Großflächige Farbkompositionen und scherenschnittartige Formen: Plakatmaler Emil Pirchan

Foto: Nachlass Emil Pirchan, Sammlung Steffan/Pabst, Zürich

Jetzt also auch in Wien: Als das Folkwang-Museum in Essen vor rund zwei Jahren Emil Pirchan eine große Ausstellung widmete, war da das Werk eines Künstlers zu entdecken, der in München und Berlin, in Prag und natürlich auch in Wien vielfältige Spuren hinterlassen hatte, der aber mit Nordrhein-Westfalen keine Berührungspunkte hatte. Pirchan war ein Otto-Wagner-Schüler, der in München als Plakatmaler und in Berlin mit seinen expressionistischen Bühnenbildern für Furore sorgte. 1936 erhielt er einen Ruf an die Akademie der bildenden Künste in Wien für die Leitung der neu geschaffenen Meisterschule für Bühnenbildkunst. Sie hatte Pirchan bis zu seinem Lebensende 1957 inne.

Die Frage, warum man ausgerechnet in Essen einen an seinen Wirkungsstätten in Vergessenheit geratenen Künstler aufs Tableau hob, hatte viel mit der dortigen, äußerst eindrucksvollen Plakatsammlung zu tun, aber auch mit Pirchans Enkel, Beat Steffan, der den Nachlass seines Großvaters auf dem Dachboden des Elternhauses gefunden hatte und sich mehrere Jahre seiner Aufarbeitung widmete. Steffan veröffentlichte einen Prachtband über den "Universalkünstler" im Nimbus-Verlag – und initiierte besagte Ausstellung in Essen. Nach Wien holte jetzt das Leopold-Museum die Schau – wenngleich in einer von Kurator Ivan Ristic etwas komprimierten und modifizierten Variante.

Kunst und Kommerz

Das kommt dem vielschichtigen Werk Pirchans zugute. Kunst und Kommerz liegen bei ihm nahe beieinander. Der 1884 in Brünn als Sohn eines akademischen Malers geborene "Gesamtkunstwerker" wechselte zwischen den künstlerischen Genres, wie es heute wahrscheinlich undenkbar wäre. Als Architekt baute er nur ein einziges Haus, Inneneinrichtungen sind von ihm aber mehrere erhalten. Als Plakatgestalter erfüllte er die Wünsche seiner Auftraggeber, spielte aber gleichzeitig mit Farbkompositionen und scherenschnittartigen Formen auf der Klaviatur des Jugendstils.

In die Theatergeschichte sollte Pirchan schließlich in seiner Berliner Zeit eingehen, als er mit seinen ausdrucksstarken und von allem Überflüssigen entkleideten Bühnenbildern eine ganz andere Formsprache propagierte, als es das illusionistische "Meiningertum" vorgab. Die frei stehende Stufenbühne, die er für die legendäre Wilhelm Tell-Inszenierung des Theaterrevolutionärs Leopold Jessner schuf, sollte zu einem Meilenstein des expressionistischen Theaters werden. An die Erfolge der Münchner und Berliner Jahre konnte Pirchan später nicht mehr anschließen.

Mit der Übersiedlung nach Prag und später nach Wien rückten Pirchans Lehrtätigkeit und seine schriftstellerischen Ambitionen in den Vordergrund. Er schrieb Romane und eine ganze Reihe von Biografien, darunter auch die erste Monografie über Gustav Klimt. Dessen im Rahmen der XIV. Ausstellung der Wiener Secession geschaffenem Beethovenfries ist darin viel Platz gewidmet.

Pastorale-Musikzimmer

Dieser ist in einem Miniaturmodell gleich nebenan im zweiten Untergeschoß des Museums zu begutachten, im Rahmen einer kleinen Ausstellung, die der Beethoven-Verehrung um die Jahrhundertwende im Allgemeinen und einem von Josef Maria Auchentaller geschaffenen Musikzimmer im Speziellen gewidmet ist. Der Maler hatte auch für die Beethoven-Ausstellung 1902 in der Secession einen Fries gestaltet, leider ist davon aber nur eine Fotografie erhalten geblieben. Das Musikzimmer der Jugendstilvilla seines Schwiegervaters, des Schmuckfabrikanten Georg Adam Scheid, konnte dagegen rekonstruiert werden. Die Bilder selbst sind erhalten geblieben.

Sie stellen die erste künstlerische Umsetzung aller Sätze einer Symphonie Beethovens dar, und zwar der VI. Symphonie, der Pastorale. Die ländlichen, in die Vertäfelungen eingelassenen Szenerien bilden den Mittelpunkt der konzentrierten, auf das Phänomen Musikzimmer genauso wie auf die legendäre Beethoven-Ausstellung eingehenden Schau. Die fünf Töchter der Auftraggeber standen für die Ausgestaltung der Elfen Pate, die Villa selbst wurde von einem weiteren Schwiegersohn, vom Architekten Josef Hackhofer, entworfen. Leben und Kunst, sie sind bei den Scheids nicht wirklich zu trennen. Und auch bei Emil Pirchan war es nicht viel anders. (Stephan Hilpold, 26.12.2020)