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Der Premier trug aus gegebenem Anlass eine Fisch-Krawatte.

Foto: AP/Paul Grover

Siegessicher, fröhlich, zuversichtlich – das Twitter-Foto des strahlenden Premierministers mit ausgebreiteten Armen und hochgereckten Daumen zeigte weit mehr als Boris Johnsons Stimmung an diesem Donnerstagnachmittag. Es stand auch symbolisch für die Herangehensweise an Leben und Politik, die den 56-Jährigen ins höchste Regierungsamt gebracht hat. Die Vereinbarung mit Brüssel löst das Versprechen der konservativen Partei bei der Wahl vor Jahresfrist ein. Endgültig ist der Brexit "erledigt", wie es damals hieß.

Noch nicht ganz, zugegebenermaßen: Kommende Woche sollen Unter- und Oberhaus den "rund 500 problemlos verständlichen Seiten" (Johnson) der Handelsvereinbarung mit dem größten Binnenmarkt der Welt ihr Plazet erteilen. Zwar widerspricht dies einem erst 2010 erlassenen Gesetz der damaligen konservativ-liberalen Koalition, wonach Handelsverträge einer mindestens dreiwöchigen Prüfung durchs Parlament bedürfen. Aber wer schert sich schon mitten in der Weihnachtszeit um solche Kleinigkeiten?

Labour ist dabei

Ganz gewiss nicht die Labour-Opposition. Deren Vorsitzender Keir Starmer hat schon seit Wochen seine Zustimmung zu praktisch jeder Vereinbarung signalisiert, die der Premierminister aus Brüssel mitbringen würde. Den Briten sei das Risiko des chaotischen Ausscheidens ("No Deal") aus dem EU-Binnenmarkt nicht zu vermitteln, lautete die Argumentation des überzeugten Pro-Europäers, Labour dürfe deshalb keinesfalls den Vertrag ablehnen.

Mit seiner Zustimmung will Starmer zudem ein Signal senden an all jene früheren Stammwähler, die vor Jahresfrist wegen Labours unklarer Brexit-Linie erstmals ihr Kreuz bei den Torys gemacht hatten. Umstritten bleibt innerparteilich nur noch, ob der Parteichef seine Fraktion auf die Zustimmung festlegt oder allenfalls auch eine Enthaltung erlaubt.

Nigel Farage freut sich

Links von seinen Konservativen hat Johnson also kaum Gegenwind zu erwarten, wenn man einmal die sicherlich ablehnende Haltung der Liberaldemokraten und Nationalisten in Schottland und Wales vernachlässigt. Rechts droht schon eher Gefahr, allerdings nicht von einem notorischen Angstgegner. "Der Krieg ist vorbei", teilte Nigel Farage bereits am Donnerstagvormittag auf Twitter mit, als die Verhandlungen noch andauerten. Später sprach der Rechtspopulist zwar davon, er habe durchaus Detailbedenken. "Aber im Prinzip würde ich dem Deal zustimmen, wenn ich Parlamentsmitglied wäre." Dies hatte die Wählerschaft bei allen sieben Kandidaturen Farages zum Unterhaus verhindert.

Ganz so leicht wollen es die dem Parlament angehörenden Brexit-Ultras in der eigenen Partei ihrem Vorsitzenden nicht machen. Pompös haben die Vorsitzenden der notorischen Lobbygruppe ERG angekündigt, sie wollten zur Überprüfung des Deals eine sogenannte "Star Chamber" von Rechtsexperten einberufen. Der alberne Rückgriff auf das notorische Geheimgericht englischer Monarchen des 15. und 16. Jahrhunderts passt zur Rückwärtsgewandtheit führender Protagonisten wie dem Vorsitzenden des EU-Prüfausschusses William Cash, 80. Eine Hand voll von Totalverweigerern werde mit Nein stimmen, lautet die Einschätzung aus der Downing Street. Es klang nicht so, als machte man sich in der Regierungszentrale deshalb größere Sorgen.

Boulevard lobt Johnson

Angesichts der Kommentare wichtiger konservativer Medien scheint dies auch nicht nötig zu sein. Die stets EU-kritischen Boulevardblätter "Mail" und "Sun" lobten Johnson schon in den Donnerstagsausgaben, also vor Vertragsabschluss, über den grünen Klee; zurückhaltend äußerte sich hingegen der Tory-treue "Telegraph", seit drei Jahrzehnten die publizistische Herzkammer aller Anti-EU-Trommler.

Womöglich lassen sich Johnsons jüngste Berufungen zu Lords ins Oberhaus deshalb als eine Politik der Beschwichtigung gegenüber altgedienten Brexit-Ideologen im Umfeld des "Telegraph" interpretieren. Dort schrieben Daniel Hannan und Dean Godson flammende Kommentare gegen die EU; Hannan war gleichzeitig 20 Jahre lang Europa-Parlamentarier, Godson knüpft nun als Direktor des rechten Thinktanks Policy Exchange Verbindungen mit anderen Kritikern des europäischen Einigungsprojekts. In der zweiten Parlamentskammer begrüßt werden sie von Johnsons früherem Chefredakteur beim "Telegraph", Charles Moore.

"Europäische Freunde"

Entspannt trat der Premierminister am Donnerstag vor die TV-Kameras, unmittelbar nachdem EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen in Brüssel ihre Pressekonferenz beendet hatte. Ausführlich rühmte sich Johnson seines Verhandlungsgeschicks, das der Insel einen Handelsvertrag im Volumen von 668 Milliarden Pfund beschert habe. Jovial bedankte er sich nicht nur bei den eigenen Verhandlungsführern David Frost und Tim Barrow, sondern namentlich auch bei Leyen sowie den EU-Verhandlern Michel Barnier und Stephanie Riso. In Zukunft wolle man "noch mehr Geschäfte machen mit unseren europäischen Freunden".

Der Abkömmling der französischen Adelsfamilie de Pfeffel, einer illegitimen Tochter des Prinzen Paul von Württemberg sowie eines 1922 ermordeten türkischen Dichters bekannte sich ausdrücklich zu Großbritanniens "kultureller, emotionaler, historischer, geologischer Nähe" zum Kontinent. Das Abkommen biete beiden Seiten eine neue Gewissheit und Stabilität: "Wir bleiben Ihre Freunde, Ihr Partner und Ihr größter Absatzmarkt", sagte er an die Brüsseler Verantwortlichen gewandt.

Erleichtert zeigten sich die Chefs der beiden Regierungen in Irland. Sie werde natürlich noch die Details prüfen wollen, gab Nordirlands Ministerpräsidentin Arlene Foster zu verstehen, aber: "Es ist eine gute Nachricht, die wir begrüßen." Der Dubliner Premierminister Michéal Martin betonte die Zusammenarbeit auf Feldern wie Energie, Forschung und Verkehr als "Fundament für eine harmonischere Zusammenarbeit". Er wolle schon bald im neuen Jahr mit seinem britischen Kollegen zusammentreffen. (Sebastian Borger aus London, 24.12.2020)