Der Tritt gegen einen Spitz (Symbolbild aus Kirgistan, Anm.) brachte einen 32-Jährigen wegen Tierquälerei vor Gericht.

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Wien – "Oh du Spitz, du Ungetüm!", schrie schon Frau Bolte, bevor sie ihrem Unmut über vier verschwundene Brathendl gewalttätig freien Lauf ließ. Der Hund konnte natürlich nichts dafür, schließlich waren es zwei unmündige Intensivtäter, die den Diebstahl begangen haben. Ganz ähnlich wie dieses von Wilhelm Busch geschaffene Tier muss sich am 19.11. in Wien-Donaustadt Spitzmischling "Frodo" gefühlt haben, als er grundlos getreten wurde. Von Herrn W., der deshalb nun mit einer Anklage wegen Tierquälerei vor Richterin Magdalena Klestil-Krausam sitzt.

Der 32-Jährige ist ein gutes Beispiel dafür, dass man in Menschen nicht hineinsehen kann. Er spricht sanft und artikuliert, als er der Richterin seinen Werdegang erzählt: AHS-Matura, danach Kolleg und Reifeprüfung in einem anderen Zweig, ein abgebrochenes Management-Studium an einer FH. "Warum haben Sie es nicht fertig gemacht?", fragt Klestil-Krausam. "Ich wollte dann lieber arbeiten", verrät der Angeklagte.

Vorstrafe im September

"Haben Sie Vorstrafen, waren Sie schon einmal vor Gericht?", fragt die Richterin routinemäßig. W. zögert kurz, ehe er langgezogen mit "Neeeiiin" antwortet. "Ich muss Sie enttäuschen, laut Akt schon. Es ist noch gar nicht so lange her", hält die Richterin vor. Erst im September wurde er von einem niederösterreichischen Bezirksgericht zu zwei Monaten bedingt verurteilt: Zweimal hatte er eine Tankfüllung nicht bezahlt, dazu kam eine Körperverletzung bei einer Auseinandersetzung am Arbeitsplatz.

Zum nun angeklagten Vorfall bekennt sich der ohne Verteidiger erschienene W. ohne Umschweife schuldig. "Es tut mir unendlich leid. Ich habe den Hund ohne jedes Motiv getreten", gibt er zu. Er habe die Nachbarstochter mit dem Tier vor der Haustüre gesehen und habe "Frodo" einen Tritt verpasst. "Hatten Sie Streit mit den Nachbarn?", will die Richterin wissen. "Nein, überhaupt nicht. Davor, mit meiner Mutter", sagt der Angeklagte.

Angeklagter sieht sich geistig gesund

"Ich verstehe es nicht. Warum macht man so was?", ist Klestil-Krausam ratlos. W. kann ihr nicht helfen: "Ich verstehe es auch nicht", antwortet er. Die Richterin hat allerdings einen Verdacht: "Ihre Eltern machen sich Sorgen um Sie. Dass Sie psychische Probleme haben", merkt sie an. "Mir geht es hervorragend", beharrt der Angeklagte. "Ich war damals voller Wut." – "Und das hat der Hund abbekommen?" – "Das hat der Hund abbekommen." – "Und was machen Sie beim nächsten Mal, wenn Sie sich über Ihre Mutter ärgern?" – "Ich muss schauen, dass ich meine Aggression besser im Griff habe."

Die 13-jährige Nachbarstochter schildert als Zeugin, sie habe damals W. an der Haustüre getroffen, als sie vom Gassigehen zurückkam. "Wos is mit dia, du Hur!", soll der Angeklagte gesagt und ihr den gestreckten Mittelfinger gezeigt haben, ehe er gegen den Hund trat. W. bestreitet, das Mädchen als Sexarbeiterin bezeichnet und eine obszöne Geste gemacht zu haben. Verletzt wurde "Frodo" durch den Angriff nicht, die 13-Jährige schildert allerdings, dass sie selbst und das Tier in den darauffolgenden Tagen Angst gehabt hätten.

Erwachsenenvertreter angeregt

Danach wird Klestil-Krausam gegenüber dem Angeklagten konkreter: "Ich habe in unserem internen Register nachgesehen. Ihre Eltern haben für Sie einen Erwachsenenvertreter angeregt. Wissen Sie davon? Machen Sie was in die Richtung?", will sie von W. wissen. "Ja, mein Vater hat da was gesagt. Ich war schon bei einem Termin", sagt der Angeklagte vorsichtig.

"Ihr Vater macht sich Sorgen. Demnach leiden Sie an Angststörungen, Depressionen und angeblich sogar Halluzinationen. Und Sie zeigen keine Krankheitseinsicht. Glauben Sie, dass Ihnen eine Behandlung helfen könnte?", fragt die Richterin. W. blockt ab. "Das stimmt nicht. Es geht mir sehr gut. Ich habe keine Angststörungen, Depressionen und sicher keine Halluzinationen", stellt er fest. "Naja, damit muss sich ein anderes Gericht beschäftigen", meint die Richterin.

Bedingte Haft-, unbedingte Geldstrafe

Bei einem Strafrahmen bis zu zwei Jahren verurteilt Klestil-Krausam W. zu sechs Monaten bedingter Haft sowie 180 Tagessätzen á vier Euro, also 720 Euro unbedingter Geldstrafe. Staatsanwältin und Angeklagter sind damit einverstanden, da W. aber ohne Verteidiger erschienen ist, bleibt die Entscheidung drei Werktage nicht rechtskräftig, falls er es sich doch noch anders überlegt.

Die offene Vorstrafe widerruft die Richterin nicht. "Das ist jetzt wirklich Ihre letzte Chance", mahnt sie. "Das nächste Mal, wenn Sie sich ärgern, treten Sie nicht mehr auf einen Hund. Und erst recht nicht auf einen Menschen!", betont sie noch. W. verspricht, sich zu bessern. (Michael Möseneder, 27.12.2020)