Weit, weit im Norden, da wo sich Elch und Schneehase gute Nacht sagen, erwartet der russische Weihnachtsmann – Väterchen Frost oder auf russisch Djed Moros genannt – seine Gäste. Seit 21 Jahren ist mit staatlichem Segen ein Märchenwald nahe der alten Kaufmannsstadt Weliki Ustjug, 900 Kilometer nordöstlich von Moskau, seine Heimstatt.

Wer Väterchen Frost besuchen will, muss einen beschwerlichen Weg auf sich nehmen. Der nächste Fernbahnhof liegt in der Kleinstadt Kotlas, 17 bis 20 Zugstunden von Moskau entfernt. Und von dort sind es noch einmal gut 60 Kilometer mit dem Taxi oder Bus über eine Buckelpiste. Immerhin seit Anfang Dezember gibt es zwischen Kotlas und Weliki Ustjug einen Nahverkehrszug. Auch ein Flughafen soll in Kürze eröffnen.

Besucherrekord

Doch noch kommen die meisten Gäste mit dem eigenen Auto. Von Moskau über die altrussischen Städte Jaroslawl und Wologda beträgt die reine Fahrtzeit mindestens zwölf Stunden. Eine durchaus strapaziöse Reise, und doch besuchen inzwischen Jahr für Jahr hunderttausende Familien den weißbärtigen Herrscher des russischen Winters in seiner Residenz. 2019 feierte Weliki Ustjug mit 400.000 Gästen gar einen neuen Besucherrekord.

Die Residenz von Väterchen Frost nahe der alten Kaufmannsstadt Weliki Ustjug, 900 Kilometer nordöstlich von Moskau.
Foto: ballin

Heuer hat Covid allerdings auch Väterchen Frost nicht verschont. Selbst ist der Alte glücklicherweise nicht erkrankt, doch die Besucherzahlen sind deutlich zurückgegangen. Vor dem imposanten Holztor stehen nur wenige Autos. Zugegeben: Die Hochsaison für Djed Moros beginnt auch erst am 25. Dezember und geht bis zum 10. Jänner, wenn die russischen Neujahrsferien enden.

Denn Väterchen Frost bringt seine Geschenke nicht zu Weihnachten, sondern zu Neujahr. Ein Relikt aus sowjetischer Zeit, denn kurz nach der Revolution wurde das seit dem 19. Jahrhundert bekannte Väterchen Frost den Russen mitsamt allen anderen Weihnachtsbräuchen ausgetrieben, ehe es – Ironie des Schicksals – ausgerechnet Mitte der 30er-Jahre während des Großen Terrors rehabilitiert wurde.

Geschenke zu Neujahr unter der Jolka

Um Assoziationen mit dem christlichen Weihnachtsfest zu vermeiden, legt er seither – oft in Begleitung seiner hübschen Enkeltochter Snegurotschka (Schneeflöckchen) – zu Neujahr seine Geschenke unter die Jolka, den russischen Tannenbaum. Den Brauch haben die Russen selbst nach dem Ende der Sowjetunion und der Wiederauferstehung der russisch-orthodoxen Kirche beibehalten – wobei diese, weil sie am alten julianischen Kalender festhält, das Weihnachtsfest ohnehin erst am 6. Jänner feiert.

Die Briefe, die Väterchen Frost von den Kindern bekommen hat, stapeln sich in seinem Postamt.
Foto: ballin

In seiner Residenz ist Väterchen Frost das ganze Jahr anzutreffen. Und weil er die Kälte liebt, hat er sich einen eigenen Eispalast in der Residenz aufgebaut. Dort ist es sommers wie winters frostig und alles aus Eis: Stühle, Tisch und Bett, Mascha und die drei Bären aus dem gleichnamigen Märchen und zahlreiche andere Figuren. Sogar der Samowar, ein altrussischer Teekocher, ist hier aus Eis.

Knifflige Fragen der jungen Gäste

Seine kleinen Gäste empfängt er allerdings zumeist in seinem Herrenhaus, einem mehrgeschoßigen typisch russischen Holzbau. Dort sitzt er in wechselndem Gewand, mal in rotem Mantel, aber auch mal in blauem oder weißem auf seinem Thron, hat für jeden ein gutes Wort und beantwortet geduldig die Fragen der Kinder. Und die können schon ganz schön knifflig sein: was er im Sommer mache, ob er als Väterchen Frost geboren und mit dem Weihnachtsmann verwandt sei und wie es ihm gelinge, zu Neujahr jedes Kind zu beschenken.

Väterchen Frost empfängt seine Gäste in diesem mehrgeschoßigen typisch russischen Holzbau.
Foto: ballin

Sollte ein Kind an der Existenz von Väterchen Frost zweifeln, so versetzt der Besuch beim leibhaftigen Djed Moros dem Glauben an die Zauberkraft des märchenhaften Geschenkeverteilers einen neuen Schub. Die tiefe Stimme und der gewaltige Wuchs beeindrucken dabei nicht nur Kinder. "Ich bin 1,88 Meter groß, aber Väterchen Frost hat mich um eineinhalb Köpfe überragt", berichtet Besucher Ilja von seinen Impressionen.

Für die Kinder ist ein solcher Besuch in jedem Fall ein tolles Geschenk. Neben Väterchen Frost treffen sie in seiner Residenz auch zahlreiche andere Figuren der russischen Märchenwelt, wie die zwölf Monate oder die berüchtigte Hexe Baba-Jaga.

Keine kommerzfreie Zone

Natürlich ist auch die russische Märchenwelt nicht mehr ganz frei vom Kommerz. Der Besuch in der Residenz kostet Erwachsene umgerechnet 17 Euro, pro Kind – je nach Alter – zwischen knapp zwölf und gut 14 Euro. In der Neujahrszeit nimmt Väterchen Frost sogar noch Saisonaufschlag. Doch zumindest seiner Heimat hat Väterchen Frost mit seiner Existenz ein riesiges Geschenk gemacht. Die einst stolze Handelsstadt war in Vergessenheit und Verfall geraten, ehe der Weihnachtstourismus seit nun 20 Jahren für einen bescheidenen Aufschwung sorgt. (André Ballin aus Weliki Ustjug, 24.12.2020)