Eine Rentierherde im äußersten Nordosten Russlands.
Foto: imago/Danita Delimont

In der Arktis wird es wärmer, und für Rentiere wächst sich das zu einem immer größeren Problem aus. "Der Klimawandel ist bereits heute die größte Bedrohung für diese Tiere", sagte Wladimir Krewer von der Umweltstiftung WWF in Moskau. Er bezog sich dabei auf die russischen Bestände, doch ähnliche Effekte zeigen sich auch in anderen Regionen der zirkumpolar verbreiteten Hirschart.

Russische Umweltschützer beobachteten im August, dass Rentiere so früh wie noch nie zurück in den hohen Norden Russlands gezogen sind. Dabei seien südlich der Taimyr-Halbinsel am Nordpolarmeer viele Jungtiere beim Überqueren eines großen Flusses ertrunken, weil ihnen die Kraft dafür gefehlt habe. "Etwa 200 Jungtiere blieben erschöpft am Ufer zurück", heißt es in einem WWF-Bericht.

Erwärmung in besonders tückischem Bereich

Früher konnten die Tiere einfach über Eis laufen und so problemlos zugefrorene Seen und Flüsse überqueren. Doch aufgrund früher Schmelze müssen selbst trächtige Weibchen durch eiskaltes Wasser schwimmen, was ihnen gewaltige Reserven abverlangt. Auch die Nahrungssuche gestalte sich schwieriger, weil Pflanzen häufiger mit Eis statt mit Schnee bedeckt seien.

Letzteres Phänomen setzt auch der Rentierpopulation auf Spitzbergen zu. Auf dem abgelegenen Archipel fällt immer öfter Regen statt Schnee. Am Boden gefriert das Wasser und bedeckt die Vegetation mit einer Eisschicht, die die Rentiere anders als lockeren Schnee nicht aufscharren können.

"Wir müssen uns bewusst werden, dass Klimaveränderung immer mehr Phänomene mit sich bringen wird, die in der Arktis bisher noch nicht aufgetreten sind", sagte Umweltschützer Alexej Kokorin. So gebe es etwa häufiger Hitzewellen und Flächenbrände. Der WWF schätzt, dass sich der Bestand der am Nordpolarmeer lebenden Tundra-Rentiere in den vergangenen zehn Jahren auf rund 400.000 halbiert hat.

Faktor Überjagung

In Russland leben zwei Unterarten des Rentiers: die eine hat in den Wäldern ihren Lebensraum und die andere in der Tundra. Sie sind laut Krewer für das Funktionieren der Ökosysteme und die indigenen Völker der Region von großer Bedeutung. Ohne Rentiere könnten diese nicht existieren.

Krewer sieht die russischen Bestände auch durch die Jagd bedroht. Erlaubt sei, dass jährlich zehn Prozent des Bestandes gejagt werden dürften. "Das Problem aber ist: Es gibt keine genaue Zählung." Wilderer haben es besonders auf die Geweihe der Tiere abgesehen. Das Absägen der Geweihe bei noch lebenden Tieren steht in Russland zwar unter Strafe, Wilderern drohen mehrere Jahre Haft. Dennoch werden den Tierschützern zufolge vor allem im Winter Rentiere "mit Schneemobilen auf Winterweiden ausgerottet". Wissenschafter schätzen dem WWF zufolge, dass bis zu 70 Prozent der Tiere nach einem solchen "Eingriff" an Blutverlust und Sepsis sterben. (red, 24. 12. 2020)