Philosoph Philipp Hübl widmet sich in seinem Gastkommentar dem Thema "Verzicht". Er geht der Frage nach, ob es zu einem gesellschaftlichen Umdenken durch die Corona-Pandemie kommt – und welche Rolle das bei der Klimakrise spielt.

Das Jahr 2020 war das Jahr des unfreiwilligen Verzichts. Wir mussten auf den Sommerurlaub, auf Kultur und Feiern mit Freunden verzichten. Während der Adventszeit waren viele Weihnachtsmärkte und Kaufhäuser geschlossen. Und abgesehen von einigen Querdenkern haben die meisten Europäer den Lockdown folgsam akzeptiert.

Klimaaktivisten fordern immer häufiger zu Konsumverzicht auf. Reicht das?
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Einige Beobachter sehen die Corona-Krise daher als Testlauf für ein noch drängenderes Problem: die Klimakrise. Auf den ersten Blick sind die Parallelen auch offensichtlich. Beide Krisen sind Phänomene der Globalisierung, die man nur durch internationale Zusammenarbeit lösen kann. Und das läuft auf eine radikale Umstellung des bisherigen Lebenswandels hinaus.

Auf den zweiten Blick jedoch fallen eher die Unterschiede ins Auge. Wer sich in der Pandemie unverantwortlich verhält, riskiert Leib und Leben. Man hat also einen individuellen Anreiz, sich und seine Nächsten zu schützen. Beim Klimawandel ist das anders: Konsumverzicht lohnt sich individuell nicht, wenn man davon ausgehen muss, dass sich die anderen unkooperativ verhalten. Dieses spieltheoretische Dilemma hat der Philosoph Garrett Hardin schon vor 50 Jahren als die "Tragödie des Allgemeinguts" beschrieben. Weil alle ihren Nutzen maximieren, zerstören sie die gemeinsamen Ressourcen.

Klimaaktivisten fordern daher immer häufiger zu Konsumverzicht auf. Einige wollen sogar den Kapitalismus abschaffen, auch wenn sie selten sagen können, wie das konkret vonstattengehen soll. Oft handelt es sich dabei um eine eigentümliche Mischung aus wissenschaftlichen Argumenten, Esoterik und Naturromantik. Der Wunsch nach einem "Systemwechsel" wird auch gespeist von einer Sehnsucht nach dem "authentischen" Leben und von einem diffusen Unbehagen mit Konsum und der modernen Technologie – Ansichten, in denen sich schon so gegensätzliche Philosophen wie Martin Heidegger und Theodor W. Adorno überraschend einig waren.

Nicht widerspruchsfrei

Die Umsetzung dieses neuen Gesellschaftsentwurfs ist alles andere als widerspruchsfrei. So hat die akademisch-grüne Mittel- und Oberschicht oft nur von Waren-Konsum zu Ereignis-Konsum gewechselt. Selbst die vielgepriesene "Sharing Economy" mit Airbnb und Elektroscooter ist nur vordergründig ein Verzicht auf Besitz, und im Kern kapitalistisch, nämlich konsequente Nutzenmaximierung.

Wer die Klimakrise mit radikalem Verzicht lösen will, begeht auch einen historischen Kurzschluss. Die Marktwirtschaft hat eine technische Entwicklung begünstigt, die zu einem unvorstellbaren Wohlstand geführt hat, von dem die Ärmsten der Welt besonders profitiert haben, auch wenn gleichzeitig die Schere zwischen Arm und Reich aufging. Ein eindrückliches Beispiel: Um 1850 betrug die Kindersterblichkeit in einer wohlhabenden Stadt wie Wien fast 50 Prozent. Eltern konnten damit rechnen, dass die Hälfte ihrer Kinder das fünfte Lebensjahr nicht erreicht. Heute liegt die Kindersterblichkeit in Österreich bei 0,3 Prozent; im Südsudan, einem der ärmsten Länder der Welt, bei "nur" fünf Prozent. Mehr noch: Ohne privaten Konsum gäbe es keine PCs und ohne sie nicht genau diejenige Medizintechnik, die heute in Krankenhäusern Leben rettet, von der Gentechnik für Impfstoffe und von Big-Data-Berechnungen für den Klimawandel ganz zu schweigen.

Vernünftiger konsumieren

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn wir wenigstens etwas vernünftiger konsumierten: weniger fliegen und nicht jährlich die Garderobe austauschen? Diesen neuen Lebensstil, so scheint es, proben wir ja gerade in der Pandemie. Doch auch hier gibt die Forschung wenig Anlass für Optimismus, denn solche Verhaltensänderungen sind oft nur temporär, wie man am exzessiven "Revenge Shopping" nach dem ersten Lockdown in China sehen konnte.

Außerdem fällt der Effekt überhaupt nicht ins Gewicht. Selbst wenn wir zum Beispiel auf einen Schlag den weltweiten Flugverkehr einstellten, würde das nur etwa zwei Prozent des gesamten Ausstoßes an CO2 ausmachen. Zum Vergleich: Der Bau und die Energieversorgung von Gebäuden sind für fast 40 Prozent verantwortlich. Bis zum Jahr 2060 wird im Schnitt jede Woche die Fläche von Paris zugebaut.

Selbst wenn ein Land wie Österreich von heute auf morgen überhaupt kein CO2 mehr produzierte, würde das den weltweiten Ausstoß um weniger als ein Prozent senken, während China mit 28 Prozent zu Buche schlägt. Hier zeigt sich Hardins "Tragödie des Allgemeinguts" auf globaler Ebene. Nur wenn acht Milliarden Menschen zusammen radikal verzichteten, wäre das eine sinnvolle Strategie. Das wird nicht passieren, ganz gleich wie laut Liberale "Eigenverantwortung" rufen und Linke "schämt euch" sagen. Weder der Einzelne noch der freie Markt kann das regeln, da sind sich die meisten Ökonomen einig. Wirksam wäre eine weltweite CO2-Steuer oder die Abschaffung aller Subventionen für fossile Brennstoffe (weltweit 5300 Milliarden Dollar) bei gleichzeitigen Investitionen in "Green Tech". Nur wenn erneuerbare Energien billiger sind als Kohle und Öl, wird sich der CO2-Ausstoß drastisch senken.

Kaum messbarer Effekt

Dafür benötigen wir eine breite Zustimmung der Bürger in allen Ländern, die es nur gibt, wenn Idealisten vorangehen und die anderen zum Nachahmen anstecken. Darin liegt die seltsame Zweischneidigkeit der Klimaethik: Persönlicher Verzicht hat einen kaum messbaren Effekt auf das Klima. Aber das Verhalten hat eine Vorbildfunktion, wie aktuelle Studien zu Pandemie und Klimawandel zeigen. Selbst wenn Klimaaktivisten also manchmal nerven und die Hauptfunktion ihrer Botschaften im "Virtue Signalling" besteht, darin, sich als besonders progressiv und moralisch überlegen darzustellen, tragen sie gerade dadurch indirekt zum Gesinnungswandel in der Politik bei. Die Devise für alle, die ganz vorne mit dabei sein wollen, lautet also: komplett auf Ökostrom umstellen und es allen erzählen. (Philipp Hübl, 24.12.2020)