Ein Fall, zwei Filme: Am 3. Jänner zeigen ORF und ARD den wahren Fall einer Kindesentführung aus zwei Perspektiven: jener des Verteidigers (Klaus Maria Brandauer) und jener des Polizisten (Bjarne Mädel, li.).

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Die ersten Szenen von "Feinde" sind von schockierender Härte. Ein Kind wird entführt, die Zuschauer sehen jedes Detail, vom Entführer nur die Maske.

Auf den Fall angesetzt ist der Polizeibeamte Peter Nadler (Bjarne Mädel), der auch schnell einen Verdächtigen findet. So verdächtig, dass Nadler sicher ist. Doch der Beschuldigte will nicht sprechen. Das Kind lebt vielleicht noch – also was tun? Nadler schickt seine Kollegin nach Hause und knöpft sich den Verdächtigen vor. Dieser gesteht – unter Folter. Das ist die eine Geschichte.

Die andere zeigt denselben Fall aus der Perspektive des Strafverteidigers Konrad Biegler, gespielt von Klaus Maria Brandauer. Natürlich ist verboten, was Nadler tat, aber darf man Verständnis haben? Es sind die moralischen Lücken des Rechtssystems, die der Schriftsteller Ferdinand von Schirach einmal mehr aufwirft, nach "Terror" und "Gott" jetzt mit "Feinde" nach Drehbüchern von Jan Ehlert und Nils Willbrandt, Letzterer führte auch Regie. Die unterschiedlichen Positionen werden in zwei Filmen aufgerollt. Der ORF zeigt "Gegen die Zeit" und "Das Geständnis" am 3. Jänner 2021 ab 20.15 Uhr. Danach wird der strittige Fall, der sich 2002 tatsächlich so zugetragen hat, in "Thema" diskutiert. Die ARD zeigt die Filme ebenfalls – im Hauptprogramm wie in den dritten Sendern. Es ist ein TV-Ereignis.

Gewissen und Rechtsbewusstsein ließen den Burgschauspieler Brandauer zuletzt seine Stimme über die katastrophalen Zustände in griechischen Flüchtlingslagern erheben. Die Haltung der Regierung bezeichnete Brandauer als "grauenvoll". Die Zustände sind schrecklicher denn je. Brandauer gehört zu jenen, die dazu nicht schweigen wollen.

STANDARD: Ihr Appell zuletzt bei "Im Zentrum" ist noch gut in Erinnerung. Welche Rückmeldungen haben Sie bekommen?

Brandauer: Sehr viel Zustimmung, es haben sich viele Leute aus meinem Umfeld gemeldet und gefragt, wie sie auch Unterstützung leisten können. Die Bereitschaft, sich zu engagieren ist nach wie vor hoch, trotz der andauernden Pandemie.

STANDARD: Hat sich jemand von politisch Verantwortlichen bei Ihnen gemeldet?

Brandauer: Nein, da gab es keinerlei Reaktionen.

STANDARD: Die Zustände im Nachfolgecamp sind unverändert katastrophal. Wie geht es Ihnen, wenn Sie von den Zuständen hören?

Brandauer: Ich bin nach wie vor entsetzt, wie sehr wir vor den unhaltbaren Zuständen die Augen verschließen. Wir brauchen jetzt mehr denn je konkretes Handeln. Die Zustände sind inzwischen schlimmer, als sie es je waren, nur nimmt das kaum jemand zur Kenntnis.

STANDARD: Was müsste geschehen?

Brandauer: Es gibt in Österreich umfangreiche freie Kapazitäten an sicheren und warmen Unterkünften, diese müssen zügig und unbürokratisch zur Verfügung gestellt und die an Leib und Leben bedrohten Familien hergeholt werden. Es geht um ganz konkrete Hilfe, die vor Ort im Moment nicht möglich ist. Wir brauchen keine Alibiaktionen, sondern breite, praktisch gelebte Hilfsbereitschaft. Das würde uns allen sehr gut anstehen. Die Zustände auf Lesbos sind nach wie vor eine Schande für Europa.

STANDARD: In "Feinde" wirft Ferdinand von Schirach einmal mehr ein moralisches Dilemma auf, in dem die Justiz steckt. Wie hätten Sie im Falle Nadlers gehandelt?

Brandauer: Der Strafverteidiger Biegler, den ich spiele, findet da schneller eine Position als ich selber. Am Schluss sagt er, nicht er selber hat gewonnen, sondern der Rechtsstaat. Das finde ich, ist der richtige Punkt, den er da macht. Es ist gut, dass es den Rechtsstaat gibt, auch wenn er nicht perfekt ist, nie perfekt sein kann. Aber wir können und müssen über die Sachen sprechen.

STANDARD: Die Position der Justiz ist klar, wirkt jedoch inhuman. Eine Lösung scheint es hier nicht zu geben.

Brandauer: Es ist nicht nur die Position der Justiz, es ist eine der Grundfesten unseres Rechtsstaates: Folter ist unter allen in Frage kommenden Umständen verboten. Das ist dennoch kein einfaches Thema, genau daraus ziehen ja unsere beiden Filme ihre Brisanz. Ich kann nur dazu einladen, sich offen auf beide Perspektiven einzulassen. Man kann sich durch einen Standpunktwechsel manchmal auch selber überraschen!

STANDARD: Wie kamen Sie zur Rolle in "Feinde"?

Brandauer: Ferdinand von Schirach, dessen Arbeit ich schon seit langem verfolge, konnte sich das wohl gut vorstellen. Ich habe das Drehbuch bekommen und gleich bei ersten Lesen gesagt: Das mache ich. So etwas passiert mir eigentlich selten, ich bin sonst viel zögerlicher beim Zusagen.

STANDARD: Hatten Sie Kontakt zu Schirach?

Brandauer: Wir hatten zunächst eine sehr freundliche Korrespondenz und dann haben wir uns natürlich im Umfeld der Produktion getroffen. Über den Film haben wir dabei gar nicht so ausführlich gesprochen, ich bin kein Freund davon, die Dinge im Vorfeld zu zerreden. Wir hatten ja alle gemeinsam die Aufgabe, eine nicht ganz einfache Geschichte plausibel und trotzdem auch spannend zu erzählen, aus zwei völlig unterschiedlichen Perspektiven. Ich glaube, das ist uns gut gelungen.

STANDARD: Zuletzt ging es bei Schirach um Sterbehilfe. In Österreich hat ja nun auch der Verfassungsgerichtshof das Verbot gekippt. Wie ist Ihre Position dazu?

Brandauer: Ich will auch hier nicht ausweichen, aber das ist keine Frage, auf die man nur mit zwei, drei Sätzen eingehen kann. Auf jeden Fall gehört das Thema raus aus der Tabu-Ecke und gesellschaftlich diskutiert. Jeder kennt aus seinem Umfeld Fälle oder zumindest Erzählungen, wo man davon spricht, "dass es eine Erlösung gewesen wäre". Aber genau da beginnt auch das Problem, dass man dadurch einen Handlungsdruck erzeugt, wo sich schwerkranke oder betagte Menschen verpflichtet fühlen, "nicht mehr zur Last zu fallen". Das ist ein Dilemma und wird immer eines bleiben. Dennoch müssen wir uns dem stellen, mit Herz und Verstand.

STANDARD: Würden Sie Sterbehilfe in Anspruch nehmen, sollten Sie – Gott bewahre! – in eine ausweglose Situation kommen?

Brandauer: Ich würde mir aus heutiger und damit theoretischer Sicht zumindest wünschen, dass wir darüber sprechen können, ohne dass einer der Beteiligten kriminalisiert wird. Ansonsten verbieten sich solche öffentlichen Spekulationen eigentlich, nicht zuletzt aus Respekt vor denjenigen, die gerade aktuell mit dem Thema ringen.

STANDARD: Fand der Dreh unter Corona-Schutzbedingungen statt?

Brandauer: Nein, die Dreharbeiten waren bereits vor einem Jahr abgeschlossen. Im Dezember 2019 war von Corona noch keine Rede, man kann sich kaum noch daran erinnern. Aber ich bin in diesem Jahr zweimal für die Postproduction in Berlin gewesen.

STANDARD: Wie ging es Ihnen damit?

Brandauer: Wie allen, die mit ausgebuchten Flugzeugen unterwegs waren, ein ziemlich ungewohntes, mulmiges Gefühl, so eng mit so vielen Menschen unterwegs zu sein. Parallel habe ich Lesungen vor 50 Leuten gemacht, die mit Riesenabstand auf das ganze Theater verteilt gewesen sind. Das war ebenfalls unwirklich. Vieles passt im Moment einfach nicht mehr zusammen.

STANDARD: Wie gehen Sie persönlich mit der Covid-Bedrohung um? Locker oder totaler Rückzug?

Brandauer: Ich habe die letzten Monate, bis auf wenige Ausnahmen, sehr zurückgezogen verbracht und es ging mir nicht nur schlecht damit. Aber ich weiß sehr genau, wie viele Menschen existenziell getroffen sind. Insbesondere Kultur und Tourismus werden sich auf viele Jahre nicht mehr richtig erholen, das ist für uns in Österreich eine Hiobsbotschaft.

STANDARD: Wie ist Ihre Meinung zum Vorgehen der österreichischen Regierung? Sind die Maßnahmen ausreichend?

Brandauer: Es war ja so, dass die Regierung erst die beste bei der Krisenbewältigung sein wollte und dann große Schwierigkeiten hatte, die hochgeschraubten Erwartungen wieder einzufangen, als sich die Zahlen wieder geändert haben. Ein bisschen weniger Dramatisierung und ein bisschen mehr Weitblick hätte ich mir da schon gewünscht. Als Pragmatiker sage ich allerdings auch: Bei der nächsten Pandemie machen wir alles besser. Niemand konnte anfangs ahnen, welche Ausmaße das alles annehmen würde. Deshalb bin ich auch keiner, der jetzt jede einzelne Maßnahme auf die Waage legt und beurteilt. Vieles ist nicht stimmig, das fällt mir auch auf, aber mit solchen Urteilen ist im Moment niemandem geholfen. Wichtiger scheint es mir, jetzt schon an das "Danach" zu denken und dass wir dann genau darauf achten müssen, dass vieles von dem, was jetzt kaputt gegangen ist, auch wieder eine neue Chance bekommt.

STANDARD: Gibt es weitere Projekte in Planung?

Brandauer: Im Moment wird ja alles verschoben, auf das kommende Jahr oder noch später. Keiner kann genau planen. Es gibt auch noch einen neuen Film, den ich mit Istvan Szabo gedreht habe und der drei Tage vor dem ersten Lockdown in Budapest Premiere hatte. Auf jeden Fall möchte ich auch sehr gern wieder Theater spielen, und ich bin guter Dinge, dass das auch zustande kommt. (Doris Priesching, 26.12.2020)