Der Orbit von HD 106906b um sein Zwillingsgestirn ist um 21 Grad gegen die Bahnebene des Sternsystems geneigt.
Illustr.: NASA / ESA / Hubble / M. Kornmesser

HD 106906 ist ein Doppelsternsystem in etwa 336 Lichtjahren Entfernung im Sternbild Kreuz des Südens. Es handelt sich um ein junges System, gerade einmal 15 Millionen Jahre alt, und beherbergt zumindest einen, dafür recht großen Exoplaneten: HD 106906b wurde mithilfe der Magellan-Teleskope am Las Campanas-Observatorium in Chile entdeckt und Ende 2013 von einem Team um Vanessa Bailey von der University of Arizona in den "Astrophysical Journal Letters" erstmals beschrieben.

Die beiden jugendlichen Sterne des HD-106906-Systems besitzen zusammen die die 1,5-fache Sonnenmasse und haben die sogenannte Hauptreihe, also gleichsam ihr Erwachsenendasein, noch nicht erreicht. Umgeben sind sie von einer protoplanetare Scheibe, die in etwa 15-facher Erd-Sonnendistanz (Astronomische Einheiten, AU) beginnt und sich bis in eine Entfernung von 120 AU erstreckt. In unserem eigenen Sonnensystem wäre das weit mehr als doppelt so weit draußen wie der fernste Punkt der Plutoumlaufbahn.

Ein Jahr auf HD 106906b sind 15.000 Erdenjahre

Im Vergleich zum Aufenthaltsort von HD 106906b ist das jedoch immer noch ein Katzensprung, denn der Gigant mit rund elffacher Jupitermasse kreist in fast 740 Astronomischen Einheiten Entfernung zum Gravitationszentrum des Systems. Das haben Wissenschafter mit dem Hubble-Weltraumteleskop in den vergangenen 14 Jahren anhand von genauen Messungen der Bewegung von HD 106906b herausgefunden und nun im "Astronomical Journal" veröffentlicht. Das Forschungsteam rund um Meiji Nguyen von der University of California in Berkeley stellte darüber hinaus fest, dass der Exoplanet für eine vollständige Runde um sein Zwillingsgestirn etwa 15.000 Jahre benötigt und sich dabei auf einer stark geneigten Bahn bewegt.

HD 106906b liegt weit genug von seinen Zentralsternen entfernt, dass er direkt beobachtet werden konnte.
Foto: Vanessa Bailey

All das macht HD 106906b zu einem ziemlich rätselhaften Objekt, immerhin besitzt kaum ein anderer bekannter Exoplanet einen derart weiten Orbit. Problematisch ist vor allem, dass eine Welt so weit weg von seinem Zentralgestirn zu keine der gängigen Planetenbildungsmodelle passen will. Es existiert nach bisherigen Hypothesen dort draußen einfach nicht genug Material für ihre Entstehung. Dass es sich eventuell um ein verhindertes Dreifachsternsystem handeln könnte, sei ebenso unwahrscheinlich, so die Forscher. Dafür würde nach ihrer Ansicht das Massenverhältnis des Planeten zu seinen Muttersternen nicht passen.

Fortgeschleuderter Gigant

Natürlich haben die Wissenschafter einige Hypothesen zu HD 106906b und ähnlichen Exoplaneten auf Lager. Die vorherrschende Theorie lautet, dass der Planet viel näher an seinen Sternen entstanden und dann im Verlauf der letzten Dutzend Millionen Jahre nach außen gewandert ist – oder vielmehr von seinen Zwillingssternen fort geschleudert wurde. Dass er das System dabei nicht gänzlich verlassen hat, ist möglicherweise einem vorüber ziehenden Stern zu verdanken, der die Umlaufbahn des Exoplaneten in einer Schräglage von 21 Grad gegenüber der Bahnebene stabilisierte.

So exotisch dieses Szenario auch erscheinen mag, die Forscher um Nguyen sehen durchaus mögliche Parallelen zu unserem Heimatsystem. Ähnliche Mechanismen könnten nämlich dazu geführt haben, dass auch bei uns ein großer Planet in den äußeren Bereichen des Sonnensystems jenseits des Kuipergürtels gelandet ist. 2016 haben die US-Astronomen Chad Trujillo und Scott Sheppard die Idee wiederbelebt, dass unser Sonnensystem einen neunten, unentdeckten transneptunischen Planeten besitzt. Zahlreiche Studien zum hypothetischen Planet Neun haben diese These mittlerweile untermauert, nicht wenige Forscher sehen diese Idee aber auch durchaus kritisch.

Die Aufnahme mit dem Hubble-Weltraumteleskop zeigt eine mögliche Umlaufbahn (gestrichelte Ellipse) des Exoplaneten HD 106906b.
Foto: NASA, ESA, M. Nguyen, R. De Rosa, P. Kalas

Beleg für die theoretische Existenz von Planet Neun

Dennoch liegen auf Basis bisheriger Annahmen, die sich vor allem auf die Beobachtung von Asteroiden mit ungewöhnlichen Umlaufbahnen im fernen Kuipergürtel gründen, sogar einige konkrete Eckdaten über Planet Neun vor: So soll er entweder ein Gasplanet oder ein besonders großer Gesteinsplanet von bis zu zehnfacher Erdmasse und vierfachem Erddurchmesser sein. Seine langgestreckte Umlaufbahn liegt nach Simulationen in einer Distanz von 300 bis 600 Astronomischen Einheiten, für eine vollständige Runde benötigt er zwischen 10.000 und 20.000 Jahre. Obwohl also vieles auf die Existenz dieses fernen Riesen hindeutet, konnte Planet Neun noch nicht direkt beobachtet werden.

Und doch ist HD 106906b nach Meinung der Astronomen der erste handfeste Beleg dafür, dass Planeten mit solchen ungewöhnlichen und extrem sonnenfernen Umlaufbahnen existieren können. "HD 106906b ist der einzige bekannte und direkt abgebildete Exoplanet, der so verschoben und weit von seinen Zentralsternen entfernt ist", sagt Nguyen. "Gleichzeitig ist er der erste Planet, dessen Orbit dem des hypothetischen Planet Neun entspricht." (tberg, 1.1.2021)