Wie wird der Christbaum geschmückt, und was gibt es zum Essen – Kleinigkeiten können an Weihnachten große Streitereien auslösen.

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Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Weihnachten denken? Vielleicht Geschenke, Kekse, ein geschmückter Christbaum, die immer selben Songs in Dauerschleife, kitschige Filme? Und obendrauf noch die familiäre Harmonie, nach der wir uns gerade im Jahr der Pandemie womöglich besonders sehnen. Weihnachten hat sich in unser kulturelles Gedächtnis als romantisches Familienidyll eingeprägt. Das birgt jedoch großes Potenzial für Enttäuschungen. Denn es bringe einen Reality Check für die eigene Situation, erklärt die Psychotherapeutin Katharina Henz. "Wir haben jedes Jahr diese irrationale Fantasie, dass es vielleicht heuer auch bei uns so ist, wie wir das von diesen amerikanisch eingefärbten Bildern kennen." Je größer die Differenz zu den Erwartungen, desto größer auch die Enttäuschung. Und die Fallhöhe ist hoch: "Weihnachten ist ein emotional überfrachteter und aufgeladener Event und damit eine Hochstresssituation", meint Henz.

Für viele ist es daher auch nichts Neues, dass sie gerade an den Feiertagen mit der Familie aneinandergeraten. "Jeder Mensch hat eigene Bedürfnisse und auch Vorstellungen davon, wie das Fest auszusehen hat", sagt die Wiener Psychotherapeutin Simone Wiedemann. "Und besonders an Weihnachten will jeder, dass das Fest zu 100 Prozent perfekt ist." Unterschiedliche Ideen davon, wie oder wann der Baum geschmückt wird, ob es Fisch oder Braten zum Essen gibt und welchen Ablauf das Fest nehmen soll, werden damit zum Konfliktpotenzial.

Erwartungen im Vorhinein abklären

Vermeiden kann man solche Streitereien, indem man sich als Familie schon im Vorfeld zusammensetzt und die jeweiligen Wünsche und Vorstellungen bespricht. "Man kann einen "Not-Perfect-Pakt" abschließen – machen wir es gut genug, aber nicht perfekt", schlägt Henz vor. Thematisiert werden soll dabei alles, was Stress erzeugt. Wenn dennoch die immer selben kleinen Zankereien unter dem Weihnachtsbaum auftreten, könne man die Situation – wenn möglich – mit Humor nehmen. Abhilfe schafft etwa eine Art "Vogel-Joker". "Jeder darf einmal kurz deppert sein, etwas Blödes sagen, nicht bei Opas Witz lachen, und die anderen verübeln einem das nicht", erklärt die Therapeutin.

Auch schwierige Konversationsthemen sollte man im Vorhinein besprechen, empfiehlt Henz. Schließlich gesellt sich heuer zu den üblichen politischen Reizthemen auch noch das Coronavirus. Bei der Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen oder der Sicherheit von Impfungen können sich schnell einmal die Geister scheiden. "Liegen die Themen dann einmal am Tisch, bekommt man sie so schnell nicht mehr in das Abstellkammerl." Gerade in Bezug auf das Coronavirus rät die Familientherapeutin etwa, abzumachen, ein paar Tage lang oder zumindest beim Weihnachtsessen nicht über "C-Wort" zu sprechen.

Das Fest als Auslöser für brodelnde Konflikte

Schwieriger wird es da schon bei Loyalitätskonflikten. "An Weihnachten zeigt sich, wer zur Familie gehört und wer nicht", erklärt Henz. Wenn etwa die neue Partnerin oder der neue Partner eines Familienmitglieds nicht mitfeiern darf oder die Oma heuer nicht dabei ist, weil sie sich mit ihrer Tochter gestritten hat. Oft seien Kompromisse nötig, etwa wenn das Kind die Oma aber unbedingt dabei haben will, meint Wiedemann. Das birgt jedoch viel Konfliktpotenzial, "wenn zwei sich schon nicht gut verstehen, dann aber einen ganzen Tag miteinander verbringen müssen, der auch noch harmonisch sein soll".

Oft handelt es sich um Probleme, die nicht wegen des Weihnachtsfests entstehen, sondern schon das ganze Jahr über vorhanden sind. "Der Wunsch nach dem perfekten Familienfest macht diese Konflikte dann stärker spürbar", erklärt Wiedemann. Man könne Weihnachten als Auslöser auch positiv sehen: "Zum Glück gibt es zumindest einen Zeitpunkt, an dem diese Themen vulkanartig hochkommen, wenn sie schon das ganze restliche Jahr über keinen Platz bekommen." Besser sei es natürlich, vorhandene Probleme schon das ganze Jahr über zu reflektieren und zu besprechen. Wenn man nicht mehr weiterkommt, könne Psychotherapie eine außenstehende Perspektive bieten und Empfehlungen geben.

Eigene Grenzen ausloten

Es gebe allerdings Probleme, für die es "im Äußeren" keine Lösung gibt, sagt Wiedemann. Etwa wenn Menschen krank sind und nicht mehr gesund werden. Auch eine Lösung für das Coronavirus könne nicht unter dem Weihnachtsbaum gefunden werden. "Aber was ich tun kann, ist bei mir in meinem Inneren und in meinem kleinen Umfeld zu bleiben und mir die Tage, die ich habe, schön zu machen", empfiehlt die Therapeutin.

Wenn man sich dennoch vor dem jährlichen Hickhack und einem dadurch ruinierten Fest sorgt, helfe es auch schon, seine eigenen Grenzen abzuklären, ergänzt Henz. "Was ist das Schlimmste, das passieren könnte, wovor fürchte ich mich am meisten, und was kann ich selbst dazu beitragen, damit das nicht passiert?" Welches Geschenk man bekommt und ob sich alle lieb haben, könne man nicht beeinflussen. Themenwahl und Gesprächsführung aber durchaus. Wenn es trotzdem ungemütlich wird, schlägt Henz vor, sich aus der Auseinandersetzung zu nehmen oder mit sich selbst ein Weihnachtsbingo zu spielen, mit all jenen Themen und Situationen, die man erwartet. Kennt man seinen eigenen Worst und Best Case, sei man besser für die Realität gewappnet, die sich dann irgendwo in der Mitte einpendeln werde, meint Henz. "Denn vorhergesagte Dramen finden meist nicht statt." (Davina Brunnbauer, 24.12.2020)