bleischwer liegt die Sorge um die Zukunft in der Luft. "Gut geht es uns nicht", sagt die Chefin eines kleinen Eisen- und Haushaltswarengeschäfts im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Namentlich in der Zeitung stehen will sie nicht. Nur so viel: "Anderen geht es wohl noch schlechter, wir haben keine Saisonware, die wir jetzt verramschen müssen", sagt sie hinter ihrer Maske und fügt noch an: "Jammern hilft jetzt nicht."

Die Wiener Innenstadt ist am Montag ruhig, die Stimmung gedrückt. Reden will man nur hinter vorgehaltener Hand. Die Menschen würden sich zu wenig an Regeln halten, klagt mancher. Im besten Fall gibt man Durchhalteparolen aus.

Dabei war der Handel zuletzt doch noch einigermaßen zufrieden. Beim Weihnachtsgeschäft geht es um rund 1,1 Milliarden Euro. Dem stehen drei Lockdowns gegenüber, die den Handel knapp zehn Milliarden kosten. Zumindest hätten in den letzten Tagen Umsätze und Kundenfrequenz leicht zugelegt.

Fröhlich wird Weihnachten für viele heuer eher nicht.

Frohe Weihnachten sehen anders aus. In den Einkaufszentren rauschen die Kunden durch. Gastronomie, die zum Verweilen einlädt, fehlt. Die Corona-Sicherheitsmaßnahmen tun das Ihre: Shoppen war schon unbeschwerter, trotz vieler Rabattschilder sitzen die Börseln heuer bei vielen nicht gerade locker.

Die Horrorszenarien der Handelsvertreter beschreiben 6.500 der rund 60.000 Betriebe als existenzgefährdet. Das Wifo erhob für November Umsatzeinbußen von 20 Prozent im Vergleich zum Vormonat – den Lebensmittelhandel nicht eingerechnet. Im Dezember zeichnet sich ein Minus von zehn Prozent ab. Im Gesamtjahr büßten Händler abseits der Supermärkte 4,3 Prozent des Geschäfts ein, Textil- und Schuhhandel fast ein Drittel.

Man ächzt unter der Gegenwart. Die einen angesichts der vielen Arbeit, die anderen, weil sie Ware im Lager haben, die sie nicht verkaufen konnten, und nun die Liquidität fehlt, um neue Ware anzuschaffen. Noch halten die Staatshilfen die Betriebe über Wasser – aber was kommt dann? Immerhin ist Erholung der Wirtschaft angesagt. Das Wachstum wird 2021 auf rund 2,5 Prozent geschätzt, im Jahr darauf soll es doppelt so hoch sein. Wird es dann wieder so wie vor Corona?

Frank Trentmann geht nicht davon aus. Der deutsche Historiker erforscht die Geschichte des Konsums. Viele Prognosen setzen derzeit auf einen zügigen "Bounce-back" in der Konsumwirtschaft, schreibt er im Magazin The New Republic.

Der große Stillstand zeigte sich heuer nicht nur in den Geschäften. Das ganze Leben – zudem nun einmal viel konsumieren gehört – stand zuweilen mehr oder weniger still.
Imago

Die Annahme, dass die Menschen nach Corona den Gürtel enger schnallen, aber ansonsten zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehren werden, hält er für unrealistisch: "Wir wissen aus Kriegen, Dürreperioden und Energiekrisen, dass solche Unterbrechungen keine vorübergehenden Pausen sind, sondern Kraftmultiplikatoren, die gleichzeitig frühere Trends verstärken und das tägliche Leben neu ordnen." Das Virus habe "effektiv mehrere Kolben der Konsumwirtschaft auf einmal gestoppt: Tourismus und Mobilität, Gastronomie und Einzelhandel, Liveunterhaltung und Sport."

Der Einbruch des Konsums weltweit ist enorm. Hierzulande schrumpft der private Konsum heuer laut Wifo um 16 Milliarden Euro. Das sind eine Menge Waren, Dienstleistungen und kulturelle oder Freizeitangebote, die nicht konsumiert worden sind. Denn vieles, was das Leben in modernen Wohlstandsgesellschaften ausmacht, hat mit Konsumieren zu tun.

Und jetzt: Hotels zu, Gastronomie zu, Fitnessstudios zu, Kino und Theater zu, Konzerte und Kabarett virtuell, Reisen praktisch unmöglich. Dafür erlebten kleine Hofläden und lokale Anbieter in vielen Teilen der Welt eine Renaissance. Gleichzeitig wurde mehr online geshoppt. Amazon erlebt die besten Monate seit seinem Bestehen. Ein nicht überraschendes Phänomen.

Nach dem Einkaufen ein Pläuschchen im Kaffeehaus oder Kaffee ganz ohne Einkaufen: Beide Varianten waren heuer schon mehrmals gestrichen worden.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Ein Zurück gibt es laut Trentmann nicht. "Konsum ist nicht nur ein Spiegelbild dessen, wie viel Geld zum Ausgeben da ist. Wir müssen wissen, warum sich Menschen bestimmten Waren und Dienstleistungen überhaupt zuwenden. Und Disruption ändert das." Was könnte also nach der Krise bleiben? Wenn Opern und Sinfonien nun hauptsächlich online gestreamt würden, könnten sie viel billiger werden, so Trentmann. Andererseits würden wohl Mobilität und andere Güter – wie Wohnen auf dem Land – teurer werden. Nichts werde bleiben, wie es war.

Ganz besonders werde es aber den Handel treffen. "Shopping ist ein Mikrokosmos für den Wandel der Konsumkultur, der sich vor unseren Augen abspielt", so Trentmann. In Italien droht 20.000 Kleiderläden die Schließung und damit der Verlust von 50.000 der 310.00 Jobs in der Branche, auch hierzulande stünden 60.000 Jobs auf dem Spiel, so der Handelsverband. Im November waren fast 66.000 aus der Branche beim AMS als arbeitslos vorgemerkt, gut ein Drittel mehr als im November des Vorjahres.

Shoppingflächen gibt es in Österreich mehr als genug. Für manche von ihnen muss man sich wohl künftig etwas anderes überlegen.

Wer online tätig sein kann, hatte oft bessere Karten. Der E-Commerce-Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz wird in Österreich am Ende des heurigen Jahres erstmals mehr als elf Prozent erreichen, anderswo liegt er doppelt so hoch oder noch höher. Die Auswirkungen des großen Einzelhandelsabschwungs werden weitreichend sein, schätzt auch Hannes Lindner. Der Markt- und Standortberater verzeichnet noch keine Erschütterungen in seinen Daten, erwartet aber in den nächsten fünf Jahren jede Menge davon: "Die Büchse der Pandora ist geöffnet." Die Pandemie sei ein Trendbeschleuniger.

Die Produktvielfalt sei kaum noch zu überschauen. Das sei einfacher über das Internet abzubilden. Gut möglich, dass die Industrie viel stärker die Distribution übernehme, so seine Einschätzung. Beispiel Tesla: Im schicken Schauraum stehen zwei Modelle, die Konfiguration erfolgt im Internet, die Wünsche werden ans Werk durchgereicht. Das könne auch in anderen Branchen erfolgen. Eine Riesenverkaufsfläche über 20.000 Quadratmeter braucht es dafür nicht. Die Shoppingflächen werden seiner Ansicht nach teilweise kräftig schrumpfen.

Ist die Warenverteilung wie wir sie handhaben, effizient? Könnten Lieferdienste das besser? Fragen, die nicht so einfach zu beantworten sind.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Zudem stelle sich die Frage, ob die "Warenverteilung, die vor Corona die Menschen erledigt haben, effizienter über Lieferdienste zu organisieren ist". Oder explodiert dann der Verkehr? Und was geschieht mit den vielen derzeit für Geschäfte genützten Flächen? Erdgeschoße, heute oft Heimstätte von Handelsunternehmen, könnten künftig viel stärker anders genutzt werden, sagt Lindner und warnt: "Bei den Shoppingflächen werden wir den Bauch einziehen müssen."

Kommt jetzt ein Strukturwandel im Einzelhandel, wie es ihn zwischen 2003 und 2018 hierzulande gab? In diesem Zeitraum sind immerhin rund 11.000 Geschäfte von der Bildfläche verschwunden. WKO-Handelsobmann Rainer Trefelik will so schwarz nicht sehen. Dass viele Geschäfte schon vor Corona dank steigender Mieten und der Hinwendung der Kunden zum Online-Shopping kräftig unter Druck standen, räumt er aber ein. Trefelik sieht aber lieber "die Chancen, die ein jeder Wandel eröffnet". (Regina Bruckner, 23.12.2020)