Distance-Learning in Österreich: Vorbereitung auf kleiner Flamme

Estelle ist gerade nicht so entspannt, trotz Weihnachtsferien. Die 17-Jährige hat jetzt, rund um den Jahreswechsel, nicht nur ein außergewöhnlich anstrengendes Schuljahr hinter sich. Auch die Fachprüfung, die sie heuer im Frühjahr absolvieren soll, lädt nicht gerade zum Seele-baumeln-Lassen ein.

Estelle Lath besucht die vierte Klasse der Bergheidengasse, einer Höheren Bundeslehranstalt für Tourismus und wirtschaftliche Berufe im 13. Wiener Gemeindebezirk. Hier ist sie Schulsprecherin. Auch wenn sie in den vergangenen Wochen und Monaten ihre Kolleginnen und Kollegen kaum noch vor Ort getroffen hat.

Foto: Christian Fischer

Seit Anfang November ist Estelle im Distance-Learning, "aber eigentlich hatten wir seit März nicht mehr wirklich Unterricht", sagt sie. Das zehrt aus vielen Gründen bereits gewaltig an den Nerven. "Wir verbringen extrem viel Zeit vor dem Bildschirm", berichtet Estelle. Nämlich? "Ich komme sicher auf bis zu zwölf Stunden täglich. Und danach ist es dunkel." Dass man dabei nicht immer konzentriert bleiben kann, ist klar. Estelle kennt noch andere Gründe: "Das Handy liegt daneben, die Bildschirmkamera ist ausgeschaltet – da kann es schon passieren, dass man abschweift." Was hinzukomme: "Oft ist es ein Problem, sich zu motivieren." Auch wenn sie selbst einen Weg gefunden hat, mit der Situation umzugehen, weiß sie: "Vielen geht's gerade psychisch nicht so gut."

Als wir das erste Mal miteinander telefonieren, steht endlich eine kleine Erleichterung an: Seit Anfang Dezember wird Estelle zumindest tageweise wieder an die Schule geholt – für Schularbeiten. Und einmal die Woche ist Großkampftag: Von sieben bis 18 Uhr findet Praxisunterricht statt, durchgängig mit Maske. Estelle ist immer donnerstags dran. Endlich sieht sie einen Teil ihrer Klassenkolleginnen wieder. Außerdem: "Flambieren und Tranchieren lernt man zu Hause in der Küche nicht so gut." In der Hauswirtschaftsschule nehmen das Kochen, das Servieren und die Theorie dahinter einen wichtigen Platz ein. Rund 25 Rezepte wollen für die im Frühjahr geplante Fachprüfung beherrscht werden.

Estelle hat davor mehr Bammel als vor der Matura. Vier Gänge sollen dann gekocht und präsentiert werden. Heuer könnte das auf drei reduziert werden, ist aus dem Bildungsministerium zu hören. "Wenn das passiert, kann ich nur lachen", sagt Estelle leicht verzweifelt. Bei ihr mehren sich einstweilen die Anfragen besorgter Kolleginnen und Kollegen, die wissen wollen, ob die Fachprüfung heuer überhaupt stattfinden kann. Der Jahrgang über ihnen hat erst wenige Wochen vor dem Prüfungstermin von dessen Corona-bedingter Absage erfahren.

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Immerhin: Estelle findet, dass sich der Fernunterricht im Vergleich zum Frühjahr deutlich verbessert hat. Gut, das war nicht schwer: "Also, im ersten Lockdown ... ich möchte das Wort Katastrophe nicht verwenden." Jetzt gab es statt eines Haufens E-Mails tatsächlich Onlineunterricht – und zwar mit Plan. Mit einer Freundin lernt sie via Computer Mathematik. Wie sie sonst mit anderen Kontakt hält? Spazieren gehen. Für eine Jugendliche führt Estelle derzeit ein eher ungewöhnliches Leben: "Es ist so wenig Diversität in meinem Alltag."

Die Schülerin hofft, dass sie wenigstens ihr Pflichtpraktikum in einem Hotel absolvieren kann. Sie habe die Bewerbungen schon vorbereitet, erzählt sie, aber: "Ich kann das jetzt nicht wegschicken. Da komme ich mir eigenartig vor." Andere hätten bereits Absagen bekommen, in denen die angeschriebenen Betriebe viel Unverständnis für die Anfrage zeigen.

Distance-Learning in Italien: Kurzbesuch im Zweiwochentakt

Giorgio übt gerade die "Arabesque No. 1" von Debussy. Fünf Minuten dauert das Stück, und jetzt darf er endlich wieder am großen Flügel seiner Schule üben. "Es ist großartig", sagt er. Der 18-Jährige besucht ein Musikgymnasium in der Nähe von Mailand und bereitet sich derzeit auf seine Abschlussprüfung im Frühjahr vor. Ob und wie diese genau stattfinden wird, weiß Giorgio noch nicht. Er hat sich aber entschieden, auf Nummer sicher zu gehen und sich für das Szenario, wie es ohne die Pandemie war, vorzubereiten. Dabei muss er mehrere minutenlange Stücke vor einer Kommission spielen. "Debussy kennt jeder, und ich denke mir, dass ich sie damit leichter überzeugen kann."

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Die Klavierstunden sind der einzige Grund, warum Giorgio derzeit die Schule besuchen darf. "Ein Musikinstrument auf Distanz zu lernen ist unmöglich", sagt er. "Die Lehrerin muss neben dir stehen und sehen, wie du die Tasten greifst, was genau du machst." Also geht er alle zwei Wochen für zwei Stunden in seine Schule. Wobei die Einheit zehn Minuten kürzer ist als sonst, weil die Lehrerin danach das Instrument rigoros desinfiziert.

Die Schüler müssen dabei üblicherweise immer Maske tragen. Seit die Lombardei Mitte Dezember wieder zur gelben Zone geworden ist, ist auch der Flügel wieder als Übungsinstrument erlaubt – obwohl ihn sich mehrere Schüler und Lehrer teilen müssen. Die Lehrer sind etwas lockerer geworden, und bei sehr langen Stücken am Flügel dürfen die Schüler manchmal den Mund-Nasen-Schutz abnehmen, erzählt Giorgio. Aber nur, wenn der Lehrer weit genug weg stehen kann. "Man kann es sich vielleicht nicht vorstellen, aber minutenlang ein Stück zu spielen ist auch körperlich anstrengend, da tut der Sauerstoff sehr gut. Man fühlt sich freier." Noch wenige Wochen zuvor – damals war die Lombardei noch in der roten Zone – hatte Giorgio bei unserem Telefonat erzählt, dass ihn seine Lehrer ermahnen, wenn er seine Maske auch nur berührt. Regulären Unterricht hatte Giorgio zuletzt im Februar. Von September bis Mitte November war er alle zwei Wochen an der Schule – seither gilt wieder Homeschooling, mit Ausnahme der Klavierstunden.

Mindestens fünf Stunden am Tag sitzt Giorgio also in seinem Zimmer vor seinem Computer und verfolgt den Unterricht. Jede Stunde wird digital gehalten. Da immer konzentriert zu sein ist schwierig. Weil sich während des ersten Lockdowns viele Schülerinnen und Schüler darüber beschwert hatten, gilt nun die Vorschrift: Zehn Minuten der 55-minütigen Einheit müssen für Aufträge reserviert werden, die die Schüler abseits des Computers erfüllen. "Die meisten Lehrer halten sich leider nicht daran", sagt Giorgio. Trotzdem mache diese Regelung schon einiges besser. "Ich brauche diese Computerpausen." Schließlich geht es am Nachmittag mit Hausübungen am Computer weiter. Die Unterrichtsqualität leidet unter dem Fernunterricht, findet Giorgio. "Die Erklärungen sind aus der Ferne einfach nie so gut", erzählt er. In der Zeit vor Weihnachten standen außerdem viele Prüfungen an, und die Lehrkräfte waren nervös, weil sie Noten brauchten. "Das ist ja schon während des normalen Schulbetriebs anstrengend, aber derzeit ist es noch viel schlimmer." Er werde ständig geprüft, mündlich und schriftlich. Manche Lehrer würden eine Einheit nur mehr für mündliche Prüfungen nutzen. "Wenn man dran war, sagen sie, man kann die Stunde verlassen. Wirklich sinnvoll finde ich das nicht."

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Für mündliche Prüfungen gibt es an Giorgios Schule die Regel, dass zumindest das Gesicht des Schülers sichtbar sein muss. "Natürlich kannst du da ein Buch oder das Handy auf den Knien liegen haben und nachschauen." Ob er das schon gemacht habe? "Natürlich", sagt er und lacht. Er bemühe sich aber, für die Fächer, in denen er maturieren will, wirklich alles zu lernen und nicht zu schummeln.

Wann Giorgio wieder an die Schule zurückkehrt, weiß er nicht. Zuletzt war in den italienischen Medien vom 7. Jänner zu lesen. Manche seiner Lehrer reden aber schon von Mai, da die Impfungen wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen. Giorgio gibt die Hoffnung nicht auf. Er will nach dem Abschluss Psychologie studieren und später einen Master in Musikpsychologie draufsetzen. "Dann kann ich anderen mit meinem Wissen über Musik helfen", sagt er. (Lisa Kogelnik, Karin Riss, 4.1.2021)