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Wien – Frau D. ist verzweifelt. Sie fühlt sich wie in einem Gefängnis, wenn sie aus den Fenstern ihrer Wohnung auf den Wiener Heldenplatz blickt. Nicht nur wenn die Sonne scheint sind im ganzen Zimmer die Schatten des Maschendrahtzaunes zu sehen, der vor ihren Fenstern montiert wurde. Vor 70 Jahren sei sie dem Wahnsinn gerade noch entkommen, sagt die 87-Jährige bitter, aber jetzt sei sie plötzlich eingesperrt.

Wie Frau D. geht es zahlreichen Mietern der einstigen Dienstbotenwohnungen im Dachgeschoß des Leopoldinischen Trakts der Hofburg. Auch sie wurden von der Burghauptmannschaft im September kalt erwischt. Angekündigt worden sei von der im Wirtschaftsministerium angesiedelten staatlichen Häuserverwaltung in dem am 21. September zugegangenen Schreiben wohl die Montage von Gittern vor den Wohnungsfenstern "zur Absturzsicherung", erzählt ein anderer Mieter des von der Michaelerkuppel wegführenden Traktes. Man habe sich aber nicht viel dabei gedacht, weil die Maßnahme von der Burghauptmannschaft mit der geringen Parapethöhe der Fenster und als notwendige Sicherheitsmaßnahme begründet wurde.

Wie die Dienstboten

Das änderte sich nach Abschluss der mittels Hebebühne durchgeführten Montagearbeiten schlagartig. "Wir sind eingesperrt, werden wie einst die Dienstboten in der Monarchie behandelt", ärgert sich Herr W., "das verursacht psychisches Unbehagen." Im Fall eines Brandes hätten die Bewohner der 21 Wohnungen keine Fluchtmöglichkeit, sie müssten warten, bis die Feuerwehr anrückt und die Gitter entfernt.

Die Mietrechtsexperten der Arbeiterkammer geben ihm recht. Sie sehen die Mietrechte massiv eingeschränkt. Den Bewohnern werde nicht nur die Sicht aus dem Fenster beeinträchtigt, sondern auch die Möglichkeit genommen, ihre Köpfe aus den Fenstern zu strecken. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage der Angemessenheit. Denn bei weitem nicht alle Fenster im obersten Geschoß unter dem 340 Jahre alten hölzernen Dachgestühl der Habsburger-Residenz wurden vollvergittert. Die historischen Fenster der darunter befindlichen Präsidentschaftskanzlei wurden ebenso mit halbhohen Glasscheiben gesichert wie die Bürofenster diverser Bundesstellen. Das vom Vermieter gesetzte Ziel der Absturzabsicherung könne auch mit geringeren Eingriffen erreicht werden, etwa Metallbügeln.

Parapethöhe zu niedrig

Das lässt die für die Verwaltung des denkmalgeschützten Hofburg-Gebäudekomplexes zuständige Burghauptmannschaft nicht gelten. Die Parapethöhe in bestimmten Mietobjekten der Hofburg entsprach nicht der geltenden Rechtslage, daher habe die Republik Österreich, vertreten durch die Burghauptmannschaft, "alles unternommen, um die Gefahr für Leib oder Leben, die von der zu geringen Höhe ausgeht, zu beseitigen", teilte die im Wirtschaftsministerium für die Burghauptmannschaft zuständige Sektionsleiterin Elisabeth Udolf-Strobl Mitte Oktober mit. Dabei seien baupolizeiliche, denkmalschutzrechtliche und mietrechtliche Vorgaben eingehalten worden.

Etagen nicht vergleichbar

"Die Situation der unteren Stockwerke ist nicht vergleichbar", da deren Fenster nach außen zu öffnen sind und daher die Absturzsicherungen innen angebracht werden können, beschied das Ministerium. Das biete technisch und denkmalschützerisch andere Möglichkeiten.

Bei gutem Wetter wirkt das Gitter vor den Fenstern besonders unangenehm.
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Im Übrigen habe sich die Burghauptmannschaft "seit Jahren intensiv und unter Beiziehung von Sachverständigen bemüht, bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Vorgaben, die ausschließlich der Sicherheit ihrer Mieterinnen und Mieter sowie deren Besucher dienen, jene Maßnahmen zu finden, die unter technischen und denkmalschützerischen Gesichtspunkten machbar und mit einer möglichst geringen Beeinträchtigung der betroffenen Mieterinnen und Mieter verbunden sind", beschied Udolf-Strobl, die 2019 in der Übergangsregierung 2019 als Wirtschaftsministerin fungierte.

Ganz sicher scheint man sich der Sache allerdings nicht zu sein. Bei der von Mietern angerufenen Schlichtungsstelle hat die Burghauptmannschaft für ihre Stellungnahme mehr Zeit erbeten.

Mietzinsminderung?

Mit Spannung erwartet wird auch der Befund der Finanzprokuratur. Der Anwalt der Republik prüft im Auftrag des Ministeriums, ob die Beeinträchtigungen Mietzinsminderungsansprüche begründen. Gewonnen wäre damit nicht viel, halten die Mieter dagegen, eingesperrt sei man trotzdem, wenn auch zu einem niedrigerem Zins.

Herrn A. beruhigt all das nicht. Der Mittsiebziger hat sich nach dem Hofburg-Brand 1992 eine Strickleiter gekauft, um sich im Notfall abseilen zu können. Diese Abstiegshilfe ist angesichts des Gitters nutzlos. (Luise Ungerboeck, 25.12.2020)